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Alt 16.09.2017, 12:19   #3788  
Peter L. Opmann
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Dieses Abenteuer hat mir schon mit 13 Jahren nicht so gut gefallen. Wenn ich das Heft jetzt wiederlese, sehe ich, daß ich damals manche Motive, die hier anklingen, nicht (richtig) verstanden habe: die Bedeutung eines Totems in der Indianerkultur; indianische Tugenden wie Mut und Standhaftigkeit; auch der Status der Indianer als entrechtete und an den Rand gedrängte Ureinwohner – wobei der Stamm, der hier vorgeführt wird – zufälligerweise der von Johnnys Studienfreund Wyatt Wingfoot – eigentlich stinkreich ist, weil er auf riesigen Ölvorkommen sitzt. Das Land wird allerdings nicht verkauft und das Öl nicht gefördert. Daher ist mir auch heute nicht klar, warum dieser Stamm mit dem modernsten technischen Equipment ausgestattet ist; das entspricht dem Stamm von T’Challa, dem Schwarzen Panther, der durch Handel mit dem Stoff Vibranium reich geworden ist, wenn ich mich recht erinnere. Kriegen die Indianer Geld dafür, daß sie ihr Öl und ihr Land behalten? Stan Lee war ja auch mal Präsident von Marvel – viel ökonomischen Sachverstand zeigt er hier irgendwie nicht.

Heute schätze ich die Episode “Das lebende Totem“ etwas mehr als damals. Lee und Kirby tun ihr Bestes, um die 20-Seiten-Story so unterhaltsam und spannend wie möglich zu erzählen. Sie weist aber deutliche Schwächen auf. Vor allem ist sie zu vorhersehbar. Sobald die „Rotstern“-Ölgesellschaft, die, wie Reed bemerkt, „vom Osten aus kontrolliert“ wird („Roter Stern“ – Rußland – alles klar?), erwähnt wird, weiß man, daß das Totem, ein riesiges, wie King Kong herumtrampelndes und Energiestrahlen verschießendes Monster, in Wirklichkeit ein von der Rotstern-Gesellschaft konstruierter Roboter ist, der die Indianer von ihrem Land vertreiben soll. Auch sie selbst schöpfen schnell diesen Verdacht. Und es versteht sich, daß man diesen Roboter stoppen kann, indem man seinen Aus-Knopf findet, was Reed schließlich gelingt. Es fehlt von vorneherein der Platz, diesen Gegner als Bedrohung aufzubauen. Als Thriller ist „Das lebende Totem“ ein Rohrkrepierer.

Gut an der Story finde ich, wie auch zum Beispiel bei FV # 73, einige Details. Die Eröffnung, in der Ding und Johnny beide wenig Neigung zum Saubermachen zeigen; wie die FV unvermittelt in die Kulisse eines Indianerwestern geraten; aber auch deren Modernisierung: Indianer umkreisen mit Jeeps und Schnellfeuergewehren das Totem wie in früheren Zeiten zu Pferd und mit Pfeil und Bogen den Planwagentreck. Beim Schluß bin ich etwas unschlüssig: Der Gedanke ist schon nicht schlecht, daß die Indianer bei der Überzeugung bleiben, das lebende Totem gebe es wirklich, und es sich dann als unheimliches Geistwesen wie das Ungeheuer von Loch Ness ganz kurz blicken läßt. Worauf sich auch Super-Wissenschaftler Reed Richards nur verwundert die Augen reiben kann. Andererseits ging es ja um Öl und einen skrupellosen Konzern; und es scheint etwas zweifelhaft, daß der durch die Zerstörung seines Roboters ein für allemal in die Schranken gewiesen sein soll. Es fehlt hier das übliche Ende mit drei Panels und dem Vorausblick auf den Titel der nächsten Ausgabe. Als wären Lee und Kirby einfach froh gewesen, diese wackelige Episode über die Bühne gebracht zu haben.

Alles in allem ist das für mich nach wie vor eine mäßige Ausgabe, allerdings wohl die einzige im 70er und 80er Nummernbereich der FV. Das gilt natürlich nicht für die Zeichnungen von Kirby und Sinnott. Allerdings ist die Seite 9 aus mir unbekannten Gründen verdruckt. Ansonsten entdecke ich im Heft eine Seite „Marvel-Post“, auf der unter anderem ein gewisser Gerhard Förster aus Wien seinen Senf zum Thema „Marvel-Stil“ abgibt.

Nachtrag: Ich sehe gerade, daß das Erscheinungsdatum dieses Hefts Januar 1977 war. Da war ich erst elf Jahre alt.

Geändert von Peter L. Opmann (16.09.2017 um 15:38 Uhr)
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