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Alt 09.03.2011, 18:08   #22  
JRN
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Moin allerseits.

Ein bisschen spät vielleicht, aber da das Web ja angeblich nie etwas vergisst, möchte ich die folgenden Aussagen zu meiner Person dann doch nicht unkommentiert lassen ...


Zitat:
Zitat von Servalan Beitrag anzeigen
Was die Behandlung von Mangas betrifft, empfinde ich das zwiespältig: Jens R. Nielsen versucht zwar das nachzuholen, was einige Jahrzehnte zuvor mit den US-Independents inklusive Underground passiert ist (von Art Spiegelman, Los Bros Hernandez bis zu Drawn & Quarterly). Dieses selbst verordnete Nachsitzen hat nach meinem Empfinden bei den US-Sachen noch geklappt, obwohl da nicht so viel Herzblut zu spüren ist wie bei den Frankobelgiern.
Bei den Mangas geht das meiner Meinung nach in die Hose. Was Nielsen vorbringt, hat zwar Hand und Fuß; nach meiner Kenntnis nutzt er jedoch die These der amerikanischen Japanologin Susan J. Napier, ohne sie je zu zitieren. (Das ist das beklagte Abschreiben, über das Eckart und Carsten klagen ... zu Recht!)
http://ase.tufts.edu/faculty-guide/f...gerrusasia.htm
Und für die junge Generation, die mit Mangas aufgewachsen ist, sind seine Ergebnisse aus zweiter Hand zu dürftig, denn die kennen sich bestimmt besser in der japanischen Kultur aus als Herr Nielsen.

Ehrlich gesagt ... ich habe keinen wissenschaftlichen Artikel mehr geschrieben, seit ich aus der Uni raus bin - also seit fast 20 Jahren.
Die REDDITION ist ja auch kein akademisches Fachmagazin, sondern - wenn sie denn ein Label benötigt - ein "Coffeetable"-Produkt und damit eher dem Feuilleton zuzuordnen als der Universität.

So sehr ich Servalan in allem, was sie schreibt, zustimmen möchte, so muss ich doch ein paar Dreher in ihrer Argumentation ansprechen ...

Erstmal: Ich versuche in Sachen "Manga" nichts "nachzuholen". Ich finde, dass die japanischen KollegInnen in den Neunzigern Erzählkonzepte entwickelt haben, die allem, was sonstwo produziert wurde, weit voraus waren. Das ist eine ganz subjektive Einstellung, ich weiß. Aber wenn mir etwas begegnet, das mich fasziniert und für das ich erst einmal keine Worte habe, dann geh ich dem solange nach, bis ich zumindest mich selbst befriedigende Antworten gefunden habe.
Und dabei interessiert es mich nicht, ob andere "schneller" waren oder vielleicht das, was mich reizt, besser in Worte fassen konnten.
Ich persönlich halte diese Einstellung für absolut unwissenschaftlich - und ich frage mich, warum ausgerechnet mein Manga-Artikel in der REDDITION qualitativ und quantitativ das heftigste Feedback hervorgerufen hat, das ich je erzielen konnte.
Einerseits war der Zuspruch von bis dato Manga-fernen Comicinteressierten [aus deren Reihen sich die Leserschaft der REDDITION nach wie vor überwiegend rekrutiert] enorm - andererseits haben mich nacheinander Bernd Dolle-Weinkauff, Jaqueline Berndt und die Veranstalter der Göttinger Ringvorlesung zum "Manga-Experten" aufgebaut, erstere, um den Text umgehend als "unwissenschaftlich" abwatschen zu können.
Als hätte ich nicht selbst darin genug den Wissenschaftsbetrieb ironisierende Hinweisschilder aufgestellt ...

Wenn ich hier also beteuern muss, dass mich ausschließlich meine Zuneigung zum Gegenstand - mithin mein Herzblut - beim Schreiben antreibt, dann scheint ja die Rezeption meiner Texte irgendwie von Vorurteilen so verstellt zu sein, dass meine Absichten und Intentionen unsichtbar zu werden drohen ...

Und das führt dann zu ehrenrührigen Vermutungen wie der, ich würde mich bei anderen AutorInnen bedienen, ohne diese zu zitieren oder auch nur zu erwähnen? Hallo? Ich bin Vorstandsmitglied eines Berufsverbands von Urhebern. Ich lebe von meiner durch das UrhG geschützten Arbeit. Unter jedem meiner Texte finden sich Verweise auf Autoren, die ich nicht zitiert habe, deren Ideen ich aber im Zusammenhang mit meinen Ausführungen für interessant und lesenswert halte.
Wenn ich Susan J. Napier nicht erwähnt habe, dann aus dem einfachen Grund, dass ich ihre Arbeiten schlicht nicht zur Kenntnis genommen hatte.
Ja. Das ist unwissenschaftlich. Aber, wie gesagt: Ich schreibe nicht als Wissenschaftler über Comics, sondern als Fan - und manchmal als Praktiker.

Als solcher habe ich vielleicht nicht den intensivsten Kontakt zur "jungen Generation" - aber zumindest meine Manga-sozialisierten Schülerinnen hatten bisher nichts gegen meine Manga- und Anime-Analysen einzuwenden. Wahrscheinlich, weil diese nicht theorielastig sind, sondern auf ihre individuellen Bedürfnisse als Autorinnen und Zeichnerinnen eingehen.
Es gibt eben nicht nur den wissenschaftlichen und den Fan-Diskurs, sondern auch noch eine Reihe von beruflichen und Ausbildungskontexten, in denen miteinander geredet wird.
Und den Erfolg meines Manga-Textes führe ich darauf zurück, dass sich darin genau jene angesprochen fühlen, die nicht dem zuzurechnen sind, was hier "junge Generation" genannt wird - unabhängig vom Lebensalter übrigens: Es gibt auch viele Teenager, die keinen Zugang zum Manga finden.

