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Alt 05.10.2017, 19:05   #3822  
Peter L. Opmann
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Die Nichtmenschen-Saga wird weiter ziemlich souverän dargeboten. Im zweiten Teil fällt allerdings noch mehr als im ersten auf, daß die Story recht dünn ist. Was noch Interesse weckt, ist die wirkungsvolle Konfrontation von Despotie und Freiheit. Der wahnsinnige Maximus beherrscht alle mit seinem unbedingten Herrschaftswillen (worauf der gründet, bleibt unklar), aber einige denken, dass sie nicht fremdbestimmt leben wollen, und eine Handvoll Figuren handelt auch so.

Reed, Johnny und Ding stecken in einem Gefängnis, aus dem sie sich trotz aller Mühen nicht befreien können. Während Maximus seine absolutistische Herrschaft zelebriert, gelingt das den Nichtmenschen schließlich doch: Black Bolt erhebt seine Stimme. Stan Lee (oder war es Kirby?) muß von der Welt des Klangs fasziniert gewesen sein. Nach Klaw ist Black Bolt schon der Zweite, dem die Gewalt von Schallwellen zur Verfügung steht. Das Kraftfeld-Gefängnis hält seinem Ruf nicht stand. Da dieses Abenteuer Anfang 1969 erschien, nehme ich an, daß nicht die neuen Marshall-Verstärker in der Rockmusik die Inspiration dafür waren, sondern eher hochgezüchtete Stimmen klassischer Sänger(innen). Dennoch ist es eine erstaunliche Gleichzeitigkeit von Innovation in der Rockmusik und popkultureller Thematik.

Die befreiten Nichtmenschen behandeln die gegen sie anstürmenden Alpha-Primitiven endlich wieder so, wie wir es gewöhnt sind. Derweil erkennt Reed, wie er sich und seine Teamkollegen aus ihrem Gefängnis befreien kann: durch Konzentration. Gefangen sind sie nämlich nur in ihrer Einbildung, und befreien können sie sich nur, wenn sie die Barrieren gemeinsam und gleichzeitig als Illusion begreifen. Mit dem Kampf-Androiden machen sie nun nicht mehr viel Federlesens und erkennen darauf, daß auch er mit Hypnose arbeitete, um bei den FV die Illusion zu erzeugen, sie könnten ihn nicht besiegen. Mal angenommen, daß der Android wie auch die Barrieren für die FV und die Nichtmenschen von Maximus erdacht wurden, scheint er mir für einen Verrückten doch recht scharfsinnig zu sein.

Der unrechtmäßige Herrscher der Großen Zuflucht will nun endlich seine Hypno-Kanone abfeuern, aber da wird sie – gerade noch rechtzeitig – von Crystal in Trümmer gelegt. Maximus erkennt, daß seine Pläne nur durch Black Bolt durchkreuzt worden sein können, was wieder ein etwas unlogischer Punkt in der Story ist: Einerseits war ihm klar, daß Black Bolt sich jederzeit durch seine Stimme befreien kann, andererseits hat er wohl fest darauf gesetzt, daß sein Bruder sie nicht einsetzen wird. Eine Erklärung sucht man vergebens.

Der Rest ist dramaturgische Routine: Die siegreichen Nichtmenschen und die FV verbrüdern sich – besonders Johnny und Crystal schließen sich in die Arme. Das Volk atmet auf, daß die Tyrannei zuende ist. Maximus flieht mithilfe eines ihm unverständlicherweise noch immer treu ergebenen Zentauren, jedoch nicht ohne seine baldige Rückkehr und erbarmungslose Rache anzukündigen. In einem großen Schlußbild zeigt Jack Kirby die Nichtmenschen und die drei FV-Mitglieder noch einmal vereint. Ich muß also einräumen: Von seinem Standard-Drei-Panel-Schluß ist er doch öfters mal abgewichen.

Kleiner Nachtrag: Einmal blendet die Episode zu Sue Richards und ihrem neugeborenen Sohn über. Sie wirft ein großes Problem für die kommenden Ausgaben auf: Welchen Namen soll das Kind bekommen?

An der Grafik fällt mir auf, daß Kirby immer öfter von der naturalistischen Anatomie abweicht. Anatomie war eigentlich nie seine besondere Stärke; er hat sie schon von Anfang an verzerrt, um möglichst eindrucksvolle Posen hinzubekommen. Jetzt kann er ihre Regeln nicht mehr so sehr beachten, weil er ja schneller werden möchte. Daher setzt er zunehmend auf dramatische Körperhaltungen, die ihm sehr viel mehr liegen, und läßt die Anatomie notfalls weitgehend beiseite. Er wird auch in zunehmendem Maß karikaturistisch. Auf jeden Fall sieht das insgesamt nach wie vor sehr eindrucksvoll aus. Der kommende Niedergang ist aber schon zu erahnen. Joe Sinnott korrigiert da jedenfalls vermutlich nichts, gibt aber den zunehmend grotesken Kirby-Zeichnungen ein sauberes Erscheinungsbild.

Auf einer redaktionellen Seite (um das auch nochmal zu erwähnen) werden diesmal US-Kriegscomics vorgestellt. Es erstaunt nicht nur, daß dieses Thema doch etwas abseitig erscheint, sondern auch, daß es hier nicht um eine Marvel-Serie geht, sondern um „Military Comics“, zunächst bei Fawcett, dann bei DC. Naivität und Patriotismus werden aus angemessener ironischer Distanz betrachtet, aber ich frage mich: Warum wurde dieses Thema überhaupt ausgewählt? Ein Autor ist nicht angegeben – ich würde auf Hartmut Huff tippen.
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