Thema: Filmklassiker
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Alt 13.03.2024, 06:07   #1944  
Peter L. Opmann
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Noch einmal ein Werk eines unabhängigen Filmemachers, aber aus einer ganz anderen Ecke als die Filme der letzten Zeit. „Mudhoney“ (1965) von Russ Meyer ist ein Sittenbild aus den amerikanischen Südstaaten, eigentlich ein Film fürs Blue Movie, doch im Jahr 1965 sah ein Sexfilm noch nicht so aus, wie wir uns das heute vorstellen. Das entnehme ich dem Sekundärwerk „Der pornographische Film“ von Georg Seeßlen von 1990 (selbst habe ich in diesem Genre nur sehr wenig gesehen). Demnach fielen die Tabus in der Nachkriegszeit nur zögernd. Zunächst gab es zunehmend (weibliche) Nacktheit zu sehen (die „Nudies“), und als dies seine Anziehungskraft verlor, kam Gewalt hinzu (die „Roughies“). Sex im eigentlichen Sinn, selbst markierter, kam da noch kaum vor, dafür viel vulgäre Sprache und Aggessivität – anders konnten die Männer mit weiblicher Sexualität offenbar nicht umgehen. In diese Phase ist auch "Mudhoney" einzuordnen.

Allerdings nahm Meyer seinen Film offenbar zu ernst. Er hatte einen richtigen Roman als Vorlage („Streets paved with Gold“ von Raymond F. Locke) und beschränkte die damals üblichen Sexfilm-Versatzstücke auf ein Minimum. Das Publikum merkte die Absicht und war verstimmt… Der Film, hergestellt für 60 000 Dollar, floppte an der Kasse. Er wurde dann zu einem richtigen Kultfilm, das heißt, die Cineasten entdeckten ihn für sich, erklärten ihn zu einem Kunstwerk und sorgten dafür, daß „Mudhoney“ mit einiger Verspätung sein Geld wohl doch noch einspielte. 1980 war Meyer zum Beispiel Ehrengast der Hofer Filmtage. Er selbst sagte jedoch, er hätte den Film nicht machen sollen.

Meyer entwirft ein teilweise ziemlich stimmiges Bild der Depressions- und Prohibitionszeit. John Furlong hat eine fünfjährige Gefängnisstrafe abgesessen und findet nun auf einer einsam gelegenen Farm Arbeit. Die Farm gehört Stuart Lancaster, dessen baldiges Ableben erwartet wird. Hal Hopper, mit Lancaster verschwägert, freut sich bereits auf das Erbe. Er ist jedoch ein haltloser Säufer und Frauenschänder, was in dieser Gegend als ein bißchen exzentrisch durchgeht. Furlong freundet sich sowohl mit Lancasters Frau (Antoinette Christiani) als auch mit den beiden Töchtern einer kupplerischen Alten aus der Nachbarschaft (Lorna Maitland, Rena Horten) an. Hopper möchte ihn so schnell wie möglich wieder loswerden, aber auch Lancaster lernt Furlong zunehmend zu schätzen. Der beginnt, die Frauen vor Hoppers Übergriffen zu schützen.

Diese Konstellation führt zu etlichen handgreiflichen Konflikten. Dann kommt ein verbohrter christlicher Prediger (Frank Bolger) in die Gegend. Hopper denkt, er kann endgültig die Oberhand gewinnen, indem er sich mit ihm zusammentut. Nachdem er sich zum Schein bekehrt hat, ergreift der Prediger tatsächlich seine Partei. Nachdem Lancaster gestorben ist, vergewaltigt und tötet Hopper im Vollrausch die Gattin des Geistlichen (Lee Ballard) und zündet die Farm an. Darauf wird er von aufgebrachten Bürgern gelyncht. Der Sheriff kommt zu spät, um das Schlimmste zu verhindern. Furlong und Christiani wollen nach Kalifornien gehen, um dort neu anzufangen. Zum Schluß wird die Moral der Geschicht‘ eingeblendet: „Das Böse eines Mannes kann zum Fluch für alle werden.“

Rena Horten war zu dieser Zeit Meyers aktuelle Freundin. Er gab ihr eine besondere Rolle. Sie ist nämlich taubstumm und dazu Männern gegenüber völlig arglos. Durch den schockierenden Anblick des am Strick baumelnden Hopper gewinnt sie schließlich ihre Stimme zurück, beginnt jedenfalls plötzlich zu schreien. Der eigentliche Grund, weshalb die Rolle so gestaltet wurde, war, daß Horten für Meyers Geschmack einen zu starken deutschen Akzent hatte. Die Handlung des Films wirkt noch heute ziemlich überdreht. Hier werden eine Menge Klischees vom ländlichen Amerika ausgebreitet und zudem maßlos übertrieben. Meyer hat sich beim Inszenieren wirklich Mühe gegeben, so daß vieles dennoch realistisch wirkt. Für Liebhaber von „Roughies“ dürfte das allerdings nicht das gewesen sein, was sie sehen wollten. Drr Film ist deshalb sehenswert, weil Meyer seine Vorstellungen völlig frei von Produktionsregeln und Marktzwängen umsetzte. So ist tatsächlich ein Filmkunstwerk daraus geworden. Youtube bietet den Trailer.
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