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Alt 14.09.2016, 08:48   #163  
Detlef Lorenz
Operator 50er Jahre
 
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Heute geht es mit den Abenteuern der Weltgeschichte weiter: wegen unseres Urlaubes und anderen Dingen, die erledigt werden mussten, gab es eine größere Pause. Dafür ist die folgende Ausgabe der Serie inhaltlich von mir etwas ausführlicher behandelt worden.


Nummer 37


Afrika Lockt, H.M. Stanley, Abenteurer und Forscher






Henry Morton Stanley wurde 1841 in der walisischen Stadt Denbigh als John Rowlands geboren (nichtehelich) und kam, nachdem ihn seine Mutter zum Großvater gegeben hatte, mit fünf Jahren in ein Arbeitshaus. Dort wurde er, wie alle jugendlichen Insassen von den Wärtern geschlagen und missbraucht und von den älteren Kindern gedemütigt. Seine Mutter kam ihn vielleicht einmal jährlich besuchen. Das alles, vor allem die uneheliche Abstammung, formte sein Leben, und das nicht unbedingt zum Positiven – was durchaus verständlich ist. Was er vom Arbeitshaus mitnahm, war eine für damalige Zeiten ordentliche Schulbildung.

Mit 17 heuerte er als Schiffsjunge an und landete in New Orleans. Beim Baumwollhändler Henry Hope Stanley fand er Arbeit und wurde – nach eigenen Angaben – adoptiert. Von nun an nannte er sich Henry Morton Stanley. Im Bürgerkrieg kämpfte er für den Süden, wurde gefangen genommen, wechselte die Seiten, wurde entlassen, trat der Kriegsmarine bei, desertierte und nahm in St. Louis einen Job bei einer Lokalzeitung an. Später nahm Stanley als Berichterstatter an den letzten Indianerkriegen im Westen teil. Seine Schilderungen erregten das Aufsehen des Herausgebers des New York Herald. Dieser schickte ihn nach Abessinien, dort waren Unruhen ausgebrochen und Stanley schafft es mit Glück und Bestechung, dass nur seine Berichte nach New York gesendet wurden. Später, in Madrid, erhielt er aus Paris den Auftrag „Finden sie Livingston!“

So steht es auch in der Einleitung zum vorliegenden Heft, allerdings knapper und natürlich mit der Auslassung des Arbeitshauses. Ich habe die Biografie Stanleys bis zu zur Aufgabe den seit einiger Zeit im Inneren Afrikas zu suchen, um den Werdegang seiner Charakterbildung zu schildern und womöglich zu begreifen. In seiner Zeit in Afrika tat er schließlich Dinge, die nicht so leicht zu begreifen sind, auch nicht aus heutiger Sicht. Stanley stellte ab Anfang 1871 auf Sansibar seine Expedition zur Suche von Livingston zusammen, das zu dieser Zeit ein mehr oder weniger unabhängiges Sultanat. Einige Kolonen schickte er mit Material aufs Festland voraus und brach Ende März 1871 mit insgesamt 190 afrikanischen Trägern und nur Briten auf. Der Marsch quer durch das spätere Tanganjika genannte Land war sicherlich nicht einfach, aber schon die schiere Anzahl seiner Leute bewahrte ihn vor größeren Unannehmlichkeiten. Außerdem, und das sollte man nicht übersehen, auf so ganz unbekannten Terrain bewegte er sich nicht. Arabische Händler zogen schon lange durch das Land, betrogen und beuteten die afrikanischen Einheimischen seit Jahrhunderten aus, Elfenbein und Sklaven waren dabei die wichtigsten „Handelsprodukte“. Von einem dieser Händler hörte er von einem Weißen am Tanganjika-See. Vorher allerdings hilft er einen anderen arabischen Händler lästige einheimische Konkurrenten loszuwerden. Stanley schließt sich mit seinen Leuten einem regelrechten Heer von gut 2500 Mann an und überfällt zusammen mit diesen zusammen ein afrikanisches Dorf, dessen Häuptling das arabische Handelsmonopol bedroht. Etwas versimplifizierend beschreibt es Bood im Comicheft: „Der befestigte Ort Simbesi wird am folgenden Tag angegriffen. Von allen Seiten umstellt, fällt das Dorf nach kurzer, aber heftiger Gegenwehr den Arabern und den Leuten Stanleys in die Hände. Nach afrikanischem Kriegsbrauch werden alle Hütten geplündert und in Brand gesteckt. Der Häuptling kann entkommen.“
Hier werden, bis auf den heutigen Tag weltweit vorkommende Verbrechen so dargestellt, als ob so etwas nur auf dem afrikanischen Kontinent geschehen kann!






Am 10. November trifft Stanley am Ort Ujiji Livingston und begrüßte ihn mit den inzwischen berühmten Worten: „Doctor Livingstone, I presume?“ – „Doktor Livingstone, nehme ich an“, so soll er gesagt haben. Da es dafür keine weiteren Zeugen gibt, Livingston selbst äußert sich bis zu seinem Tode 1872 nicht dazu und europäische Zeugen gibt es nicht mehr, muss es wohl so hingenommen werden. Im Heft wird dieser Vorgang mit völlig anderen Worten dargestellt, vor allem hält hier Livingston selbst eine kleine Rede, die so auch nicht überliefert ist – seltsam, aber so steht es geschrieben. Beide erforschten aber noch das nördliche Tanganjika, dann reiste Stanley zurück nach Hause.

