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Alt 03.05.2016, 13:30   #84  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
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Vieles hängt vom Elternhaus ab: Die Familien meiner Eltern sind Vertriebene, entsprechend mager war der Hausstand. Nach heutigen fielen meine Eltern wohl in die Kategorie "bildungsferne Schichten", obwohl beide selbständig waren (und es teilweise noch sind). Was jemand getan hat, mußte entweder nützlich sein oder Geld bringen, und Bücher haben nur gekostet.
Mit den Büchern meiner Eltern konnte ich wenig bis überhaupt nichts anfangen. Mein Vater muß wohl mal in einem Buchklub gewesen sein, denn von ihm stammte die Reihe im Wohnzimmerregal. Von Karl May besaß er zwei Trilogien, natürlich Winnetou, aber nicht Old Shatterhand, sondern Old Surehand. Mit denen konnte ich nichts anfangen.
Was mich begeistert hat, war ein Bildband über die Entstehung der Erde, den ich aber nie gelesen habe. Das edle Buch durfte ich bloß mit spitzen Fingern anfassen, als ich schon im Gymnasium war. Die übrige Zeit stand es irgendwo hinter dem Fernseher. Allein das Herauskramen war für jemanden, der noch wuchs, eine umständliche Aktion.
Mein anderer Favorit war ein Wilhelm-Busch-Hausbuch, das ich verschlungen und wiedergelesen habe.
An Zeitungen kamen leider das unvermeidliche Springer-Blättchen und eine Lokalzeitung (Holsteinischer Courier) ins Haus. Wohl oder übel habe ich versucht, mir eine Grundlage in Sachen Kultur allgemein und Literatur im besonderen anzueignen. Also habe ich fleißig aspekte geschaut.

Der Deutschunterricht mit den unvermeidlichen Interpretationen hat mich geprägt (und zunächst in eine falsche Richtung gedrängt). Komischerweise hat mich das Studium aus diesem neurotischen Denken befreit, Literatur- und Medienwissenschaft plus Kunstgeschichte haben mir den Horizont geöffnet.

Wo ich aufgewachsen bin, gab es zu meiner Grundschulzeit eine winzige Filiale der Stadtbücherei, und da habe ich ein paarmal was ausgeliehen.
Letztlich sabotierten meine Eltern in ihrem Reinlichkeitswahn, daß ich günstige Lektüre bekam: "Wer weiß, wer das angefaßt hat! Paß auf, daß du dich nicht ansteckst, bei den Viren und Bakterien!"
Über kurz oder lang lief das auf ein Verbot von allen Büchern heraus, die nicht niegelnagelneu (und sauteuer!) waren: Nix vom Flohmarkt! Nix aus dem Antiquariat! Nix aus einer öffentlichen Bibliothek!

Was war das Ende vom Lied?
Ob zum Geburtstag oder zu Weihnachten, jedesmal maulte meine Mutter herum: "Immer nur Bücher, du wünscht dir immer nur Bücher. Wünsch dir doch mal was Nützliches - oder was Vernünftiges!"
Als ich ausgezogen bin, habe ich mir natürlich herausgepickt, die mir wichtig war und solche, die ich fürs Studium gebraucht habe. Für meine Eltern waren alle Bücher gleich, die hätten am liebsten die Regale sauber und ordentlich Meter für Meter ausgeräumt ...

Wer in einem Elternhaus aufwächst, in dem Kultur und Literatur geschätzt werden, ist natürlich im Vorteil.
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