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Alt 24.11.2015, 16:00   #23  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
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Im Laufe der Zeit trennt sich die Spreu vom Weizen.

Dick wird es wohl ähnlich ergehen wie dem Politiker und Vielschreiber Edward Bulwer-Lytton (1803-1873).
Heute kennen ihn die meisten als Namenspatron des Bulwer-Lytton Fiction Contest (BLFC):
Zitat:
Im 20. Jahrhundert gelangte Bulwer-Lytton zu ganz neuer und unerwarteter Popularität durch den nach ihn benannten „Bulwer-Lytton Fiction Contest“ der San José State University. In diesem Wettbewerb geht es in verschiedensten Kategorien darum, den schlechtestmöglichen Anfangssatz eines (fiktiven) Romans zu schreiben. Grund dafür, dass ausgerechnet Bulwer-Lytton als Namenspatron für diesen wenig ehrenhaften Wettbewerb herhalten musste, ist sein berühmt gewordener Anfangssatz zu seinem Roman Paul Clifford: „It was a dark and stormy night …“. Dieser Satz inspirierte selbst Peanuts-Hund Snoopy zu schriftstellerischen Meisterleistungen.
Von seinem stattlichen Werk sind einige wenige Romane aus den unterschiedlichsten Gründen bekannt: Sein Sandalenroman The Last Days of Pompeii (1834) lieferte für Cinecittà und Hollywood das Handlungsgerüst; sein Rienzi-Roman (1835) inspirierte Richard Wagner zu einer Oper; und in seinem Spätwerk The Coming Race (1871) liefert er die Rohfassung für den Vril-Mythos.
Bei seinen deutschen Fassungen tippe ich darauf, daß der Name seines prominenten Übersetzers: Arno Schmidt, den eigentlichen Anreiz zum Lesen geliefert hat.
Im heimatlichen Großbritannien ist er zuerst eine Figur der Geschichte, der mit einigen Redewendungen ("Die Feder ist mächtiger als das Schwert") heute noch in der Umgangssprache gegenwärtig ist. Im Schulunterricht taucht über seine Verbindungen zu anderen Prominenten (Charles Dickens, Jeremy Bentham, Theosophinnen wie Annie Besant und Helena Blavatsky) wiederholt auf. Sein Roman The Last of the Barons (1843) schildert das Ende der Rosenkriege und liefert einen patriotischen Gründungsmythos der Tudors.

Worauf ich hinauswollte: Wenn ich daran denke, wie sich der Umgang mit Büchern und Literatur in den letzten 150 Jahren verändert hat, kommen weitere Faktoren ins Spiel. Während Bücher im Zeitalter der Aufklärung noch etwas Erhabenes ausstrahlten, befindet sich die Belletristik heute (wie die Comics) im Abseits. Bücher, die jemand unbedingt jetzt sofort gelesen haben muß, um mitreden zu können, sind selten. - Und selbst die werden binnen weniger Jahre verfilmt. Durch Wikipedia, Goodreads, Amaz*n-Kommentare und andere Quellen kann heute jeder smalltalken, ohne auch nur eine Zeile gelesen zu haben.
Heute sind eher Games, Serien und die sogenannten Sozialen Medien die Leitmedien. Die geben den Ton vor und prägen den Alltag. In den letzten Jahrzehnten sind innerhalb einer Generation etliche neue Varianten dazugekommen: Video, DVD, Stream, IMAX, Xbox, Wii ...

Ich müßte mich mal, bei den Historikern erkundigen, ob schon ein 'material turn' stattgefunden hat. Was ist das Buch? Reicht der bloße Text wie bei einem eBook aus? Welche Bedeutung hat das jeweilige als Objekt? Worüber geben mir die ergänzenden Texte und Bilder (Waschzettel, Cover, Vorwort / Nachwort, Kommentare, Reihe usw.) Auskunft? Welche Wechselwirkungen verbinden die wissenschaftliche Forschung mit dem Sammlermarkt?

Nüchtern betrachtet, befindet sich jedes veröffentlichte Buch in der Großen Lotterie der Klassik. Ab und zu bequemt sich die launische Fortuna, einen Titel zu ziehen ...

Geändert von Servalan (25.11.2015 um 20:16 Uhr)
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