Thema: Filmklassiker
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Alt 27.10.2022, 11:35   #102  
Peter L. Opmann
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Kommen wir zu Billy Wilder. Ein Europäer, der von Anfang an nach Hollywood wollte und sich dort tatsächlich vom Drehbuchautor zum Regisseur hochgearbeitet hat. Seine allerersten Filme sind vielleicht noch nicht so gut, aber ansonsten hat er nur Filme gedreht, die alle Klassiker wurden. Ich möchte auf einen eingehen, der jedoch vielleicht doch nicht so bekannt ist. Wie „Sein oder Nichtsein“ ist es ein Anti-Nazi-Film, und es ist auch eine Satire, aber Wilder hat es doch ganz anders gemacht als Lubitsch, für den er anfangs als Drehbuchautor tätig war. Ich rede von „Fünf Gräber bis Kairo“ (1943). Man sollte diese beiden Filme nicht gegeneinander ausspielen, aber Wilder macht die Nazis nicht lächerlich (eher die italienischen Faschisten), und der Film ist dennoch sehr witzig.

Ein britischer Panzer fährt führerlos durch die Sahara; einer seiner Insassen (Franchot Tone) wird hinausgeschleudert. Mit letzter Kraft schleppt er sich zu einer Oase, in der sich ein Hotel befindet. Der Krieg ist in vollem Gange, und die Truppen von Feldmarschall Erwin Rommel rollen das Schlachtfeld vor sich auf. Bald werden sie auch das Hotel erreichen. Der Besitzer und ein Zimmermädchen (Anne Baxter) sind bereits in Deckung gegangen. Sie wollen keinen Ärger und sind nicht begeistert, daß sie nun einem britischen Soldaten einen Unterschlupf bieten sollen. Aber der übernimmt zur Tarnung die Rolle eines Hotelbediensteten, der vor kurzem umgekommen ist.

Bald darauf trifft Rommel (Erich von Stroheim) mit seinem Stab ein und beschlagnahmt das Hotel. Bei ihm ist auch ein italienischer General, der mehr für Verdi-Opern als für den Krieg übrig hat und von den Deutschen nicht für voll genommen und dauernd benachteiligt wird. Es stellt sich heraus, daß Rommel sich mit dem Toten treffen wollte. Er kennt ihn aber nicht persönlich, so daß Tone ihm gegenüber vorgeben kann, dieser Kontaktmann zu sein. Umgekehrt versucht er dahinterzukommen, was Rommel plant. Die Situation ist jedoch für ihn äußerst gefährlich. Das Zimmermädchen, eine Französin, will mit den Deutschen kollaborieren, um ihren gefangenen Bruder frei zu bekommen, und ist bereit, dafür auch den britischen Panzersoldaten zu verraten. Der deutsche Hauptmann, der versprochen hat, ihr zu helfen, will sie aber nur verführen.

Das führt zu einigen Verwicklungen. Zwischendurch wird auch der tote Spion entdeckt. Dennoch gelingt es Franchot Tone herauszufinden, was Rommel vorhat. (Achtung, Spoiler!) Auf seiner Nordafrika-Karte ist da, wo das Wort „E G Y P T“ steht, sein Nachschub im Wüstensand vergraben. Tone kann die Karte rasch abzeichnen, dann wird er von Rommel mit einem Auftrag nach Kairo geschickt. Dort weiht er dann die Briten ein, wie sie die deutsche Armee empfindlich treffen können. Das Blatt wendet sich; die Deutschen müssen sich zurückziehen, Rommel das Hotel verlassen, das nun wieder in die Hände der Briten fällt. Am Ende kehrt Franchot Tone dorthin zurück, um Anne Baxter wiederzusehen, in die er sich verliebt hat. Zunächst trifft er den italienischen General, der gerade mit einer schönen Arie auf den Lippen in Kriegsgefangenschaft geht. Dann erfährt er, daß Baxter nicht mehr lebt – die Deutschen haben sie kurz vor ihrem Abzug umgebracht.

Wer den Film nicht kennt, könnte sich fragen: Was ist daran – abgesehen vom Spiel des italienischen Generals sowie des ängstlichen Hotelchefs (Akim Tamiroff) – eigentlich eine Komödie? Tatsächlich könnte man den Film auch unter Abenteuer, Thriller oder Suspense einordnen. Das liegt daran, wie die Rolle von Rommel angelegt ist. Stroheim stellt ihn intelligent, kultiviert, aber auch gefährlich dar. Jedenfalls vermeidet er die üblichen Nazi-Klischees. Der echte Rommel war einer der wenigen Deutschen, die im Zweiten Weltkrieg Achtung genossen, und ihn umgab sogar ein gewisser Mythos („Wüstenfuchs“). Er wird dadurch aber nicht sympathisch, sondern man nimmt ihn als Gegner ernst. Das gelingt Stroheim in eindringlicher Weise. Die Komödie liegt in den Verwechslungen und dem Kampf zwischen Tone und Baxter. Aber das Grauen des Krieges ist nie weit weg, was der ungewöhnliche, düstere Schluß des Films unterstreicht. Für mich ist „Fünf Gräber bis Kairo“ ein frühes Meisterwerk von Wilder.
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