Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 04.09.2006, 21:04   #5  
zwergpinguin
Moderator Tessloff Verlag
 
Benutzerbild von zwergpinguin
 
Ort: Am sonnigen Südpool
Beiträge: 10.962
Standard Popeye

Popeye neu übersetzt
Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern
Von Andreas Platthaus

21. Juni 2006 Nennt mich Popeye. So müßte unser Held anheben zu erzählen, wenn er selbst der Chronist seiner Abenteuer wäre. Denn es ist Sitte unter literarisch bedeutenden Seeleuten, mit einem Namen bedacht zu werden, von dem kein Leser weiß, ob es eigentlich der echte ist. Als Popeye am 17. Januar 1929 von einem zwergwüchsigen Herrn namens Castor Oil angeheuert wurde, da war er noch namenlos, und es dauerte ein paar Tage, ehe die Schwester des zwergwüchsigen Herrn, die klapperdürre Olive Oil, ihn zum Spott auf „Popeye” taufte.


Den Comic, in dem er auftrat, gab es da schon seit zehn Jahren. Gezeichnet wurde er von dem 1894 geborenen Elzie Chrisler Segar. Weil seine Serie zunächst als Lückenbüßer auf den Comicseiten einiger Zeitungen des Hearst-Konzerns begonnen hatte, nannte er sie „Thimble Theatre” - Fingerhut-Theater -, denn die Bilder mußten sehr klein gezeichnet werden. In diesem Papiertheater wurde die verrückte Familie Oil in Szene gesetzt. Aber mehr oder minder verrückte Familienserien gab es damals genug. Das hatte Segar nach zehn Jahren endlich begriffen, und er führte den Mann ein, den sie „Popeye” nannten.

Ein einfacher Mann, aber herzensgut. Und doch ein Schläger

Mit „Stielauge” könnte man das übersetzen, doch Olive Oil hatte gar keinen Grund zu lästern, denn ihr Name lautet ins Deutsche gebracht „Olivenöl” (und der ihres Bruders „Rizinusöl”). Allerdings war die Benennung des harmlosen Seemanns ganz besonders bösartig, denn Popeye hat nur ein Auge, das linke. Rechts ist eine bloße Narbe geblieben, doch dadurch sieht es so aus, als würde er zwinkern. Deshalb vermutet man, daß mehr hinter seiner verkniffenen Miene steckt, als es der Fall ist. Denn Popeye ist ein eher schlichter Charakter, ein einfacher Mann, aber herzensgut. Und doch ist er ein Schläger.

Aber das wußte am 17. Januar 1929 noch niemand. Zwar hätten die überdimensionierten Unterarme und das angeknackste Kinn seinen neuen Arbeitgeber Castor Oil darauf bringen können, daß er einen erfahrenen Preisboxer an Bord nahm. Doch Popeye ließ die Fäuste erst ein rundes Jahr später fliegen, als er schon seinen eigenen Tod hinter sich hatte. Und das kam so: Der neue Mitspieler stahl dem etablierten Ensemble im „Thimble Theatre” rasch die Show. Die Leser wollten mehr. Segar aber handelte gerade einen neuen Vertrag aus. Die Rechte an der Serie gehörten ihm nicht, also hätte man ihn durch einen anderen Zeichner ersetzen können, der dort weitergemacht hätte, wo Segar ausgestiegen wäre. Also ließ Segar seinen frischen Helden sterben. Und durchblicken, daß er ihn mit einem Trick wieder ins Leben zurückbringen könnte. Bei Vertragsabschluß.

„Plünder Eiland” - etwas ganz Besonderes

Das war blanke Erpressung, und sie funktionierte. Segar erhielt vom comicbegeisterten Hearst eine üppige Gehaltserhöhung, und Popeye wurde durch einen Taschenspielertrick gerettet, der ihm nebenbei noch sagenhafte Kräfte einbrachte. Die setzte er fortan bevorzugt im Boxring ein.

Schauen Sie sich an, was Popeye alles einstecken kann - und austeilen. Was Sie betrachten, ist etwas Besonderes: der erste Teil jenes legendären Popeye-Abenteuers, das im Original „Plunder Island” heißt. Es begann am 3. Dezember 1933 und sollte sich bis in den Juli des Folgejahres erstrecken.

Bemerkenswert ist es, weil es auf den Sonntagsseiten von „Thimble Theatre” stattfand. Erfolgreiche Comicserien bekamen in den Sonntagsausgaben der Zeitungen eine eigene Seite eingeräumt, die der Zeichner dann alleine füllen durfte. Und der Clou: Sie wurden im Gegensatz zu den täglichen Comicstreifen farbig gedruckt.

Aber dieser Unterschied verhinderte, daß Werktags- und Sonntagsfolgen als Einheit betrachtet wurden. Unter der Woche wurde in Fortsetzungen erzählt, am Sonntag in abgeschlossenen Episoden. Man hatte ja genug Platz, und den Abstand bis zur Folgewoche sah man als zu groß an, als daß die Leser sich noch an die vergangene Folge erinnern würden. Deshalb beschränkte sich Segar in den farbigen Sonntagsseiten auf abgeschlossene Erzählungen. Mit der Ausnahme „Plunder Island”.

Die Popeye-Trickfilme - Kinderkram gegen „Plünder Eiland”

Jede Woche veröffentlichen wir eine weitere Folge aus dieser berühmten Erzählung. Sie ist ein Vorgeschmack auf eine umfangreiche deutsche „Popeye”-Ausgabe, die in diesem Herbst im Mare-Verlag erscheinen wird (lieferbar ab 25. August, ca. 29,90 Euro). Bislang waren alle Übersetzungsversuche am seltsamen Idiom gescheitert, das der wenig gebildete Seemann im Original spricht. Nun hat das Hamburger Multitalent Ebi Naumann einen neuen Versuch gewagt, und er ist gerade dadurch geglückt, daß Naumann nicht versucht hat, die Wortverdrehungen und grammatikalischen Verwirrungen des amerikanischen Popeye ins Deutsche zu übertragen, sondern einen eigenen Dialekt zu entwickeln, der an in Deutschland vertraute Sprachmuster anknüpft.

Popeye kennt man bei uns meist nur aus den Trickfilmen, die seit 1932 gedreht wurden. Doch das ist Kinderkram gegen die Comics, mit denen sich Segar als einer der bedeutendsten Künstler in seinem Genre erwies. Hier treten Figuren auf, die der Comic nie zuvor gesehen hatte, und die Literatur schon gar nicht. Denn Segar ließ seinen Vorlieben freien Lauf, und es hat wohl selten einen Autor gegeben, der über eine abstrusere Phantasie verfügte.

Leider war dem Popeye aus Segars Feder wenig Zeit gegeben. 1938 starb der Zeichner an Leukämie. Den wirklichen Namen seines Helden nahm er mit ins Grab. Selbst als Popeye 1937 seinen Großvater fragte, wie er denn nun heiße, konnte der sich nicht erinnern. Aber was macht das schon? Die neun Jahre mit Popeye in Segars „Thimble Theatre” waren eine Glanzzeit der Comicgeschichte.

Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 18.06.2006, Nr. 24 / Seite 26
Bildmaterial: Mit freundlicher Genehmigung von KFC/Bulls Press und Marebuchverlag



Plus Popeye Strip (der leider in der obigen Version nicht rüberkommt)
Popeye

zwergpinguin ist offline   Mit Zitat antworten