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Alt 08.09.2017, 23:16   #3785  
Peter L. Opmann
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Eigenartig – diese Ausgabe halte ich für hervorragend. Ich habe aber, muß ich gestehen, so gut wie keine Erinnerung an sie. Es ist wohl auch nicht so, daß ich diese Episode einst als Dreizehnjähriger langweilig fand; das würde ich sicher noch wissen. Aber sie hat sich meinem Gedächtnis nicht eingeprägt. Unzweifelhaft sind hier Action und Abenteuer ziemlich an den Rand gedrängt. Der Bösewicht dieser Ausgabe, der Androidmann (sperrig und unbeholfen schon sein Name), hat in der Serie nicht gerade für Furore gesorgt. Sein Auftritt läuft nur zwischen Seite 9 und 18 ab. Das Ding hat mit diesem immerhin unheimlich wirkenden Wesen keine größeren Probleme. Ich hatte aber gemeint, bevor ich das Ganze jetzt wieder las, daß der Zauberer Ben Grimm dazu brachte, wieder zum Ding zu werden.

Das einzige, was mir nachhaltig im Gedächtnis geblieben ist, ist das Ganzseitenpanel, das Reed und Sue in trauter Zweisamkeit zeigt. Es steht für den Charakter der ganzen Story, denn so sehr wie lange nicht mehr geht es hier um die „FV privat“. Dazu kann man auch die Bemühungen von Ben Grimm zählen, sich wieder als „Normalo“ zurechtzufinden. Seine Entscheidung, noch einmal und dann unwiderruflich zum Ding zu werden oder endgültig ein Mensch zu bleiben, ist nicht nur actiongetrieben. Wir lernen hier die Person etwas näher kennen, die sich die ganze Zeit hinter der orangenen Gesteinshülle verborgen hat.

Die ersten acht Seiten, auf denen nichts Packendes passiert, gestalten Stan Lee und Jack Kirby überraschend abwechslungsreich. Man hätte auch Ben Grimm seitenlang über seine Entscheidung grübeln lassen können, aber das wäre sicher langweilig geworden. Stattdessen: Crystal findet Ben Grimm ausgesprochen attraktiv und gibt ihm ein Küßchen, worauf Johnny sie schnell von ihm wegzieht und beide sich liebespaarmäßig kabbeln. Ben fährt zu seiner Freundin Alicia. Der Portier des Baxter Buildings wundert sich, daß er Ben Grimm nicht kennt. Bei Reed und Sue tritt eine neue Sorge auf: Das ungeborene Baby könnte mißgestaltet sein; jedenfalls sehen Sues Blutwerte (wegen der kosmischen Strahlung, der alle Mitglieder der FV ausgesetzt waren) besorgniserregend aus.

Dann sehen wir endlich, wie die Polizei das Hauptquartier des Verrückten Denkers durchsucht und dabei auf den Android stößt. Er wird durch die Wunderhandschuhe des Zauberers aktiviert, die sich freilich gar nicht in der Nähe befinden, sondern die Ben Grimm gedankenlos mit sich herumträgt. Diese Verbindung muß Lee natürlich knüpfen, um ihn in seinen entscheidenden Konflikt zu stürzen. Die Polizei kann den amoklaufenden Android nicht aufhalten. In einem Restaurant wollen Ben und Alicia gerade herausfinden, ob sich ihre Beziehung durch seine Verwandlung verändert hat. Da springt der Android durchs Schaufenster.

Halten wir einen Moment inne: Wir sehen, daß sich Ben Grimm in seiner Haut ein wenig fremd fühlt. Und schlimmer noch: Es scheint, als ob Alicia das unförmige Ding lieber mochte als den menschlichen Ben. Das deutet zwar darauf hin, daß Ben wieder zum Ding werden wird, aber das ist ja ohnehin klar. Die Serie „Fantastic Four“ wäre ohne Ding undenkbar. Die Entscheidung fällt allerdings nicht im Kampf, wie man meinen sollte, sondern wird schon vorher vorbereitet. Bemerkenswert viel Psychologie für ein Comicheftchen. Andererseits muß ich sagen: Trotzdem bleibt Ben Grimm eine eher zweidimensionale Figur. Er war nun einige Jahre lang das Ding – er könnte Probleme mit menschlichem Sozialverhalten haben; er könnte gealtert sein (speziell davon ist nichts zu bemerken). Da fand ich die Rückkehr von Captain America, der zwanzig Jahre in einem Eisblock eingefroren war, interessanter: Er sah sich New York an und bemerkte, daß er den Anschluß an die Zeit verloren hatte. Ben Grimm muß es natürlich nicht genauso gehen, aber grundsätzlich kommt er mit seiner Verwandlung bestens klar; sie fühlt sich nur irgendwie falsch an.

Dann kommt es, wie es kommen muß: Der Androidmann randaliert im Restaurant, Ben kämpft heldenmütig gegen ihn, aber kann nicht viel ausrichten. Alicia schwebt in Lebensgefahr. Ihm bleibt also nichts anderes übrig, als noch einmal zum Ding zu werden. Dann sind nur noch zwei mächtige Schläge mit der Orange-Faust nötig, und der Androidmann hängt in den Seilen. Johnny, die Fackel, kommt hinzu, wie um den Kampf für den Leser zu kommentieren: „Sieht aus wie ein super-mächtiger Android – aber nicht mächtig genug für das Ding!“

Statt seiner traditionellen drei Abschlußpanels gönnt Jack Kirby hier dem Abgang des Ding vier Panels, in denen er seine Rückverwandlung zu verarbeiten versucht (siehe oben). Das Cover ist übrigens sehr gut gelungen, ganz auf Ding konzentriert, in einer grünlich verschatteten Umgebung, in der auch Ben Grimm schemenhaft auftaucht. Ab jetzt sind nach meinem Empfinden alle Cover bis mindestens Ausgabe 97 (Williams) hervorragend. Insgesamt in dieser Ausgabe wieder mal superbes Artwork von Kirby und seinem Inker Joe Sinnott – man sollte eigentlich mehr Worte dafür erübrigen. Aber lieber noch eine andere Beobachtung: Zum ersten Mal zeigt die Williams-Redaktion hier Neuerscheinungen bei Marvel in USA (aus dem Jahr 1976): „Eternals“, „2001“, „Inhumans“, „Invaders“, „Champions“, „Omega the Unknown“ (lief nur zehn Ausgaben lang) und „Howard the Duck“. Pläne, das Marvel-Programm wieder auszubauen, scheint es aber keine gegeben zu haben. Die Redaktion empfahl, am Bahnhofskiosk nach den US-Originalen zu fragen.
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