Thema: Filmklassiker
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Alt 14.09.2023, 06:15   #1574  
Peter L. Opmann
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Eine Premiere: Dies ist der erste finnische Film, der hier besprochen wird – „Ariel. Abgebrannt in Helsinki“ (1988) von Aki Kaurismäki. Er fiel mir ein, als die Brüder Kaurismäki gerade wieder auf mehreren Festivals von sich reden machten. „Ariel“ war der erste Film aus ihrem Werk, den ich gesehen habe. Er lief 1989 im Studentenkino, erregte aber in der gesamten Kulturszene einiges Aufsehen. Eigentlich interessiert mich an einem Film ja meist die Story, und in diesem Film ist an der Story nichts Besonderes, abgesehen davon, daß sie sich ziemlich elegant durch mehrere Genres hangelt. Stil und Form des Films fand man aber damals einhellig so neuartig und ungewöhnlich, daß am Kinobesuch für mich kein Weg vorbei führte. Beim Wiedersehen besticht „Ariel“ meinem Empfinden nach immer noch, auch wenn mir der Gedanke kam, daß man diese extrem elliptische Erzählweise und die leicht ironische Lakonie später auch bei Tarantino gesehen hat.

Trotzdem ein paar Worte über die Handlung: Bergarbeiter Turo Pajala ist ein großer Pechvogel. Sein Bergwerk schließt und entläßt alle Mitarbeiter. Er erbt ein Cabrio, dessen Verdeck sich nicht schließen läßt, und fährt mit seinen Ersparnissen, die ihm schon nach kurzer Zeit geraubt werden, nach Helsinki. Das nimmt er alles gleichmütig hin. Ohne Geld verdingt er sich als Hilfsarbeiter und wohnt im Obdachlosenasyl. Er lernt die Politesse und alleinerziehende Mutter Susanna Haavisto kennen, als sie ihm gerade ein Knöllchen verpaßt, freundet sich mit ihr an, landet aber kurz darauf im Gefängnis. Einen der Räuber, die ihm sein Geld abgeknöpft haben, hat er nämlich zufällig wiedergetroffen und ihn zusammengeschlagen, allerdings direkt vor einer Überwachungskamera. Im Knast lernt er Matti Pellonpää kennen, der offenbar schon seit ewigen Zeiten sitzt, und zusammen beschließen sie zu türmen und Finnland zu verlassen. Für falsche Pässe und den Schiffstransfer müssen sie eine Bank überfallen. Ihre Schleuser legen sie aufs Kreuz, erschießen Pellonpää, aber ziehen gegen Pajala den Kürzeren. Er, Haavisto und ihr kleiner Sohn gehen an Bord des Schiffs „Ariel“, das sie nach Mexiko bringen wird.

Die Grundstimmung des Films ist depressiv. Das hier gezeigte Finnland lädt zu nicht viel anderem ein als zu Selbstmord. Gleichzeitig gibt es immer wieder Szenen, die in ihrer Lakonie unwiderstehlich komisch sind. Ich habe glaube ich eine Schwäche für Filme, in denen ein Paar Knall auf Fall beschließt zu heiraten – dieser gehört dazu. Unvergeßlich ist daneben auch die Szene, in der der sterbende Pellonpää auf der Rückbank des Cabrios liegt und sagt: „Was soll denn der Knopf hier?“ Und das Verdeck schließt sich wie ein Sargdeckel. Geredet wird in diesem Film sehr wenig. Etliche Passagen bleiben völlig stumm. Man hat den Eindruck, daß die Hauptdarsteller alle in ihrem Leben Schicksalsschläge erlebt haben, aber nicht darüber sprechen. Von Pajala erfahren wir bei seiner Ankunft im Gefängnis wenigstens, daß er keine Angehörigen mehr hat. Kontrastiert wird die vorherrschende Melancholie durch den Soundtrack: sehr schmalzige Schlagerlieder – einmal wird ein Blues gespielt. Allerdings verändert sich die Stimmung zum Ende des Films hin unmerklich. Den Helden gelingt immer mehr, und wir wissen zwar nicht, ob sie in Mexiko wirklich ein besseres Leben haben werden, als sie das Schiff betreten, aber der unterlegte hymnische Song „Somewhere over the Rainbow“ legt es nahe.

Ich war jetzt beim Wiedersehen neugierig, ob mir Filmzitate auffallen, die ich damals vielleicht noch nicht erkannt habe. Aber es sind keine erkennbar. Kaurismäki spielt lediglich mit Kinogenres und macht etwas Neues aus ihnen, indem er die wohlbekannten Muster nur knapp anreißt, was wiederum einen komischen Effekt ergibt. Ein bißchen hat das auch den Charme des Amateurhaften, wenn auch der Film handwerklich einwandfrei gemacht ist. Mir haben nicht alle Filme der Kaurismäkis so gut gefallen wie „Ariel“, so daß ich ihre Arbeit irgendwann in den 90ern nicht mehr weiterverfolgt habe. Aber ein paar ihrer Filme habe ich noch auf Video, und die werde ich mir demnächst auch mal wieder ansehen.
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