In London erwartete ich ein kühler Empfang, die Royal Geographical Society ignorierte ihn fast (die Herren waren sauer, das ihre Expedition Livingston nicht gefunden hatte und Königin Victoria soll sich auch nicht freundlich über ihn geäußert haben. Bood schreibt im Heft dazu: „In England, wohin sich der Forscher sogleich begibt, wird er sehr gefeiert und zum Ehrenmitglied der Königlich-geograhischen Gesellschaft ernannt“ - was stimmt nun? Ich misstraue da eher Charlie Bood und habe erst viel später, nachdem ich damals das Heft gelesen hatte, lernen müssen, wie teilweise niederträchtig und skrupellos Stanley gehandelt hat, um seinen Ruhm zu steigern.
Stanleys nächste afrikanische Expedition galt der Suche nach den Quellen des Nil, ein Thema, das schon in der Antike die Griechen und Römer beschäftigte. Insgesamt 360 Mann umfasste die Mannschaft, sogar ein zusammenlegbares Metallboot hatten sie dabei. Kämpfe mit Einheimischen, die nicht gut auf Weiße und Araber zu sprechen sind, Krankheiten, Zornesausbrüche Stanleys fordern viele Menschenleben, aber Stanley ist, das muss man anerkennen, zäh. Egal wie sein Charakter ist, er ist mutig, scheut keine persönlichen Risiken, ist zugleich unbarmherzig gegen Meuterer und Desserteure. Er, der selbst desertiert war, zeigte sich anderen gegenüber gnadenlos. Vielleicht ist er deshalb nicht im Dschungel verschwunden, wie viele vor und nach ihm.

Er kommt leicht vom Ziel ab, der Kongo nimmt ihn und seine Leute auf. Drei Jahre dauert diese Tortur, dann sind sie an der Mündung des Stromes am Atlantischen Ozean angelangt.






Einer der interessiertesten Leser seiner in England verfassten Berichte über die Nil-Kongo-Expedition war König Leopold II von Belgien. Dieser war an afrikanischen Kolonien interessiert und Stanley schien ihm der geeignetste für dieses Unternehmen zu sein. Rasch wurden sie sich handelseinig, Leopold schoss aus seiner Privatschatulle Geld vor, den Rest steuerte Stanley bei – obwohl ja eigentlich der König eine Privatkolonie haben wollte. Zurück am Kongo begann Stanley die Häuptlinge der anliegenden Stämme Papiere unterschreiben zu lassen, wobei sie so unbedarft waren, dies zu tun, obwohl sie nicht ahnten, was auf sie zukommen würde. Sie verpflichteten sich, den Boden und vor allem Arbeitskräfte dem König zur Verfügung zu stellen. Als sie sich später nicht fügen wollten, begann im Auftrag des Königs, der vor einigen Jahren noch ein weiteres Denkmal in Belgien bekam, eines der grausamsten Regimenter in Afrika zu wüten. Man schätzt – vorsichtig – dass mindestens 5-6 Millionen Menschen in wenigen Jahren ums Leben kamen, von den Verstümmelten ganz zu schweigen. Hände abhaken für „Faulheit“ oder Widerborstigkeit war an der Tagesordnung. Die schwarzen Askaris bekamen für verschossene Patronen nur Ersatz, wenn sie entsprechend Finger ihrer Opfer vorweisen konnten. Das alles hat mit Stanley natürlich nur indirekt zu tun, aber immerhin bereitete er den Boden für dieses Unmenschlichkeiten vor.
Im Comic-Heft nimmt die Inbesitznahme des Kongobeckens Stanleys für Leopold nur einen geringen Raum ein. Einige Sätze, dürre Fakten müssen genügen. Mit keinem Wort erwähnt Charlie Bood die unrühmliche Rolle Stanleys und das verbrecherische Regime von Leopolds Schergen.
Als der König endlich seine Privatkolonie fest in den Händen hielt, kamen Nachrichten aus der südlichsten Besitzung Ägyptens nach Europa, aus Äquatoria, das diese durch den Aufstand des Mahdi abgeschnitten war. Der Gouverneur dieser Provinz war Emin Pascha, geboren als Eduard Karl Oskar Theodor Schnitzer in Oppeln, Oberschlesien. Einige Rettungsexpeditionen waren bereits fehlgeschlagen, also musste Stanley ran. Mit einer mehrere hundert Mann starken Mannschaft, bestens bewaffnet, ging es wieder von Sansibar aus. Allerdings war wieder einmal die Landschaft und die dort wohnenden Menschen den Weißen nicht sonderlich freundlich gegenüber eingestellt, so traf nur ein kläglicher Rest, unterernährt und krank bei Emin Pascha ein. Dieser fühlte sich auch kaum durch den Aufstand bedroht, seine Provinz war noch immer bestens organisiert. Genau genommen rettet dieser also der Stanley-Expedition nun das Leben. Pascha weigerte sich auch für den König von Belgien zu arbeiten und Stanley zog unverrichteter Dinge ab.






Pascha und Stanley treffen sich. Bood hatte hervorragende Unterlagen, wie man an diesem Bildbeispiel sieht.

Der ganze Aufwand und die Opfer waren unnötig, trotzdem wurde Stanley in England gefeiert und bejubelt. Er war auf dem Zenit seines Ruhmes. Da trat ein Mann in sein Leben, der für ihn und den König verhängnisvoll werden sollte: Edmund Dene Morel. Dieser deckte die Gräueltaten in Leopold´s Kongo auf. Er trat eine Kampagne los, die Leopold um seine Privatkolonie und Stanley in Verruf brachte. Als Stanley 1904 starb, wurde er nicht, wie von ihm sehnlichst gewünscht, in der Westminster Abbey neben Livingston beerdigt, sondern bei seinem Wohnort Pirbright in Surrey. Auf seinem Grabstein steht: „Henry Morton Stanley, Bula Matari, 1841–1904, Africa“ Wobei „Bula Matari“ zu Deutsch „der die Steine bricht“ bedeutet und als afrikanisches Schimpfwort gilt.
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