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Alt 21.01.2018, 12:45   #3930  
Peter L. Opmann
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Diese Ausgabe hat mich einst, 1977, schwer beeindruckt! Mein Heft ist so zerlesen, daß ich mir überlege, es mir in besserem Zustand noch einmal anzuschaffen, auch wenn ich sonst auf Mint-Zustand keinen größeren Wert lege. Was mich fasziniert hat, ist hauptsächlich der erzählerische Kniff, eine Vorgeschichte zu einem sehr bekannten geschichtlichen Ereignis zu konstruieren, die dieses Ereignis in einem völlig (oder zumindest etwas) anderen Licht erscheinen läßt. Heute nennt man das mitunter auch "Verschwörungstheorie". Den Kniff hat Stan Lee nicht erfunden, vielleicht sogar wie in der vorherigen Ausgabe irgendwo geklaut. Aber für mich war das damals etwas ganz Neues.

Beeinflußt haben mich schon auch die großspurigen Sprüche, von denen sich hier wieder mal einer auf der Splashpage findet: „Beginn eines Abenteuers, das fast unglaublich ist!“ Wobei: Für Marvel-Verhältnisse ist das auffallendes Understatement. Reed Richards empfängt eine Botschaft aus dem All, die offenbar von den Kree stammt, aber er kann mit Hilfe des Computers nur ein Wort entschlüsseln: „Ruhe“. Das ergibt keinen Sinn. Ding liest derweil nebenan die Tageszeitung: „Apollo startet! Das Meer der Ruhe ist als Landeplatz vorgesehen“ (eine Schlagzeile, die mehr oder weniger authentisch sein könnte). Das bringt Reed auf die Spur: Die Kree wollen offenbar verhindern, daß Menschen auf dem Mond landen! (Und so ist es auch.)

Wir Leser werden sogleich in den Sabotageplan der Kree eingeweiht: Ein Wächter (erstmals aufgetaucht in FV # 60) aktiviert auf einer Insel eine Maschine, die wiederum einen Vernichtungsmechanismus auf dem Mond in Bewegung setzen soll. Ob die Apollo-11-Mission (es war nicht Apollo 1) gelingt, wird sich also – im Marvel-Universum – auf dieser Insel entscheiden. Schade, daß auf dem Cover der Eindruck erzeugt wird, die FV würden einen Gegner auf dem Mond bekämpfen. Obwohl sie schon auf dem Kree-Planeten und selbst im Microversum waren, sollen sie hier Aldrin, Collins und Armstrong nicht die Schau stehlen. Sie landen auf der Insel und suchen die feindliche Kraft, die gegen die Mondlandung arbeitet. Außerdem wird auf dem Cover suggeriert, sie würden auf dem Mond einem wohlbekannten Gegner gegenübertreten – vielleicht Dr. Doom. Auch das ist eine Irreführung. Der Wächter ist ihnen schon bekannt, aber nur ein seelenloser Roboter.

Auf etwa einer Seite fangen Lee und Kirby die Aufregung ein, die der Start von Apollo 11 damals auf der ganzen Welt – einschließlich der Sowjetunion – auslöste. Viele haben 1969 das Geschehen wohl noch am Radio verfolgt; Kirby zeigt auch ein von Schaulustigen umlagertes Schaufenster eines Elektronikladens. Jetzt folgen ein paar Seiten Klischeehandlung: Die FV kämpfen gegen den Wächter. Ding schaltet den Roboter mit einem trockenen Schwinger aus. Nun müssen die FV noch herausfinden, wie er die Mondlandung verhindern wollte. Sie stoßen auf eine Maschine, der sie sich aus irgendeinem Grund nicht nähern können (Selbstschutzmechanismus!). Auf der nächsten Seite erleben wir mit, wie die Landefähre Eagle mit Neil Armstrong an Bord ausgesetzt wird, während am ausgewählten Landeplatz auf dem Mond die unheilvolle „unbekannte Masse“ wabert.

In letzter Sekunde gelingt es Ding, die Maschine zu zerstören. Darauf fliegt die ganze Insel in die Luft – die FV können sich eben noch in Sicherheit bringen. Auch der Wächter macht sich aus dem Staub – sein Auftrag ist angeblich erfüllt. Und ein letztes Mal wird zur echten Mondlandung überblendet, und Armstrong spricht seinen berühmten Satz: „Dies ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer Sprung für die Menschheit!“ Ohne den Einsatz der FV, so erkennen wir, hätte es sie nie gegeben, und zumindest der Eagle wäre beim Aufsetzen auf dem Mond vernichtet worden.

Einmal mehr hält sich Lee mit den logischen Details seiner Geschichte nicht lange auf. Vor allem: Wozu überhaupt die Mondlandung, wenn Superhelden wie die FV schon seit langem den Weltraum bereisen, als würden sie zum Zigarettenautomaten an der Ecke gehen? Ein Raumflug war, wir erinnern uns, ja einer der Auslöser für die Entstehung dieses Teams. Warum setzen die Kree mit ihrem Anschlag ausgerechnet unmittelbar bei der Mondlandung an? Wäre es nicht sinnvoller gewesen, den Flug von Apollo zu unterbinden? Wobei klar ist: Dramaturgisch ist es schon eindeutig wirkungsvoller, die Gefahr beim Aufsetzen des Eagle auftauchen zu lassen. Welcher Art diese Gefahr ist, wird sehr im Ungefähren gelassen. Aktivierungsmechanismus auf der abgelegenen Insel – unbekannte Masse unter der Mondoberfläche, genau an dem Punkt, wo der Eagle landet (wie konnten das die Kree vorher wissen?).

Vom Unterhaltungswert her finde ich die Ausgabe immer noch ganz nett. Es gibt ein bißchen Familienleben bei den FV, die geheimnisvolle Kree-Botschaft, von der nur ein einziges Wort zu entschlüsseln ist, die Szenen rund um die Mondlandung, die ziemlich authentisch wirken (obwohl ich das 1969 noch nicht am Fernseher verfolgt habe). Der Kampf gegen den Wächter nimmt erfreulicherweise nicht zu viel Platz weg. Den Kniff, daß die Mondlandung vorgeblich nur dank des vorherigen Einsatzes der FV möglich war, finde ich heute nicht mehr ganz so aufregend, aber ich erkenne an, daß hier wieder mal eine recht geschickt konstruierte Story auf 20 Seiten untergebracht wurde. Heute glauben die Leute ja lieber, daß die Mondlandung gar nicht stattgefunden hat – das sagt wohl einiges über den Zeitgeist 1969 im Vergleich zu 2018 aus. Kirby zeichnet hier sehr sorgfältig – er hat sich wohl einiger Pressefotos als Vorlagen bedient. Seine alte Methode, Panels mit Fotomaterial zu collagieren, wendet er allerdings ausgerechnet bei dieser Story nicht mehr an. Und Joe Sinnott ist wieder als Inker an Bord.
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