Thema: Filmklassiker
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Alt 18.01.2024, 06:16   #1841  
Peter L. Opmann
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Vielleicht hat es der eine oder andere gemerkt: Den ursprünglichen Plan, zuerst die schwer erhältlichen Filme in meiner Videosammlung zu digitalisieren, kann ich nicht durchhalten. Gestern abend war mir danach, etwas Leichtes und Lustiges zu sehen. Außerdem ist „Die Marx Brothers in der Oper“ (1935) von Sam Wood bei mir auf derselben Cassette wie „Mein kleiner Gockel“ (den ich neulich besprochen habe). Dieser Marx-Brothers-Film gilt als einer ihrer besten, wenn nicht als der beste. Das ist aber vor allem eine Anerkennung für den Produzenten Irving Thalberg, der es schaffte, beinahe Unvereinbares zusammenzubringen. Er milderte die Aggressivität und den Anarchismus der Brüder, ohne ihre spezielle Komik zu zerstören; er band sie in eine halbwegs sinnvolle Handlung ein, und beließ dem Film trotzdem die gewohnte Absurdität. Die Marx Brothers wurden familientauglicher, ohne daß man sie nicht mehr wiedererkannte. Das war schon eine bemerkenswerte Leistung des MGM-Produktionschefs, der ein großer Marx-Brothers-Fan war.

Mit den vorhergehenden Filmen bei Paramount hatten die Marx Brothers immer weniger Erfolg gehabt. Das Studio wollte sie loswerden, und MGM griff zu. Manche Slapstick-Komiker waren in derselben Situation – ich erinnere besonders an Laurel und Hardy. Auch ihre Filme bekamen zu dieser Zeit zunehmend eine ordentliche Handlung, und ihre improvisierte und absurde Komik wurde in den Hintergrund gedrängt. Die Marx Brothers sind zwar nicht dem Slapstick zuzurechnen, aber die ähnliche Entwicklung ist Ausdruck dafür, daß unberechenbare Komödianten, die von der Bühne kamen, im Hollywood-Konzept der 1930er Jahre keinen Platz mehr hatten oder sich anpassen mußten.

Was also ist die Handlung? Ein italienisches Opernensemble wird nach New York verpflichtet. Den Deal fädelt der windige Groucho Marx zusammen mit dem Amerikaner Sig Rumann (ein Hochstapler) ein; das Geld für die Schiffahrt und den Aufenthalt in NY kommt von der affektierten Millionärin Margaret Dumont, um die sich Groucho bemüht, die aber nicht leicht bei Laune zu halten ist. Der Tenor Walter Woolf King will mit der Reise die schöne Sängerin Kitty Carlisle für sich gewinnen, die liebt aber einen anderen Sänger, Allan Jones. Chico und Harpo Marx schleichen sich als blinde Passagiere an Bord. In NY angekommen, setzen die Marx Brothers alles daran, Dumont weiter für das Unternehmen zahlen zu lassen und sowohl Rumann als auch King das Handwerk zu legen. Bei ihrer Premiere im Opernhaus (es soll sich um die Metropolitan Opera handeln) entsteht ein unbeschreibliches Chaos, und schließlich bricht während der Vorstellung Feuer aus. Doch Carlisle und Jones gehen auf die Bühne und singen so schön, daß sich das Publikum beruhigt. Die Marx Brothers werden am Ende als Retter gefeiert.

Das Drehbuch, an dem mindestens sechs Autoren, darunter auch Buster Keaton, mitschrieben, ist also doch nur ein Vorwand dafür, daß die Hauptfiguren in ihre gewohnten Rollen schlüpfen können. Highlights des Films sind einzelne glanzvolle Szenen: die Eröffnung, als Groucho Dumont beim verabredeten Dinner warten läßt und in ihrem Rücken mit einer attraktiven Blondine speist; eine Massenversammlung in Grouchos absurd kleiner Schiffskabine; eine vermasselte Polizeidurchsuchung im New Yorker Hotelzimmer der Brüder; die Opernaufführung in der Met, die die Marx Brothers unter anderem in eine Ballsportübung verwandeln. Thalberg erreichte sein Ziel: der Film spielte wieder einen schönen Gewinn ein. Groucho mochte dennoch den letzten Paramount-Film „Duck Soup“ („Die Marx Brothers im Krieg“) lieber, und ich bin geneigt, ihm zuzustimmen.

Aber die Marx Brothers zollten der Leistung und dem Geschäftssinn Thalbergs Respekt. Zu seiner Strategie gehörte, sie zunächst auf eine Bühnentournee zu schicken und etliche Gags des Films vorher auszuprobieren. Mitarbeiter am Drehbuch saßen im Publikum und registrierten, welche gut und welche weniger ankamen, schrieben manche direkt um. Nach den Previews des Films, die nicht sehr positiv ausfielen, kümmerte sich Thalberg persönlich um den Schnitt; er ruinierte beim Schneiden aber nicht den Film, sondern verlieh ihm erst den richtigen Rhythmus. Ich habe „Die Marx Brothers in der Oper“ damals im Turner-Sender TNT aufgenommen, also in englischer Originalfassung. Einerseits bekommt man so den unvergleichlichen Wortwitz von Groucho pur, andererseits habe ich wahrscheinlich nicht alle Feinheiten der Gags mitbekommen. Mir hat der Film ganz gut gefallen, aber besser finde ich neben „Duck Soup“ auch das darauf folgende Werk, „Ein Tag beim Rennen“ (schon oben besprochen), obwohl es eine schwierige Produktionsgeschichte hat und Irving Thalberg dann noch vor dem Abschluß dieses Films mit 37 Jahren starb.
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