Thema: Walt Kelly
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Alt 04.08.2011, 13:24   #11  
Carsten Laqua
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@ Mick Baxter:

Die Qualität eines Comic muß ja nicht davon abhängen, welches Vorwissen man bräuchte, um ihn vollständig zu verstehen. Bei Pogo geht es mitnichten nur (nicht einmal überwiegend) um amerikanische Politik(er) der 50er Jahre.

Die Sonntagsseiten enthalten fast ausschließlich Slapstick, nur in den Tagesstreifen kommen immer wieder politische Themen vor. Aber es sind nicht nur Leute wie McCarthy oder Lyndon B. Johnson vertreten, sondern z. B. auch Fidel Castro, Reagan und Nixon, die ja wohl fast jedem etwas sagen dürften. Aber auch in den Dailies überwiegt der Slapstick. Und wenn Pogo vor dem, von ihm selbst mitverschmutzten Sumpf steht und schon 1970 sagt: "We have met the enemy and he is us." - dann versteht man das auch ohne tieferes Wissen über die amerikanische Gesellschaft. Ich zitiere dazu mal aus einem meiner Texte für das Buch:

Über die Jahrzehnte zeichnete Kelly tausende von Dailies und Sundays. Deshalb findet sich im Okefenokee Swamp fast die gesamte Bandbreite menschlichen Handelns und Fühlens. Kelly schuf ein Abbild unserer Gesellschaft in all’ ihrer Tragik und Widersprüchlichkeit bis hin zu absurdem, das in seiner Komplexität und Tiefe weder von Robert Crumbs (Mr. Natural, Fritz the Cat) bebilderter Welt der Psychosen, noch von Barks’ Entenuniversum erreicht wird. Kelly kam dabei zugute, dass er nicht, wie Barks, für Comichefte, sondern für das überwiegend erwachsene Publikum von Zeitungen schrieb. Konkrete Politik und deren machtgierige Vertreter spielen vor allem in seinen Dailies eine große Rolle. Das aber geht für den heutigen Leser auf Kosten der Verständlichkeit, da sich die Brillanz Kellyscher Satire oft erst in Kenntnis des historischen Kontextes erschließt. Trotzdem enthalten Kellys Strips so viele scharfsinnige Beobachtungen menschlicher Schwächen und sozialkritische Ansätze, dass Pogo auch ohne genaue Kenntnis der amerikanischen Innenpolitik jener Jahre auch heute noch ein intellektuelles Lesevergnügen bietet.

In seiner Kritik an den Mächtigen scheint Kelly Lösungen für eine bessere Gesellschaft anzubieten: Anarchie, nicht als „Allheil-Mittel“, aber als Machtbegrenzender Faktor durchweht den Sumpf. Grotesk wirkt die Unfähigkeit derer, die herrschen wollen, sich denen gegenüber zu legitimieren, die sie schon zu beherrschen glauben. Zumindest im Okefenokee Swamp scheitern sie an der Absurdität ihres Vorhabens. Zu unterschiedlich ist ihre Zielgruppe: Fische, Insekten aller Art, Reptilien, Vögel, Nagetiere und andere Säuger leben jeweils nach eigenen Regeln. Dabei wissen Kellys Protagonisten wenig mit Autoritäten anzufangen. Schließlich sind sie sosehr damit beschäftigt, ihre eigenen Träume infrage zu stellen, dass sie keine Zeit finden, sich ernsthaft mit irgendwelchen Dogmen auseinanderzusetzen oder ihnen gar zu folgen. Walt Kelly scheint diesen Sumpf, in dem es von Individualisten wimmelt, zu lieben. Zwar lassen diese anarchischen Typen keine langen, stringenten Geschichten zu, dafür sind sie, dank Kellys Genie, eine unerschöpfliche Quelle für jede Form von Nonsens und Satire.

Geändert von Carsten Laqua (04.08.2011 um 21:02 Uhr)
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