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Alt 16.03.2018, 15:51   #28  
Peter L. Opmann
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Die Spinne (Williams) 2

Erscheinungstermin: 1/1974

Originalausgabe:
1) Amazing Spider-Man # 1
2) Tales to Astonish # 72

Story-Titel:
1) Die Spinne – Mißgeburt! Gefahr für die Öffentlichkeit!
2) Es war einmal ein Prinz!!

Original-Storytitel:
1) Spider-Man
2) A Prince there was!

Zeichnungen:
1) Steve Ditko
2) Adam Austin (= Gene Colan)

Text:
1) Stan Lee
2) Stan Lee



Diesmal braucht die Williams-Redaktion ein neues „Spinne“-Cover, weil die Geschichte aus ASM # 1 zweigeteilt wird. Und das Originalcover gehört zum zweiten Teil der Story. Hier wird also das Titelbild von ASM # 38 verwendet, das hauptsächlich einen Spider-Man in Pose zeigt, aber wie beim ersten Heft wird Aquarius ziemlich ungeschickt hineingeflickt. Er tritt an die Stelle von Joe, dem Bösewicht aus ASM # 38, der hier natürlich nichts verloren hat. Das Cover von „Spinne“ # 39 (= ASM # 38) muß Williams dann selbst malen, damit es nicht zum zweiten Mal erscheint.

Ich zähle acht redaktionelle Seiten: nochmal Stan Lees Vorwort, die Monatsvorschau, ein Miniposter von Ding, dazu die Werbeseite mit dem Coupon und vier Mal- und Rätselseiten, die aus britischen Marvels entnommen sein könnten und die ich entbehrlich finde. Die Checkliste fehlt. Eine zusätzliche Füllstory wie „Tales of Asgard“ in der ersten Ausgabe gibt es nicht mehr. Die Inhalte kommen also allmählich in eine gewisse Ordnung. Wäre „Amazing Spider-Man“ komplett abgedruckt worden, hätte die zwölfseitige „Submariner“-Story (plus Cover) etwas gekürzt werden müssen.

Erstaunlicherweise ist die 14seitige „Spinne“-Story handgelettert. Ansonsten hat Williams zu dieser Zeit mit einem Maschinensatz gearbeitet, der Handlettering ähnelt. Das Lettering hier ist zwar lesbar, aber recht krakelig; es wirkt wie eine Notlösung. Warum es verwendet wurde, wird wohl kaum noch zu klären sein.

Zum Inhalt: Schon im ersten Bild pfeffert Peter frustriert sein Kostüm in eine Ecke. Das werden wir noch häufiger erleben. Zwei Rückblicke erzählen die Originstory noch einmal. Hauptsächlich erlebt der Leser aber, daß die Familie Parker in Geldschwierigkeiten steckt – noch ein zentrales Motiv der frühen Serie. Kurz darauf wird Verleger J. Jonah Jameson in die Serie eingeführt, der die Spinne zum Staatsfeind erklärt, noch bevor sie richtig in Aktion getreten ist. Es wirkt ein wenig, als würde Jonah im Stil von Frederic Wertham vor Comics warnen. Kinder sollten sich lieber reale Helden zum Vorbild nehmen – wie etwa Jamesons Sohn John, der sich anschickt, Weltraumpionier zu werden (wie John Glenn in der Zeit der US-Veröffentlichung will er in einer Rakete die Erde umkreisen). John Jameson gerät auf dieser Mission in Schwierigkeiten. Die Spinne beschließt, ihn zu retten. Jetzt erinnert der Comic eher an eine „Dan Cooper“-Episode als an eine Superheldenstory. Die Spinne fliegt, auf einem Düsenjet reitend, der steuerlosen Raumkapsel hinterher, die bereits wieder in die Atmosphäre eingetreten ist, erklettert sie und löst einen Fallschirm aus.

Peter Parker denkt, er sei nun doch ein Held, aber die veröffentlichte Meinung (von JJJ) sorgt dafür, daß er weiter im Zwielicht bleibt. Am Ende ist er noch sehr unschlüssig, wohin ihn sein Weg führt. Und auch der US-Verlag Marvel war zu diesem Zeitpunkt von seinem Helden durchaus noch nicht überzeugt.

Wieder ist das alles andere als genretypisch. Es fehlt ein Superschurke, und auch die Spinne setzt ihre Kräfte eher in akrobatischer Form ein. Für Superman wäre es nichts Ungewöhnliches, ein außer Kontrolle geratenes Raumschiff zu retten, aber das wäre sicher nicht wie hier das Hauptthema einer Ausgabe – er würde das eher im Vorübergehen erledigen. Die Spinne ist dagegen damit vier Seiten lang beschäftigt. Und dann nimmt auch das Privatleben des Helden wieder breiten Raum ein. Was noch fehlt, sind die Mädels; Klassenkameradin Liz Allen hat noch keine richtige Funktion in der Geschichte. Schwer vorstellbar erscheint im Moment, daß Peter bei Jameson, der die Spinne von ihrem ersten Auftritt an mit seinem Haß verfolgt, später als freier Fotograf anheuern wird.

Alles in allem finde ich die Story, die sehr lesefreundlich in drei Kapitel eingeteilt ist, ganz lesenswert. Sie ist natürlich naiv, aber interessant ist auf jeden Fall, wie Lee und Ditko ein typisches Spinne-Motiv nach dem anderen einführen. Die Serie hat von Anfang an ein sehr durchdachtes Konzept. Ditkos Zeichnungen und das Inking sind in diesem Heft ziemlich schlecht. In „Spinne“ # 1 wirkte der Strich schon sicherer. Hier sind die Panels nun voll von Details, für die Ditko noch keine richtige Form gefunden hat. Das fällt mir insbesondere an Hochhaussilhouetten, Mauern und Fenstern auf, die für das Kletterwesen Spinne ja wichtig sind. Auch die Gestalt der Spinne hat er noch nicht richtig im Griff, aber hier sind schon gute Ansätze zu sehen, und man weiß ja, daß er dafür schnell einen überzeugenden Ausdruck gefunden hat. Jameson sieht sich selbst noch nicht besonders ähnlich, aber das ist bei einer neuen Figur normal. Wenn ich mir dieses Heft ansehe, kann ich die HIT-Comics-Fans verstehen, die sich damals über die schwachen Zeichnungen beschwerten und John Romita oder John Buscema zurückhaben wollten (aber nicht mitbekamen, daß sie es mit den allerersten Spider-Man-Abenteuern zu tun hatten).

Am Rande vermerkt: Die Submariner-Story in „Tales to Astonish“ # 71 ist ausgelassen – für HIT-Comics-Leser war es ja aber nicht ungewöhnlich, eine aus dem Zusammenhang gerissene Story vorgesetzt zu bekommen.

Geändert von Peter L. Opmann (26.03.2018 um 15:42 Uhr)
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