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Alt 29.07.2017, 17:50   #3762  
Peter L. Opmann
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Diese Ausgabe finde ich mißglückt, aber sie hat ihre Bedeutung, und sie ist auch in Details der Story interessant. Dies ist eines der frühesten Beispiele dafür, daß bei Marvel eine Geschichte über unterschiedliche Serien hinweg erzählt wird. Erst bekommt es der Dämon („Daredevil“) mit einem ziemlich unwahrscheinlichen Gegner zu tun, nämlich Dr. Doom. Der Showdown findet dann dort statt, wo er hingehört, nämlich bei den Fantastischen Vier. Da hat jedenfalls Stan Lee den Samen gelegt für eine Praxis, die inzwischen monströse Formen angenommen hat, das Crossover.

Dr. Doom ist übrigens in der vorherigen Ausgabe fälschlich angekündigt worden, denn er ist hier schon wieder aus dem Spiel. Die Behauptung, daß er in diesem Heft vorkommt, läßt sich nur insofern aufrechterhalten, als die FV den Dämon irrtümlich für Doom halten. Ich habe einen Blick in FV # 99 geworfen, wo die betreffende „Dämon“-Episode endet: Doom tätigt einen Scherzanruf bei den FV. Mit der Stimme des Dämon warnt er, Dr. Doom sei in Gestalt des Dämon auf dem Weg zum Baxter Building. Wäre ich Reed Richards, würde ich das jedenfalls für einen Scherzanruf halten. Tatsächlich aber nimmt Reed die Warnung für bare Münze; das Quartett bereitet sich vor, den Dämon zu bekämpfen.

Die Akteure kennen sich: In FV # 36 half der Dämon schon einmal den FV, als sie ihre Superkräfte verloren hatten – interessanterweise ebenfalls gegen Dr. Doom. Das Mißverständnis, aufgrund dessen FV und Dämon aber nun aneinander geraten, wirkt ziemlich aufgesetzt. In der vorausgehenden Dämon-Story („Daredevil“ # 36 bis 38) gab es einige taktische Finessen und überraschende Wendungen, hier aber geht es eigentlich nur um die „Flammen des Kampfes“, wie die Episode betitelt ist. Wohl ein Hinweis darauf, wie stark der Zeichner im Marvel-System den Charakter der Story mitbestimmt hat. Hier zeichnet Jack Kirby; beim „Daredevil“ war das Gene Colan (Autor ist jeweils Stan Lee).

Der Dämon will also den FV quasi dieselbe verrückte Geschichte erzählen, die sie von Doom schon gehört haben. Eigentlich müsste er darauf gefaßt sein, daß er gleich angegriffen wird. Wobei ich allerdings von den FV erwarten würde, erstmal zu prüfen, ob an der Räuberpistole was dran ist. Aber Kirby verfährt wohl gern nach dem Motto: Erst schießen, dann fragen. So fliegt die Fackel aus, als sich der Dämon arglos nähert. Mithilfe eines Wassertanks kann er sie zunächst aus dem Verkehr ziehen. Gleich darauf bekommt er es jedoch mit Mr. Fantastic und dem Ding zu tun. Auch denen hat er durchaus etwas entgegenzusetzen.

Unmittelbar davor ist er aber der Spinne über den Weg gelaufen und hat ihr geklagt, daß die FV auf seinen Fersen sind. Die Spinne ruft Thor zu Hilfe, und sie mischen sich an der Seite des Dämon in den Kampf ein. Wir haben nun elf Seiten Action, wobei Thor gegen das Ding antritt, die Spinne es mit seinem alten Kumpel Fackel zu tun bekommt und der Dämon sich mit Reed Richards auseinandersetzt. Am Ende stoppt die Auseinandersetzung unvermittelt – Sue greift ein; sie weiß aus dem Fernsehen, daß sich der Dämon aus den Fängen Dr. Dooms befreien konnte und man also hier den echten Helden vor sich hat. Die Akteure sagen „nichts für ungut“ (Dämon verbucht den Kampf als Trainingsstunde) und gehen wieder ihrer Wege. Reed und Sue liegen sich tief bewegt in den Armen.

Das alles kommt mir ziemlich hanebüchen vor, konstruiert und dumm. Die Gaststar-Karte spielen Lee und Kirby aber recht geschickt. Die Figuren treffen so aufeinander, daß die unterschiedlichen Charaktere zur Geltung kommen: Dämon und Spinne reagieren impulsiv und recht aggressiv aufeinander, wie das in der Dämon-Story in FV # 42 bis 44 schon gezeigt wurde. Thor hat gerade ein Problem: Ihm hat Vater Odin die Hälfte seiner Kräfte genommen; er kann unter anderem nicht mehr fliegen. Der Angriff der FV auf den Dämon widerspricht seinem Gerechtigkeitsempfinden, und er entscheidet sich einzugreifen. Durch sein Handicap ist er zum passenden, eher leicht unterlegenen Gegner des Ding geworden. Dämon und Mr. Fantastic, die beiden Intellektuellen, diskutieren beim Kämpfen darüber, wie sie die Wahrheit herausfinden könnten. Durch diese Elemente ist die Geschichte immerhin ganz gut lesbar.

Für die Zeichnungen verdient Jack Kirby ein Extralob. Während er mit den FV und Thor viel Routine hatte, zeichnete er Dämon und Spinne sonst kaum. Seine Interpretation dieser Figuren kann sich aber durchaus sehen lassen, wenn ich auch die Zeichner John Romita und Gene Colan immer vorziehen würde. Als Actionspezialist gestaltet Kirby, unterstützt von Inker Joe Sinnott, die Duelle von Reed und Dämon, Ding und Thor und Fackel und Spinne absolut sehenswert. Übrigens gibt es bei den Marvels nun auch endlich ein professionelles Lettering - ob es von Marlies Gerson oder Christa Manner stammt, ist allerdings unsicher.

Eines fiel mir schließlich noch auf: Die Williams-Produktionen beinhalten ja häufig Leserbriefseiten. Aber die in diesem Monat ist so kontrovers wie kaum sonst. Es wird kritisiert, die Marvel-Helden seien von denen von DC abgekupfert, die Gruselstorys in „Dracula“ und „Frankenstein“ werden bemäkelt, das Papier, auf dem Williams druckt, sei zu billig, und es gibt eine Generalkritik an der Sprache in „Dr. Strange“. Und etwas, was mir all die Jahre im Gedächtnis geblieben ist: Eine Leserin wirft dem Williams-Verlag vor, er wolle nur Geld verdienen. Worauf die Redaktion ziemlich ungeschminkt antwortet: Klar will der Verlag Geld verdienen, was sonst? Man kann vermuten, daß die Leserbriefe wohl noch vor der Entscheidung, mehrere Marvel-Titel einzustellen, ausgewählt worden sind. Jedenfalls: Man sieht, die Redaktion nahm den Dialog mit den Lesern ernst – sowas gab es im Comicbereich sonst kaum, und es wäre heute, im Zeitalter des perfekten Marketing, wohl in einem Comicmagazin undenkbar.
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