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Alt 04.07.2013, 08:26   #94  
Detlef Lorenz
Operator 50er Jahre
 
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Im vorletzten ALFONZ, 2/2013, befindet sich ein Miniartikel zur Comicserie Bob und Ben von Hansrudi Wäscher. Als ich um einen Beitrag zu diesem Titel gebeten wurde, war meine einzige Vorgabe, nicht zu lang. Nun ist das natürlich eine relative Aussage, aber ich habe mir Mühe gegeben, nicht zu ausufernd zu werden. Allerdings war alles zu umfangreich und ich kürzte meinen Text immer weiter runter, bis er passte.

Jetzt dachte ich, dass es vielleicht schade wäre, den ursprünglichen Artikel in der Schublade, der Ablage, oder gar im Papierkorb mit allen seinen Konsequenzen verschwinden zu lassen. Nach dem Erscheinen der neusten Ausgabe des ALFONZ stelle ich ihn hier mal ein, dann war die ganze Arbeit nicht ganz umsonst. Die Abbildungen sind aus dem Deutschen Comic Guide.



Bob und Ben

Anfang der 1960iger Jahre büßte der Hannoveraner Walter Lehning Verlag langsam aber unerbittlich seine führende Stellung auf dem Sektor der Abenteuer-Comics in Deutschland ein. Was ein paar Jahre vorher noch prächtig funktioniert hatte, den Markt mit billigen Formaten (Piccolo, etwa 17cm x 7,5cm) regelrecht zu überschwemmen, scheiterte nicht so sehr am mangelnden Absatz, der Handel sperrte sich immer mehr gegen die geringe Verdienstmarge an einem Verkaufspreis von 20 Pfennig. Auch eine Anhebung 1960 auf 30 Pfennig – mit vorübergehendem Farbdruck – vermochte den Zeitschriftenhandel nicht zufrieden zu stellen. Lehning, in den fünfziger Jahren noch Visionär und Vorreiter auf dem sich etablierenden Comicmarkt, ignorierte die Warnsignale und setzte mehr denn je auf Billigimporte, oder sein Hauszeichner Hansrudi Wäscher musste, wie des Öfteren, eine neue Comicserie aus dem Stegreif vorlegen. Als sich die unumgängliche Einstellung der Piccolo-Serie Marco mangels genügender Umsatzzahlen abzuzeichnen begann, benötigte der Verlag eine weitere Reihe, um die Druckbögen kostensparend auszunutzen. Jeweils vier Piccolo-Serien wurden zu dieser Zeit in der hauseigenen Berliner Druckerei in einem Durchlauf gedruckt. Die anderen drei Reihen waren dabei schon von Wäscher: Tibor, Falk beide mit neuen Abenteuern und Sigurd mit Nachdrucken der ersten Serie aber neuen Titelbildern. (1) Wäscher musste es wieder richten und gab bald darauf die Zeichnungen für das erste Heft der neuen Reihe Bob und Ben in der Redaktion ab.




Nach dem Rittergenre (Sigurd, Falk), den Dschungelepigonen Akim und Tibor und historisierenden Themen (Gerd und Jörg), verlegte Hansrudi Wäscher die neue Serie in die Gegenwart: Bob Hart und Ben Durkin sind zwei ehemalige amerikanische Militärpiloten, die sich im Koreakrieg kennen gelernt hatten. Nach dem Krieg zogen sie eine Zwei-Mann-Flugshow auf, die „Blue Devils“. Mit dem für ihre Zwecke umgebauten englischen Weltkrieg 2 Model Spitfire, mit dem Namen „Donald“, wurden sie in den Vereinigten Staaten durch ihre waghalsigen und spektakulären fliegerischen Stunts rasch berühmt. Wäscher beginnt seine Geschichte am Grand Canyon. Hier ist ein neues Hotel entstanden, das direkt am Rand der Schlucht gebaut wurde. Als Attraktion verfügt es über eine Aussichtsplattform, die über den Rand des senkrechten Felssturzes hinausragt. (2) Vom Management sind Bob und Ben für die Eröffnungsfeierlichkeiten engagiert worden und sollen sie mit ihren Flugkunststücken aufpeppen. Als die Beifall umtoste Show ausklang, entdecken sie aus der Luft zwei Autos, die auf den Rand der Schlucht zurasen. Ihre erste Vermutung einen „Halbstarkenspaß“ zu beobachten, revidieren sie bald. Sie erkennen, dass sie ungewollt einer Verfolgungsjagd beiwohnen, bei der einer der Wagen in die Schlucht abgedrängt wird.