Abschließend kann ich hier noch eine weitere Versicherung abgeben: Nichts, was ich zum Manga geschriebem habe, stammt aus zweiter Hand. Das alles ist - inklusive zahlreicher nicht zuende gedachter Ideen - gemeinsamer Lektüre und intensiver Diskussion unter Fachkollegen und mit Schülerinnen und Schülern diverser Bildungseinrichtungen [vor allem der animationschool hamburg] erwachsen.


Zitat:
Zitat von Servalan Beitrag anzeigen
Ja. Die wurden einfach nachgedruckt - um zwei oder drei Absätze ergänzt und um einige Fehler bereinigt.

Stimmt.
Und warum? - Weil von einer Veröffentlichung bei Verpflichtung des Vortragenden nicht die Rede war.
Der Vortrag, den ich tatsächlich in Göttingen gehalten habe, ist nicht dokumentiert. Ich bemühe mich, in meinen Vorträgen frei zu sprechen und auf die Anwesenden einzugehen.
In Göttingen gab es sehr viele Fragen zum Markt - auf den ich in meinem ursprünglichen, in Cuenca gehaltenen Vortrag mit keinem Wort eingegangen war [der Cuenca-Vortrag bildet die Grundlage des Artikels in der REDDITION].
Als dann später um eine schriftliche Version für den Vorlesungsband gebeten wurde, hätte es zwei Möglichkeiten gegeben: Entweder bekomme ich das Abfassen eines neuen Artikels auf Grundlage des Göttinger Vortrags bezahlt - oder es findet eine Zweitverwertung statt.

Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass das stete Wiederholen von Texten für interessierte Allesleser schnell frustrierend werden muss.
Für diese Zustände würde ich aber nicht die Urheber verantwortlich machen, sondern Verwerter mit unausgereiften oder von vornherein auf Ausbeutung angelegten Geschäftsmodellen. Und zu letzteren gehört der transkript-Verlag auf jeden Fall, wie schon ein Blick auf die gierigen Formulierungen im Impressum verrät.


Zitat:
Zitat von Servalan Beitrag anzeigen
Gerade die Nachdrucke des Manga-Textes müssen in den Bändchen als Feigenblatt herhalten, frei nach dem Motto: um Mangas kommen wir nicht herum und damit ist das Thema meist auch abgehandelt.

Richtig beobachtet.
Genau deshalb ist es zur Zweitverwertung im Göttinger Tagungsband gekommen.
Mein Rat: Nicht bei Aldi und Lidl kaufen - oder in diesem Fall zum "Edition Text+Kritik"-Sonderband greifen ...
Andreas C. Knigge wollte von mir ebenfalls "etwas im Stil des REDDITIONs-Artikels" - aber weil et+k sich immerhin an die verlegerischen Grundgepflögenheiten hält, gab's darin am Ende etwas Neues zum Thema zu lesen ... wenngleiich wieder an ein Manga-fernes Publikum gerichtet.


Zitat:
Zitat von Servalan Beitrag anzeigen
Im Zusammenhang mit anderen Beiträgen wirkt das dürftig, zumal ich auch die Manga-Reddition extrem schwach finde. Nielsens Beitrag betont gerade shojo-Mangas als spezifisch japanisch, doch in der gesamten Ausgabe findet sich kein Beispiel, an dem das durchexerziert wird. Da stehen mehrere Beiträge nebeneinander und ergeben ein schiefes Bild. Frédéric Boilet mußte da mit seinem Manifest noch erwähnt werden ... kurzum, diese Ausgabe empfand ich als zu oberflächlich, und gerade die wird jetzt "xerografiert"!

Ja. Es war - für die REDDITION [Redaktion wie Stammleser] - das erste "Eintauchen" in das Thema [von ein paar Zeilen zu "2001 Nights" in der SF-REDDITION mal abgesehen].
Über die Frage, woran es liegen könnte, dass "gerade die" Ausgabe noch immer gern gelesen wird [und warum es so wenig Texte aus dem Manga-Fandom in die Manga-fernen Publikumsschichten schaffen], würde ich gern einen offenen Diskurs führen.
Ich halte mich für jemanden, der aus persönlichen und beruflichen Gründen an Graphischer Literatur interessiert ist, der dabei ab und an die eine oder andere interessante Entdeckung macht, und der versucht, möglichst viele andere Interessierte anzusprechen und ein Stück weit "mitzunehmen".
Dass ich dabei offenbar auch immer mal wieder eine Idee in Worte fasse, die es als Leitthese oder als Kontrastmittel in einen wissenschaftlichen Diskurs schafft, ist schön, aber nicht mein Hauptziel.
Der letzte wissenschaftliche Text, den ich - zusammen mit Hannes Grote - überhaupt je verfasst habe, ist unsere Monografie über Hugo Pratt für das "Lexikon der Comics" [die dann in der REDDITION zweitverwertet wurde]. Damals hatten wir jede verfügbare Quelle angefasst und interpretiert. Erstaunlicherweise haben sich unsere Erkenntnisse zur Arbeitsweise Pratts bis heute nirgendwo niedergeschlagen - es wurde stattdessen weiterhin fleißig abgeschrieben und kolportiert, was Pratt selbst sich über sein Leben und sein Werk zusammengereimt hatte - obwohl einiges davon nachweislich ins Reich der Legende gehört ...

Könnte es also sein, dass "wissenschaftlich" immer das ist, was gerade ins eigene Denken passt?

Comics befriedigen Neugier. Und das Schreiben über Comics auch.

1000 Grüße,
Jens R. Nielsen
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