Thema: Filmklassiker
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Alt 31.10.2022, 06:58   #123  
Peter L. Opmann
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Jetzt mal ein Film, den nach meiner Erfahrung kaum jemand kennt: „Der Schuß von der Kanzel“ (1942). Nicht, daß ich mir viel darauf einbilde; ich schätze, dieser Film lief mal im heimatliebenden Bayerischen Rundfunk, auch wenn es eine Schweizer Produktion ist. Manch einem wird zumindest der Titel bekannt vorkommen. Es ist die Verfilmung einer Novelle des Schweizer Dichters Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 1898). Der Film unterscheidet sich in ein paar Punkten von der Vorlage. Die religions- und kirchenfeindliche Haltung Meyers wird etwas entschärft. Andererseits wird der Abschnitt, der die Kriegsvorbereitungen des Generals Werdmüller zeigt, ausgebaut.

Soweit ich gelesen habe, wurde damals in der Schweiz kritisiert, daß sich Regisseur Leopold Lindtberg angesichts des Weltkriegs einen so unverfänglichen literarischen Stoff ausgesucht hatte. Aber es war auch schwierig, den Film zu drehen. Die Schweizer Filmwirtschaft war von Deutschland ziemlich abhängig, insbesondere bezog man von dort Filmmaterial. Das Budget war gering, und es mußte viel improvisiert werden. Aber es ist doch ein konventioneller Kostümfilm, dem man die Umstände seiner Entstehung nicht ansieht. Im Schauspielerensemble ragen die Darsteller der Brüder Werdmüller heraus: Adolf Manz und Leopold Biberti.

Ich glaube, die Handlung muß ich erzählen: Der Pfarrer (Manz) von Mythikon (ein fiktives Städtchen am Zürichsee) steht beim Dekan unter Beobachtung, weil er seine Gemeinde vernachlässigt und lieber in den Wäldern auf die Jagd geht. Sein Traum: einen Zwölfender zu erlegen, dem er schon lange auf der Spur ist. Seine schlimmsten Versäumnisse bügelt seinVikar aus, derweil der Dekan warnt: „Noch ein Schuß, und Sie sind ihre Pfarrei los!“

Die Tochter des Pfarrers soll einen Hauptmann heiraten – so haben es die beiden jedenfalls beschlossen. Das Mädchen liebt allerdings den pflichtbewußten, wenn auch viel zu sanftmütigen Vikar. Beim Pfarrer fällt er jedoch in Ungnade. Als der Dekan anrückt, glaubt er, der Vikar habe ihn bei der Dienstaufsicht verpfiffen. Zwar ist er völlig unschuldig, sieht aber keine andere Möglichkeit, als die Pfarrei zu verlassen. Er möchte nun als Feldgeistlicher in den Dienst des Generals (Biberti) treten, der sich gerade auf einen Kriegszug vorbereitet.

Der General haust auf einem Schloß auf einer Insel im See. Er gilt als gottlos und zynisch. Sofort durchschaut er, daß der zarte Vikar für ihn völlig ungeeignet ist und daß eine unglückliche Liebe ihn zu ihm getrieben hat. Er ist allerdings der Ansicht, daß er um die Pfarrerstochter hätte kämpfen müssen. Auch das Mädchen kommt zu Besuch; sie will, daß er ihr hilft, ihren Vater von der Jagd- und Waffenleidenschaft abzubringen, und daß er für sie dem Hauptmann, der bei ihm im Sold steht, absagt. Schließlich meldet sich noch der Kirchenvorstand an, der auch gehört hat, daß der General in den Krieg zieht. Er soll ihnen vorher ein Waldstück vermachen, das in ihr Gemeindegebiet hineinragt.

General Werdmüller will das alles bis nach seiner Rückkehr verschieben. Denn eine Zigeunerin hat ihm prophezeit: Solange er eine bestimmte Tonpfeife besitzt, wird er wohlbehalten jede Schlacht überstehen. Nun zerbricht die Pfeife, und der abergläubische General sieht sich gezwungen, einen „teuflischen“ Plan zu ersinnen, um die Dinge zu ordnen. Seinem Bruder und dem Vikar will er jeweils einen Streich spielen. Durch ein Maschinenwesen, das in seinem Schlafzimmer erscheint, nimmt er dem Vikar durch Schock seine Angst vor Frauen. Er soll nun sein Mädchen entführen, was er, so gut es ihm eben möglich ist, erledigt. Seinem Bruder schenkt der General zum Abschied eine kostbare Pistole – sie hat nur einen Makel: Der Abzug ist schwergängig. Heimlich ersetzt er sie jedoch durch eine Zwillingswaffe, die sich leicht auslösen läßt und darüber hinaus geladen ist. Der Pfarrer muß sofort in seinen Gottesdienst, steckt aber die Pistole in seinen Talar und spielt während der Predigt mit ihr herum. Zu seiner Überraschung löst sich ein Schuß, der Schuß von der Kanzel.

Der Pfarrer ist damit desavouiert. Der General bietet ihm aber an, Jagdaufseher seiner Wäldereien zu werden, was er überglücklich annimmt. Dafür muß er jedoch der Hochzeit seiner Tochter mit dem Vikar zustimmen. Der Hauptmann ist zufrieden, denn er bleibt lieber dem Kriegshandwerk treu, als sich hinter einem Ofen zu verkriechen. Die Gemeinde erhält das Waldstück – unter der Bedingung, daß niemals jemand etwas von dem Schuß von der Kanzel erfährt. Dann zieht der General in den Krieg: „Nur nicht im Bett sterben!“

Das ist eine sehr schön gemachte Komödie mit ein paar düsteren Untertönen. Die Menschen sind entweder von ihren Leidenschaften hingerissen oder sind zu schwach, ihr Glück zu ergreifen. Der General ist in gewissem Sinn die einzige positive Figur in diesem Spiel, aber er paßt in keinen bürgerlichen Rahmen, und er packt seine Zeitgenossen rücksichtslos bei ihren Schwächen. Aber das alles erscheint im Film in einem milden Licht. Die Welt, die hier entworfen wird, ist natürlich schon lange untergegangen. Man bedauert ein wenig, daß es so ist, denn es ist eine weitgehend heile Welt, in der man gern zu Gast ist. Eine Ablenkung von der unerfreulichen Gegenwart von 1942 – wie etwa bei dem Film „Die Feuerzangenbowle“ – sehe ich in dem Werk aber nicht.
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