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Alt 25.02.2018, 15:28   #67  
Servalan
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Sånger från andra våningen | Songs from the Second Floor (Schweden / Dänemark / Norwegen / Frankreich / Deutschland 2000, Danmarks Radio, Easy Film A/S, Nordisk Film- & TV-Fond, Norsk Rikskringkasting, Roy Andersson Filmproduktion, SVT Drama und Svenska Filminstitutet), Drehbuch, Regie, Schnitt und Produzent: Roy Andersson, 90 min, FSK: 16

Die Uraufführung fand 2000 auf dem 53. Filmfestival in Cannes statt, wo das Werk mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet wurde. In den folgenden Monaten tourte Roy Anderssons absurdes Miniaturenkabinett auf weiteren Filmfestivals durch Europa, Asien, Nord- und Lateinamerika. 2002 brachte der Verleih Rapid Eye Movies den bitterbösen Film in deutsche Arthousekinos, so daß der eine oder die andere den Film kennen kann.

Die "Lieder aus der zweiten Etage" wirken am besten auf einer großen Leinwand, weil sie aus einer Reihe langer statischer Einstellungen bestehen, in denen meist kaum etwas passiert. Die einzelnen Szenen sind nur locker miteinander verbunden, hie und da taucht mal eine der gewöhnlichen Figuren wieder auf. Auf Handlung im klassischen Sinne wird verzichtet.
Dadurch wird Songs from the Second Floor zu einer Serie von Tableaux vivants, lebendig gewordenen Gemälden. Anderssons Konzept steht in der surrealen Tradition des späten Luis Buñuel (Der diskrete Charme der Bourgeoisie, Das Gespenst der Freiheit, Dieses obskure Objekt der Begierde). Alltägliche Situationen laufen ins Leere oder spitzen sich auf groteske Weise zu. Manchmal besteht die Pointe darin, eine erwartete Pointe zu verweigern. Zumal sämtliche Figuren zum Scheitern verurteilt sind.

Weiteren Kitt liefern gut formulierte Kalenderweisheiten, die als Leitmotiv von verschiedenen Figuren ausgesprochen werden. Die Sprüche verstärken die kafkaeske Atmosphäre, stammen jedoch vom peruanischen Dichter César Vallejo (1892 - 1938), der zu den wichtigsten Erneuerern der Poesie im 20. Jehrhundert gezählt und mit Dante verglichen wird.
Wer André Franquins Idées noires | Schwarze Gedanken und Miguelanxo Prados Quotidiania delirante | Der tägliche Wahn mag, könnte auf den Geschmack kommen. Der berühmte Kritiker Roger Ebert meinte, das sei kein Film, den man mag, aber vergessen könnte man ihn nicht.

Was im kommerziellen Kino funktioniert, wird auch im Arthousekino benutzt: Roy Andersson hat Songs from the Second Floor in den nächsten anderthalb Jahrzehnten zu einer Trilogie ausgebaut.
Die beiden Fortsetzungen heißen Du levande | Das jüngste Gewitter (Schweden / Frankreich / Deutschland / Dänemark / Norwegen 2007, 95 min) und En duva satt på en gren och funderade på tillvaron | Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach (Schweden / Norwegen / Frankreich / Deutschland / Dänemark 2014, 101 min, FSK: 12).

Geändert von Servalan (22.03.2024 um 13:49 Uhr)
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