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Alt 07.11.2017, 17:56   #3879  
Peter L. Opmann
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Nun wird also der Doom-Vierteiler abgeschlossen. Ich habe ihn, bevor ich ihn wiedergelesen habe, für einen Glanzpunkt der Serie in der klassischen Phase gehalten (wir sind hier noch im Silver Age). Heute habe ich doch einen etwas anderen Blick darauf. Ich bespreche jetzt zuerst das vorliegende Heft und versuche dann, den Vierteiler insgesamt einzuordnen.

Dr. Dooms Hypnose hat nachgelassen; die FV (mit Sue als fünftem Mitglied) haben also ihre Superkräfte wieder. Ding macht davon gleich Gebrauch und schleudert eine abgebrochene Turmspitze auf Dooms Schloß, was dort durchaus Eindruck macht. Der Maler, der schon in FV # 81 beim Porträtieren von Dr. Doom zu sehen war, will sich lieber in Sicherheit bringen. Der Hauptmann (den wir ebenfalls schon kennengelernt haben) ermahnt ihn jedoch zur Loyalität. Obwohl er selbst schon mal Doom die Stirn bot, als die Stadt in die Luft gesprengt wurde, glänzt er nun wieder durch Kadavergehorsam. Doom geht er allerdings zunehmend auf die Nerven. Der Herrscher von Latveria hat offenbar wieder alle Fäden in der Hand – von den außer Kontrolle geratenen Superrobotern ist keine Rede mehr – und stellt den Aufstand der FV als Teil seines Masterplans dar.

Als das Superheldenteam ins Schloß eindringen will, läßt Doom eine Falle zuschnappen: Sue und Crystal verschwinden in einer Falltür und werden als Gefangene zu ihm gebracht. Die Männer bieten all ihre Kräfte auf, um hineinzukommen, während Doom die beiden Frauen, statt sie in ein Verlies zu schicken, bei einem exquisiten Festmahl willkommen heißt. Wieder einmal gibt er sich kultiviert, während er doch nur die Vernichtung seiner Feinde im Sinn hat. Doom tischt nicht nur auf, sondern führt auch eine gepflegte Unterhaltung über die Notwendigkeit der Tyrannei, bei der ihm Sue beherzt widerspricht. Nach dem Essen setzt er sich an einen Flügel, um zu illustrieren, wovon er gerade gesprochen hat (was er darbieten will, bleibt offen, aber man denkt an Chopin, Beethoven oder ähnliches).

Stan Lee wechselt jetzt mehrmals die Szene, um die Spannung zu erhöhen. Zunächst wird der Leser Zeuge, wie drei Halbwüchsige sich beim künftigen Haus der FV (ebenfalls vorgestellt in FV # 81) herumtreiben. Sie packt das Grauen, als sie dort einen unmenschlichen Schrei von tief unten hören. Mehr dazu in der nächsten Ausgabe, die „Das Geheimnis im Moor“ heißen wird. Reed, Johnny und Ding haben sich inzwischen bis zu den fürstlichen Gemächern im Schloß vorgekämpft. Sie rechnen mit Fallen, aber nichts dergleichen passiert. Stattdessen treffen sie auf Hauptmann und den Maler, der soeben von ihm als S.H.I.E.L.D.-Agent enttarnt wird. Mit einem Flammenwerfer will Hauptmann den Spion töten, aber der warnt, daß dabei unschätzbare Kunstwerke in Mitleidenschaft gezogen würden. Reed stellt sich ihm in den Weg, kann aber nicht verhindern, daß der Flammenwerfer in Aktion tritt. Jetzt greift Doom ein. Er spielt einen Akkord auf seiner Tastatur, und der trifft den Hauptmann als „Hochfrequenz-Sonar-Blitz“ (mal wieder Lees Vorliebe für die Macht des Klangs). Hauptmann stirbt sofort. Reed erfaßt, daß Doom es nur auf seinen Adlatus abgesehen hatte; der Kampf ist nun vorbei. Doom läßt die beiden Frauen gehen. Man kann schließen, daß alle fünf FV nun Latveria verlassen.

Dieses Ende ist wieder mal ziemlich unlogisch. Wir hatten schon festgestellt: Was ist eigentlich aus den Superrobotern geworden, wegen denen die FV ja eigentlich nach Latveria gekommen waren? Warum muß der Hauptmann sterben? Kann er Dooms Zorn durch sein Hantieren mit dem Flammenwerfer so sehr herausgefordert haben, daß es nur mit seinem Tod enden konnte? Lassen wir mal beiseite, wie der Hauptmann stirbt. Wie schafft es Doom eigentlich, ihn durch einen Klavierklang von einem entfernten Raum aus zu töten, alle Umstehenden aber unversehrt zu lassen? Auf jeden Fall aber frage ich mich: Warum endet das Duell Dooms mit den FV unentschieden? Sie waren doch schon fast zu ihm vorgedrungen und hatten ihre Superkräfte wieder zur Verfügung. Doom hatte zwar Sue und Crystal als Geiseln, aber die Lösung dieses Konflikts wäre trotzdem interessant gewesen.

Die seltsamen Wendungen in der Story ergeben allerdings ungewöhnliche Szenen, wie sie im Superheldengenre unüblich sind. Das Gastmahl, Dooms Höflichkeit und vorgebliche Güte, die dann dadurch kontrastiert werden, daß er aus einer momentanen Laune heraus einen Menschen tötet. Hauptmann ist zwar eine unbedeutende Nebenfigur, die wir nicht besonders gut kennenlernen und die quasi ein Nazischerge ist, um den es sozusagen nicht schade ist. Aber das ist das, was Lee oder auch Jack Kirby herausarbeitet. Das ist auch das Covermotiv: die FV wenden sich von einer Leiche ab. Demgegenüber ist der folgerichtige Ablauf der Story nicht so wichtig.

Ich will die vier Folgen noch im Zusammenhang beurteilen. Der Auftakt der Story (FV # 80) ist ziemlich schwach. Der zweite Teil (# 81), in dem die FV ohne Superkräfte im unheimlichen, wenn auch idyllisch scheinenden Doom-Reich gefangen sind, gefällt mir deutlich besser. Hier ist die Serie weit weg von abgegriffenen Superheldenklischees. Der dritte Teil (# 82) gibt den obligatorischen Actionteil mit Explosionen, Supergegnern und einem wankenden Doom ab. Und der Schluß, den wir gerade vorliegen haben, ähnelt dem zweiten Teil. Es gibt in dem Vierteiler viele bemerkenswerte Szenen: Der selbständig kämpfende abgerissene Roboterarm; das offenbar friedliche Latveria, das sich allmählich als furchtbares Gefängnis entpuppt; der kulturbeflissene Dr. Doom, der sich als milder Herrscher ausgibt, der besser weiß, was für sein Volk gut ist; der gewissenlose Helfer, der meint, im Schatten Dooms sei er sicher und könne ein Stückweit eigene Machtpläne verfolgen, und dessen Leben unerwartet plötzlich endet. Ich glaube fast, Lee hat diese Szenen erdacht (wenn er das Manuskript so weit ausgearbeitet hat) und sie dann, so gut es ging, durch eine Handlung miteinander verbunden – was nicht immer glückte. Vielleicht war das auch Jack Kirbys Werk, der als Geschichtenerzähler Schwächen aufweisen mag.

Gezeichnet sind die 80 Seiten hervorragend. Statt fantastischer Maschinen setzt Kirby hier europäische Dekadenz in Architektur und Interieur in Szene, und mir sind keine Details aufgefallen, bei denen das nicht glaubhaft wirkt. Er findet zudem hier das richtige Maß für seine Monumentalität. Als Schwäche der Doom-Story könnte man höchstens festhalten, daß das Privatleben der FV hier fast keine Rolle spielt, was aber kaum anders möglich war. Insgesamt finde ich FV # 80 bis 83 nun doch ziemlich herausragend, aus etwas anderer Perspektive freilich als 1977. Die Schwächen in der Story lassen sich verkraften.

Letzte Anmerkung: Die Redaktion bringt nochmal zwei Leserbriefe zum „Fall Roter Wächter“, einer davon stammt von Hajo F. Breuer. Und es gibt noch ein Miniposter, diesmal von Crystal, die sich auf eine roten Polster räkelt.
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