Auf zweiunddreißig Piccolo-Heft-Seiten entfaltet Wäscher in eindrucksvollen schwarz-weißen Bildern ein Stück Abenteuer aus dem Fliegermileau, gerade so, als ob er seit Jahren nichts anderes gemacht hätte. Er wechselte vom (Ausschnitt-) Blick in die Kanzel zur totalen und zurück ab, so dass beim Leser der Eindruck des Dabeisein erweckt wird. Hansrudi Wäscher ist sich der Möglichkeiten - aber auch der Begrenztheit - des Formates bewusst, er nutzt die Beschränktheit der kleinen Bilder voll aus, auch da, wo andere Zeichner die Albumseite benötigen.

„Natürlich“ lebt der verfolgte Fahrer noch (er liegt bewusstlos auf einem Felsvorsprung), natürlich gehen Bob und Ben dem mysteriösen Geschehen nach und bieten dem Verunglückten ihre Hilfe an. Mister Brookfield ist auf der Suche nach einem verschollenen Inka-Schatz, der im nördlichen Brasilien oder im angrenzenden Kolumbien zu finden sein soll. Dieser ist auf ein Pergament aus der Zeit des Fernando Cortez gestoßen: es erzählt, dass der größte Teil des Montezumaschatzes vor der Übergabe an Cortez von Priestern fortgeschafft wurde, eben nach Südamerika. (3) Dorthin will er nun mit zwei befreundeten Forschern aufbrechen, denn die Angaben auf dem Pergament scheinen recht detailliert und den Aufwand lohnend zu sein. Allerdings beabsichtigt sein Assistent sich den Schatz unter den Nagel zu reißen und ihn nicht der öffentlichen Forschung zu überlassen. Dieser hatte auch den Anschlag am Grand Canyon und die späteren Unannehmlichkeiten, die die Freunde in Brasilien noch erwarten, veranlasst.

Im vierten Heft sehen wir „Donald“ endlich über Manaus, der Hafenstadt am Zusammenfluss des Rio Negro und des Amazonas, der hier, 1700 Kilometer von der Küste entfernt, noch mit Ozeanschiffen befahren werden kann. Auch hier und im ca. achtzig Kilometer weiter westlich liegenden Manacapura stoßen sie weiterhin auf erheblich Probleme, mit korrupten Polizisten, den Gangstern aus den ersten Heften, kommen aber langsam weiter stromaufwärts. Wäscher inszeniert das Abenteuer gelegentlich in einer kaum wahrnehmbaren Geschwindigkeit: von seinem Hau-ruck-Stil, des teils ermüdenden Springens von einer Action zur nächsten in den Mittfünfzigern, die allerdings inhaltlich auch nicht seiner Ideenwelt entsprangen, (4) ist Wäscher zehn Jahre später meilenweit entfernt. Nachdem er selbst die Geschichten, das Script ausarbeitete, pflegte er mehr die erzählende Handlungswiedergabe. Natürlich gab es auch wiederholt handgreifliche Vorgehensweisen, explodierende Dynamitstangen, Schusswechsel, aggressive Anakondas und Indios, die es nicht einsahen, dass im Namen der Wissenschaft ihre Schätze gestohlen werden mussten. Auf jeden Fall hat sich die kleine Expedition erst am Schluss des neunten Heftes ihrem Ziel, ein See, der die Schätze auf seinem Grund beherbergen sollte, ein gutes Stück genähert. Da wird dem Leser auf der zweiten Umschlagseite eine Mitteilung gemacht, „die euch sicherlich sehr freuen wird. Die Abenteuer von Bob und Ben (…) könnt ihr von jetzt ab in einem Großband nachlesen (…)“.





Was war geschehen: Lehning hatte endgültig erkannt, dass mit den Piccolos kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist und lies deren Produktion auslaufen. Hansrudi Wäscher wusste natürlich von dieser neuen Verlagspolitik einige Wochen vorher Bescheid, es war ja nicht nur Bob und Ben davon betroffen: auch die Piccolos von Tibor und Falk brauchten einen punktgenauen Abschluss zum Tag des letzten Drucktermins. Die laufende Science Fiction Großband-Serie Nick musste kontinuierlich weiterlaufen und die mit Nachdrucken der ersten Sigurd-Abenteuer gefüllten gleichnamigen Großbände (mit der Nr. 124 und für die Wäscher Titelbilder gestaltete) war inhaltlich beendet. Die positiven Verkaufszahlen veranlassten Lehning Wäscher davon zu überzeugen, die Reihe mit neuen Abenteuern fortzusetzen. Und last but not least, erschienen nun die Abenteuer der Piccolo-Serie Falk als Nachdrucke im Großbandformat, mit zusätzlichen Titelbildern – aber davon weiter unten mehr. (*) Hansrudi Wäscher war also keineswegs entlastet, als die Piccolos von Bob und Ben, Tibor und Falk eingestellt wurden, er hatte eher mehr Arbeit aufgebürdet bekommen und es ist verwunderlich, dass er bei den diversen Aufgaben nicht die Übersicht verlor, so wie es mir bei der Aufzählung der unterschiedlichen Serientitel, Formaten, Überleitungen, Einstellungen, Weiterführungen fast gegangen wäre.

Bob und Ben Großbände (ca.16, 5 cm x 24 cm), das sind zweiundzwanzig Comicseiten, je zwei Seiten in schwarz-rot und je zwei Seiten im Vierfarbdruck. „Bunt“ wäre allerdings die korrektere Definition, denn Wäscher legte die Zeichnungen weiterhin in schwarz weiß an – bis auf die Titelbilder, die lieferte er in Farbe im Verlag ab. Die Grafiker der Lehning-Druckerei legten dann letzte Hand an und scherten sich weder an Wäschers Vorgaben auf den Titelbildern, noch an Kontinuität in den Farben, noch kümmerten sie sich um Realismus und Natürlichkeit (die berüchtigten „rosa“ Burgen und die „farbenfrohen“ Federn der nordamerikanischen Indianer waren oft Gegenstand von kontroversen Diskussionen seitens der Künstler, hier Wäscher und Nickel, mit dem Verlag). Wäscher layoutete die Seiten wie es seine Zeichnungen, die Perspektiven, die Details, die Wichtigkeit des Panels – oder Unterordnung – gegenüber der Dramaturgie erforderte. Waren seine frühen Comicarbeiten für das Großbandformat noch dem klassischen Seitenaufbau geschuldet, quadratische Bilder im immer selben Format, so herrscht nun die schräge Seitenaufteilung. Er zog die Trennlinien dort, wie es sein grafisches Handlungschema erforderte; es nahm damit etwas – unbemerkt – vorweg, was später als innovativ gefeiert wurde, nur nicht bei Wäscher halt, aber der zeichnete auch keine Mangas oder experimentelle Comics.

Die drucktechnischen Schwächen aus Lehnings hauseigener grafischer Anstalt und Druckerei vermochten dennoch nicht der Handlung „bleibenden“ Schaden zuzufügen. Wie eine halbstündige Vorabendsendung rollt die Geschichte vor des Lesers Augen ab, Wäscher Fantasie scheint unerschöpflich im ständigen Ersinnen von Hindernissen für die Freunde, genauso wie deren Ideen zur Umschiffung und Beseitigung aller Probleme bei der Hebung des Inka-Schatzes aus einem Urwaldsee. Das einzige Manko liegt für mich in der völlig unreflektierten Handlung seitens der Akteure, wobei die Gangster noch am glaubhaftesten Handeln. Sie wollen aus Eigennutz, aus Gier den Schatz an sich bringen, Die „Guten“ sind zwar auch der Meinung, sie könnten den Indios im Namen der Wissenschaft die Wertgegenstände entwenden. Selbst als sich die Hüter des Goldes gegen alle Eindringlinge zur Wehr setzen, keimt kein Verständnis für sie auf. Das kann man Hansrudi Wäscher natürlich nicht vorwerfen, einmal aus dem zeitlichen Zusammenhang heraus, der damals derartige Aktionen wenn schon nicht befürwortete, dann doch aber ziemlich widerspruchlos tolerierte. Und schließlich, kaum zwanzig Jahre später, startete die Indianer Jonas – Filmreihe, in der ähnliche Delikte im Kino bejubelt wurden. Weshalb bekamen eigentlich die Juden ihre Bundeslade nicht wieder, ihr größtes Heiligtum(5), weshalb wurde es ihnen nicht einmal angeboten? Davon abgesehen ähneln sich der Comic und der Film noch in weiteren Details: In einem Gang, der unterirdisch aus dem Fuß des Berges zum Opferheiligtum hinaufführt, sind diverse Fallen eingebaut. Senkrecht herunterfallende Speer, sich aufklappende Falltüren sind nur einige Parallelen … und der Comic ist deutlich früher entstanden.

Kaum scheint der Schatz geborgen und gesichert, gibt es auf der letzten Seite des Großbandes Nr. 8 ein „Cliffhanger“ der auf ein neues Abenteuer neugierig macht. Im Brasilianischen Dschungel hält sich eine Guerilla-Bewegung versteckt und wartet nur auf ihren Anführer, der sich auf der Flucht vor der Polizei ausgerechnet bei Bob einschleicht und ihn nötigt, ihn mit dem Flugzeug zum Schlupfwinkel seiner Bewegung zu fliegen. Da hat er natürlich die Rechnung ohne unsere Korea-Krieg erfahrenen Freunde gemacht: in einem furiosen Finale (was die Heftreihe angeht) entführen sie die Guerilla-Chef mitten aus seinem Lager heraus und unterstellen ihn den örtlichen Behörden von Manacapura und dem Brasilianischen Geheimdienst. Gegenüber Bob und Ben behaupten sie eine beabsichtigte Errichtung einer Diktatur seitens der Revolutionäre. So korrupt, wie sich die Polizei gegenüber den „Jägern der verlorenen Schätze“ bis zum letztmöglichen Moment verhalten haben, dürfte es bei einem Machtwechsel kaum einen Unterschied in der Ausübung der Regierungsgewalt gegeben haben – höchstens in der Auswechslung der Behördenvertreter - aber das ist natürlich spekulativ …

Bob und Ben ist eine flott zu lesende Fliegergeschichte mit ausgezeichneten grafischen Elementen. Die Handlung kann den Aufgeschlossenen Leser so fesseln, dass er die Serie in „einem Rutsch“ durchliest und enttäuscht über das Ende ist. Und, ach ja, mit dem Heft Nummer 14 „Entscheidung im Dschungel“ ist zwar Hansrudi Wäschers Engagement für Bob und Ben zu Ende gegangen, die Serie wird aber mit zehn weiteren Heften von einem anderer Zeichner (oder Zeichnern) weitergeführt. Die grafische Qualität, die Ausarbeitung der Stories, der Text, all das weckt Erinnerungen an simpelste Fanarbeiten und werden hier nicht Bestandteil eingehenderer Ausführungen sein.

(1)Zusätzlich zeichnete Hansrudi Wäscher Anfang 1963 noch den Nick Großband und für die Nachdruck-Großbandreihe Sigurd fertigte er die Titelbilder.
(2) Damit nahm Hansrudi Wäscher den gläsernen Skywalk der Walapi-Indianer vorweg, der 2007 eröffnet wurde.
(3)Hier verwechselte Hansrudi Wäscher, wohl in der Hektik der Produktion, Inkas und Pizarro, Azteken und Cortez.
(4)Als erster 1953 textete sein Vetter Gerhard Adler, ab Dezember 1954 Rasmus Jagelitz.
(5)Es gab damals noch keinen jüdischen Staat, aber in Fort Knox hätte man die Kiste doch wenigstens unterbringen können – zumal inzwischen bekannt ist, dass in den Tresoren und Gewölben neben der Lagerung von Gold auch der Schutz von Kulturgütern und unschätzbaren Wertgegenständen schon lange gepflegt wird.

(*)Im Februar 1964 gab es das Format pro Forma wieder, diesmal allerdings als ungeschnittenes Heft mit drei Serien übereinander: Tibor (neue Abenteuer), Kit der Ranger aus Italien (mit Titelbildern von Wäscher) und Nick (Nachdruck der 1. Piccolo-Serie mit neuen Wäscher-Titelbildern). Es kamen neunzig Hefte heraus, was als Erfolg gewertet werden kann, im Gegensatz zu den drei Einzelserien, die Lehning 1968 noch einmal am Markt versuchte zu lancieren. Mehr als je siebzehn Hefte gab es von Falk (neu von Wäscher), Hondo und AS 1 nicht, woran auch der Vierfarbdruck und ein Verkaufspreis von nun 40 Pfennig nichts änderte.
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