Thema: Filmklassiker
Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 19.03.2024, 06:07   #1953  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.561
Es folgen noch ein paar Beispiele für Original und Remake. Ich beginne mit „Ein Köder für die Bestie“ (1962) von J. Lee Thompson. Martin Scorsese hat den zugrundeliegenden Roman von John D. MacDonald 1991 unter dem Titel „Kap der Angst“ noch einmal verfilmt. Bei diesem Film trügt meine Erinnerung. Ich meinte, er sei deshalb mißglückt, weil er aus Gründen der Zensur nicht das zeigen konnte, worum es eigentlich geht, den Versuch eines Gewaltverbrechers (Robert Mitchum), die Familie des Menschen, den er haßt (Gregory Peck), zu vernichten. Jetzt beim Wiedersehen fand ich, daß Thompson für seine Zeit in der Darstellung ganz schön weit geht, daß der Film aber in seiner zweiten Hälfte ziemlich unglaubwürdig ist und seine Schockeffekte dadurch verpuffen.

Thompson kam aus England, hatte bei „Riff-Piraten“ einmal mit Alfred Hitchcock zusammengearbeitet und hat sich während dieser Universal-Produktion angeblich immer wieder gefragt: Wie würde Hitchcock das inszenieren? Hitchcock hat sich solche Amoralität aber nur sehr selten erlaubt, etwa in „Frenzy“. Thompsons Film ist ziemlich abstoßend, wenn auch die Effekte wirken und die Spannung hoch ist. Die Musik ist von Hitchcock-Komponist Bernard Herrmann und trägt das ihre dazu bei. Aber „Ein Köder für die Bestie“ spielte laut wikipedia seine Kosten nicht ein, was Peck als Co-Produzenten traf. Thompson gelang es dennoch, im Geschäft zu bleiben, und drehte später unter anderem einige Reißer mit Charles Bronson.

Wir haben hier zunächst die Umkehrung eines Western-Motivs. Im Western löst der Held Konflikte oft selbst mit der Waffe in der Hand und wartet nicht erst auf den Sheriff. Hier wird Peck permanent von einem Mann bedroht, der seine Rechte genau kennt und der Polizei keine Handhabe gegen ihn gibt. Das wird allerdings so weit getrieben, daß man es nach einer Weile nicht mehr glaubt. Und am Ende schreitet Peck doch zur Selbstjustiz. Mitchum hat wegen einer Aussage von Peck gegen ihn acht Jahre im Knast gesessen und will sich nun an ihm rächen. Genauer gesagt: an ihm, seiner Frau (Polly Bergen) und seiner etwa 15jährigen Tochter (Lori Martin). Er bedroht Peck, als er in seinem Auto sitzt; er vergiftet den Hund, der Pecks Grundstück bewacht; er bedroht Bergen am Telefon und verfolgt Martin in ihrer Schule, bis sie in Panik vor ein Auto läuft. Die Polizei zuckt die Schultern und sagt: Wir können erst eingreifen, wenn er ein Verbrechen begangen hat.

Peck versucht, ihm etwas anzuhängen, aber Mitchum hat einen gerissenen Anwalt. Er will ihn mit Geld abfinden, aber Mitchum findet, die verlorenen Jahre im Gefängnis seien gar nicht mit Geld aufzuwiegen. Er engagiert schließlich drei Schläger, die Mitchum aber im Alleingang fertigmacht, was Peck selbst in Schwierigkeiten bringt. Am Ende stellt er Mitchum eine Falle: Er quartiert Frau und Tochter auf einem Hausboot am Cape Fear ein, geht zum Schein auf Dienstreise, kehrt aber sofort zurück und wartet auf Mitchum, um ihn zu erschießen, sobald er das Hausboot betritt (das immerhin darf man als Amerikaner). Es folgt ein knapp halbstündiger Showdown, bei dem Mitchum Pecks Familie beinahe doch erwischt, zum Schluß aber angeschossen wird und wieder hinter Gitter wandert – weil ein schneller Tod laut Peck für ihn zu einfach wäre.

Mich erinnert das Ganze ein wenig an Horrorfilme, in denen das Opfer ausgerechnet in eine einsame Hütte mitten im Wald flieht. Warum kann Mitchum die Familie immer ohne Zeugen abpassen? Würden sie darauf achten, sich möglichst viel in der Öffentlichkeit zu bewegen, könnte er gar nicht an sie herankommen. Noch absurder erscheint mir die Hausboot-Falle. Ebensogut hätte die Familie ihn in ihrem eigenen Haus erwarten können – hätte den Vorteil gehabt, daß sie sich da auskennt. Mal sehen, wie Scorsese das im Remake gemacht hat, das ich damals im Kino gesehen habe. Sein „Kap der Angst“ arbeitet natürlich mit viel drastischeren Schockeffekten, aber die Handlung erschien mir gleichzeitig nachvollziehbarer. Oder wurde das Psycho-Duell so übersteigert, daß man an Wahrscheinlichkeit – wie das Hitchcock auch bevorzugt hätte – gar nicht mehr dachte?

„Ein Köder für die Bestie“ hat interessante Nebendarsteller, etwa Martin Balsam als Polizeichef, Telly Savalas (noch behaart und ohne Lolly) als Privatdetektiv, den Peck anheuert, und Barrie Chase (viel später noch einmal aufgefallen im Zusammenhang mit „Me too“) als Frau, die von Mitchum vergewaltigt wird, aber Angst hat, gegen ihn auszusagen. Der Film transportiert ein unangenehmes Wohlwollen für Selbstjustiz. Peck weist einen unvorteilhaften Zug von Selbstgerechtigkeit auf, den man sonst bei seinen Figuren nicht sieht. Mitchum spielt seine Rolle gut, aber auch so, daß man es schließlich billigt, wenn er „in Notwehr“ umgebracht werden soll. Dafür ist es erforderlich, daß man von ihm und seinen Beweggründen kaum etwas erfährt. War er zu Recht im Gefängnis oder nicht? Was für ein Verbrechen hat er eigentlich begangen? Warum hat er gerade auf den Zeugen Peck einen solchen Haß und nicht vielleicht auf den Staatsanwalt, den Richter, die Geschworenen? Das braucht der Zuschauer alles nicht zu wissen. Das würde nur seiner Lust schaden, ihn verlieren, ihn möglichst sterben zu sehen.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten