Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 13.10.2017, 15:33   #3831  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.507
Kurz habe ich überlegt, ob ich den nun beginnenden Vierteiler erst komplett lesen soll, bevor ich über den ersten Teil schreibe. Aber ich will mir die vier Ausgaben doch einzeln zu Gemüte führen, wie ich das 1977 auch getan habe. Um es gleich vorwegzunehmen: Diese monumentale Doom-Story, die ich für einen der absoluten Höhepunkte in der Phase von Jack Kirby gehalten habe, erweist sich aus heutiger Sicht als ziemlich uneinheitlich, mit unguter Ideologie aufgeladen und teilweise lächerlich. Aber es ist auch nicht so, daß ich überhaupt nicht mehr erkennen könnte, was mir als Elf- oder Zwölfjährigem daran imponiert hat.

Die FV sind auf dem Rückflug von der Großen Zuflucht, wo sie eben den irren Maximus in die Schranken gewiesen und vertrieben haben. Ärmlich gekleidete Menschen mit Fellmützen auf dem Kopf beobachten staunend ihr „Gyroschiff“ (klingt griechisch; sie fliegen halt mit irgendwas sich Drehendem – nicht mit einem Fleischspieß). Kurz darauf werden sie von Jets des Geheimdienstes S.H.I.E.L.D., angeführt von Nick Fury persönlich, abgefangen und auf ihre nächste Mission geschickt, die genau betrachtet ihrem Kampf gegen Maximus gar nicht so unähnlich ist. Lee und Kirby verdeutlichen, worum es geht, indem sie den Schauplatz nach Latveria verlegen, das Fantasiereich von Dr. Doom.

Ein Untertan flieht durch einen Geheimtunnel. Er will die Welt vor Dr. Doom warnen. Doch eben als er das Meer erreicht, steht er Doom und seiner Roboterpolizei gegenüber. Der ist natürlich über den Fluchtversuch genauestens informiert und erschießt den unbotmäßigen Mann – nein, die Pistole ist glücklicherweise nur auf Betäubung eingestellt. Doom deutet aber an, daß er durch eine Gehirnwäsche dafür sorgen wird, daß so etwas nie wieder vorkommen wird. (Hätte er das gleich gemacht, hätte er seinem Untertanen nicht nachlaufen müssen.)

Fury erklärt den FV nun, was er von ihnen will. Was ihn beunruhigt, ist der abgerissene Unterarm eines von Dooms Robotern (der auf unbekannte Weise in seinen Besitz gekommen ist). Unerwartet wird der Maschinenarm aktiv, zischt durch den Raum und greift sich eine Pistole. Die Fackel reagiert geistesgegenwärtig und verwandelt ihn in ein Häufchen Asche. Fury ist nicht erfreut: Tony Stark sollte den Arm eigentlich analysieren. Diese kleine Szene ist widersprüchlich, wie ich das von Stan Lee nun schon kenne: Wieso liegt der Arm einfach so herum, wenn er so gefährlich ist? Wollte Fury nicht genau das, was passierte, als er außer Kontrolle geriet? Und wie sonst hätte man ihm Einhalt gebieten können, außer auf die Weise, wie Johnny Storm es tat? Solche Fragen habe ich mir als Junge nicht gestellt. Doch zugegeben, dramatisch wirkt die Episode schon.

Die FV sollen nachsehen, was es mit Dooms Robotern auf sich hat, denn klar ist, daß ein komplettes Teil (und erst eine ganze Armee) noch viel, viel gefährlicher sein muß als so ein abgerissener Arm. In der nächsten Szene stehen sie, verkleidet als Geschäftsleute, mit einem normalen Auto an der Grenze zu Latveria. Die Szene wird auf eineinhalb Seiten ausgebreitet, und ich finde sie heute ärgerlich. Denn hier sind wir mitten im Kalten Krieg. Latveria, so lesen wir hier, soll auf dem Balkan liegen. Aber ohne jeden Zweifel reisen die FV hier in die Sowjetunion ein. Ihnen wird ausführlich erklärt, daß sie dort keinerlei staatlichen Schutz haben werden, und wir erfahren, daß noch niemand, der das Land betrat, jemals wieder zurückgekehrt ist (!). Was sich gleich darauf eindrucksvoll zu bestätigen scheint.

Offensichtlich wurden die FV schon erwartet. Das Auto wird in seine Einzelteile zerlegt, und Dooms Roboter erscheinen, um sie gefangen zu nehmen. Crystal scheint zu keinerlei Gegenwehr fähig (dabei gebietet sie doch über mächtige Elementarkräfte), Johnny wird durch einen Stromstoß, Reed durch Hitze außer Gefecht gesetzt. Ding fällt einem Betäubungsgas zum Opfer. Als es erwacht, findet es sich zu seinem höchsten Erstaunen in einem luxuriösen Hotelzimmer wieder. Ein Diener will gerade das Frühstück servieren. Kurze Zeit später sind die vier Helden wieder vereint. Alle werden vom Hotelpersonal äußerst zuvorkommend behandelt. Draußen auf der Straße sieht alles friedlich aus; mehr noch: die Latverianer jubeln den FV zu. Aber Reed ahnt, daß etwas nicht stimmt. Er läuft zur Grenze des Fürstentums und will sie überschreiten, doch durch einen „Lähmstrahl“ wird er daran gehindert. Doom erscheint auf einem Überwachungsbildschirm und erklärt seinen Gefangenen: „Ihr werdet hierbleiben und für immer glücklich sein… oder ihr werdet sterben!“

Ich glaube nicht, daß diese Story 1969, als sie in USA erschien, noch in die Zeit paßte. Aber selbst wenn ich da mal ein Auge zudrücke, muß ich feststellen, daß Lee und Kirby mir zum wiederholten Mal eine Geschichte über einen durchgedrehten Schurken, der nach absoluter Macht strebt und sich dabei von irgendwelchen Kampfrobotern unterstützen läßt, verkaufen wollen (in die gleiche Kategorie fallen etwa auch der verrückte Denker und der Psychomann aus der Mikrowelt). Habe ich als Kind gar nicht gemerkt, weil die Hefte trotz aller Wiederkehr der Motive doch immer wieder spannend sind. Neu ist hier das Motiv des Goldenen Käfigs; eine immerhin ziemlich originelle Variante. Werden Marvel-Helden gefangengenommen, dann wachen sie sonst in aller Regel in einem Folterkeller auf und hängen an irgendeinem massiven Gestell, von dem sie sich meistens dann doch losreißen können, damit die Story weitergehen kann. Dieses Klischee wird umgangen, aber es wimmelt von Wendungen, die keinen rechten Sinn ergeben. Ich meine: Haben die FV wirklich erwartet, sich in Zivil in Latveria ungestört umsehen zu können? Sie kennen Dr. Doom schließlich gut. Warum sind sie einmal so schwach, daß sie problemlos gefangengenommen werden können, und dann im richtigen Moment wieder so mächtig, daß sich ihnen niemand in den Weg stellen kann? Warum übernimmt S.H.I.E.L.D. eine Spionageaufgabe wie die Enttarnung von Dooms Roboterarmee nicht selbst? Dazu sind Furys Agenten doch viel besser qualifiziert als die FV. Andere Widersprüche habe ich schon angedeutet: Doom übt totale Kontrolle über sein Volk aus – aber manchmal eben doch nicht. Wie ist Nick Fury zu dem abgetrennten Roboterarm gekommen?

Für all diese Widersprüche gibt es eine Erklärung: Es kann auf diese Weise spannender erzählt werden, als wenn man glaubwürdiger bleiben würde. Es wird einfach ein spektakuläres Motiv an das andere gereiht. Das heißt auch: Nur in Form von „Camp“ kann man als älterer Leser so etwas noch gut finden. Immerhin: Die Grafik von Jack Kirby hat meine Erwartungen auch in diesem Heft voll erfüllt. Er erschafft ein wunderbar pittoreskes Europa, füllt seine großen Panels immer wieder mit vielen wundersamen Details und lockert die dramatische Optik durch schöne Karikaturen (vor allem des Ding) auf. Das Cover ist ein gutes Beispiel dafür: Eine Straßenszene in Latveria mit Blaskapelle und etwas altmodisch gekleideten Bürgern. Die FV fliehen vor einem riesenhaften Dr. Doom, der hinter einer Burgfassade auftaucht. Das Motiv hat mit der Story recht wenig zu tun, hat sich mir aber über 40 Jahre tief eingeprägt. Da zur Zeit die „Daredevil“-Storys gedrittelt werden, hat die Redaktion viel Platz im Heft – neben der redaktionellen Seite diesmal auch für ein Miniposter von Dr. Doom.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten