Thema: Filmklassiker
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Alt 26.10.2022, 07:52   #97  
Peter L. Opmann
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Obwohl sie schon tot war, als ich geboren wurde, interessiere ich mich seit langem für Marilyn Monroe. In ihrem filmischen Werk gibt es für mich fast nur Klassiker; natürlich muß man die frühen Filme, in denen sie in Nebenrollen mitwirkte, in Klammern setzen. Ich denke, ab „Niagara“ (1952) gibt es keinen Monroe-Film mehr, der nicht durch sie zum Klassiker wurde. Ich will mir aber jetzt einen Film vornehmen, der etwas aus dem Rahmen fällt und den vielleicht auch nicht jeder auf dem Schirm hat: „Der Prinz und die Tänzerin“ (1957). Das ist der einzige Film, den sie in Europa gedreht hat, die einzige Zusammenarbeit mit der britischen Schauspiel-Ikone Laurence Olivier (der auch Regie führte) und der einzige Film, den sie produziert hat. Er erzielte einen Gewinn, war aber für ihre Verhältnisse enttäuschend. Vielleicht liegt das daran, daß es eine Komödie anderer Art ist, als was das Publikum von ihr erwartete.

Der Film entspricht zunächst mal genau dem Titel: Er handelt von einem Prinzen eines osteuropäischen Phantasie-Fürstentums und einer amerikanischen Showtänzerin, die in London aufeinandertreffen. Der neue, noch jugendliche König soll hier gekrönt werden. In dem Fürstentum gibt aber sein Vater, der Prinzregent (Olivier), den Ton an. Der Sohn möchte zuhause einige Reformen durchführen und das Land modernisieren; das will Olivier verhindern. Vor der Krönungsfeier will er sich aber zunächst amüsieren. Er besucht eine Theatershow, läßt sich hinterher alle mitwirkenden Tänzerinnen vorstellen und wird dabei auf die sehr aufgeregte Monroe aufmerksam, weil sie ein Problem mit ihrem Büstenhalter hat. Olivier lädt sie darauf zum Abendessen – und offenbar zu mehr – in seine fürstliche Suite ein.

Monroe denkt zunächst, sie werde Teil einer großen Abendgesellschaft sein, merkt aber schnell, woher der Wind weht, als sie erkennt, daß sie der einzige Gast zum Abendessen ist. Da erteilt sie Olivier schnell und selbstbewußt eine Absage und will gehen – nicht ohne ihn darauf hinzuweisen, daß sie wenigstens etwas mehr Romantik erwartet hätte. Olivier bringt sie jedoch dazu, in seiner Suite (in einem eigenen Zimmer) zu übernachten, und gelobt Besserung. Das ist ihm wahrscheinlich noch nie passiert, daß eine Frau, die er verführen wollte (und für die er nur geringes Interesse aufbringt), ihn abblitzen läßt. Nach seinen Vorstellungen hätte er Monroe nach einem netten Abend weggeschickt und sich wieder seinen Staatsgeschäften gewidmet, nun aber bittet er sie zu bleiben. Sie zeigt, je besser sie ihn kennenlernt, immer weniger Respekt vor seiner hohen Stellung, gewinnt ihn aber andererseits lieb – gerade wegen seiner Schwächen.

Monroe macht noch vor der Krönung auch die Bekanntschaft des jugendlichen Königs und seiner Revolutionspläne sowie der Mutter des Prinzregenten (Sybil Thorndike), einer sehr exzentrischen Dame, zu der sie aber auf weiblicher Ebene einen Draht findet. Sie greift auch in das sehr gespannte Verhältnis von Vater und Sohn ein, vermittelt zwischen ihnen und hilft, ein paar von den demokratischen Reformen, die er fordert, durchzusetzen. Das hätte Olivier wohl am wenigsten erwartet, daß sich eine kleine Tänzerin in seine politischen Ränkespiele einmischt. Dabei merkt er nun auch, daß er sich in Monroe verliebt hat. Unversehens darf sie an der Krönungszeremonie teilnehmen. Es stellt sich aber dann heraus, daß die beiden nicht zusammenkommen können: Er muß in sein Fürstentum zurückkehren, und sie hat noch einen laufenden Vertrag in ihrem Theater. Es wird aber angedeutet, daß er zurückkehren wird, sobald er abgedankt hat und sein Sohn im Amt ist.

Das Besondere an dem Film ist nicht die zugegeben etwas lahme Story, sondern das Spiel von Monroe und Olivier. Wie da die Klischees der Standesunterschiede auf links gewendet werden, finde ich grandios. Olivier verändert sich unter dem Einfluß der Tänzerin völlig, und Monroe spielt ein einfaches, nicht sehr intelligentes Mädchen, jedoch mit viel praktischem Sinn und sogar Lebensklugheit. Es ist ganz und gar nicht die gewohnte Rolle des blonden Dummchens, unter der sie litt. Allerdings wirkt sie selbstredend sehr attraktiv.

Die Dreharbeiten müssen jedoch ziemlich nervenaufreibend und schwierig gewesen sein. Monroe war damals schon psychisch angeschlagen, ließ sich ausschließlich von ihrer Schauspiellehrerin Paula Strasberg etwas sagen, und es dauerte entsprechend endlos, bis ihre Szenen gedreht waren. Olivier hatte sie offenbar nur wegen ihres großen Namens als Partnerin ausgewählt, kam mit ihrer Darstellungsweise nicht klar und mußte sich letztlich von ihr an die Wand spielen lassen. Es war wohl so, wie Billy Wilder einmal sagte: Mit Monroe zu drehen, war wie im Zahnarztstuhl zu sitzen und einen Weisheitszahn gezogen zu bekommen, aber am Ende kommt ein wunderbarer Film dabei heraus. „The Prince and the Showgirl“ entsprach aber anscheinend nicht den Erwartungen des US-Publikums, das Monroe eben nur als Sexbombe sehen wollte. Vielleicht war ihm der Film auch zu britisch – Olivier hatte den Stoff vorher bereits zusammen mit seiner Frau Vivian Leigh in England auf die Bühne gebracht.

Es gibt ein Biopic über die Entstehung dieses Films, "My Week with Marilyn“ (2011). Da werden die Dreharbeiten aus der Sicht von Colin Clark dargestellt, der damals als Assistent dabei war und, jedenfalls laut dieser Darstellung, der einzige war, der Monroes Probleme erkannte und sie dazu bewegen konnte, die Dreharbeiten nicht völlig zu ruinieren. Finde ich auch sehr empfehlenswert.

Geändert von Peter L. Opmann (26.10.2022 um 07:58 Uhr)
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