Thema: Filmklassiker
Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 03.11.2022, 06:43   #139  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.585
„Gorky Park“ (1983) ist ein Politthriller. Das heißt, der Film hat mit der Wirklichkeit nicht allzu viel zu tun, und ich habe ihn nicht deshalb ausgesucht, weil Rußland gerade in der Weltpolitik ein glänzendes Comeback als Schurkenstaat feiert. Im Gegenteil gehört für mich zur Attraktivität dieses Werks, daß die Rollen vertauscht sind: der Gute ist ein russischer Polizeioffizier und der Böse ein amerikanischer Geschäftsmann. Auch dieser Film weicht von seiner Romanvorlage, dem gleichnamigen Bestseller von Martin Cruz Smith, nicht wesentlich ab.

Trotzdem eine Inhaltsangabe: Im Moskauer Gorky Park werden drei Leichen gefunden. Ihre Gesichter und Fingerkuppen sind zerstört, so daß sie zunächst nicht identifiziert werden können. Sie wurden aus nächster Nähe erschossen, aber ein Motiv ist nicht ersichtlich. Dem Polizisten (William Hurt), der sich um den Fall kümmert, kommt es merkwürdig vor, daß sich auch der KGB für den Fall interessiert, wenn auch eher oberflächlich. Seine einzige brauchbare Spur sind Schlittschuhe, die eines der Opfer bei sich hatte und die eine russische Studentin (Joanna Pacula) kurz zuvor als gestohlen gemeldet hatte. Sie will ihm aber offenbar nicht helfen.

Hurt läßt die Gesichter der Drei rekonstruieren, weil er den Verdacht nicht los wird, daß Pacula sie gekannt hat. Als er ihr einen der Köpfe zeigt, stellt sich heraus, daß sie glaubt, die Drei seien in die USA entkommen. (Der Eiserne Vorhang existiert zu dieser Zeit noch.) Außerdem bekommt Hurt mit, daß sie Kontakte zu einem amerikanischen Pelzhändler (Lee Marvin) unterhält, der sich häufig in Moskau aufhält. Wie Marvin in das Puzzle paßt, ist aber ein neues Rätsel für ihn. Kurz darauf kommt er einem amerikanischen Ermittler in die Quere, der in Moskau auf eigene Faust nach seinem verschwundenen Bruder fahndet. Sie tun sich zusammen. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß eines der Mordopfer ein Amerikaner war.

Nach zahlreichen Verwicklungen findet Hurt schließlich heraus, was passiert ist. Marvin ist dabei, mithilfe korrupter Behörden trotz eines strengen Verbots Zobel aus der UdSSR auszuführen. Weil er aber mehr Zobel will, als ihm zugestanden wird, hat er sich beim Schmuggel der Tiere von den Dreien, davon einer der vermißte Bruder und zwei Russen, die mit Pacula befreundet waren, helfen lassen, denen er dafür die Ausreise in die Freiheit versprochen hat. Sobald er sie nicht mehr brauchte, hat er aber alle Drei, für ihn lästige Zeugen, beseitigt. Pacula, in die sich Hurt verliebt hat, hält aber nach wie vor zu Marvin, weil sie ihm noch immer glaubt, daß er auch sie ausreisen lassen kann. Auch der amerikanische Detektiv fällt Marvin zum Opfer, aber schließlich kann ihn Hurt im finalen Showdown in dem Versteck, in dem er seine Zobel hält, töten. Am Ende darf Pacula tatsächlich die UdSSR verlassen; Hurt bleibt in Moskau.

Schwächen des Films wie etwa recht klischeehafte Figuren werden durch den verzwickten Kriminalfall übertüncht. Interessant ist außerdem die Umkehrung des Gut-Böse-Schemas. Zwar wird Rußland als ein hoffnungsloser Ort geschildert, aber immerhin gibt es einen aufrechten und pflichtbewußten russischen Polizisten, der sich von seinen Ermittlungen nicht abbringen läßt, und auf der anderen Seite einen skrupellosen Amerikaner, dem es nur um maximalen Profit geht und der jeden für käuflich hält – und wenn er das nicht ist, räumt er ihn persönlich aus dem Weg. William Hurt und Lee Marvin sind da für mich eine gute Besetzung dieser Rollen. Joanna Pacula, die undurchschaubar ist und ein doppeltes Spiel treibt, hat ebenfalls einen interessanten Part. Letztlich ist der Film ein Actionreißer (Regisseur Michael Apted hat auch einmal einen James-Bond-Film inszeniert), aber der Akzent wird mehr auf die beklemmende und bedrohliche Atmosphäre als auf Schießereien, Horror und Gewalt gelegt. Gedreht werden durfte damals noch nicht an Originalschauplätzen; das verschneite Helsinki muß als Ersatz-Moskau herhalten.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten