Thema: Filmklassiker
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Alt 28.02.2024, 06:24   #1915  
Peter L. Opmann
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Mein zweiter Bergman-Film, „Abend der Gaukler“ (1953), ist sehr viel düsterer gestimmt als „Sehnsucht der Frauen“. Es heißt, hier tauchten autobiografische Motive auf, aber ich weiß von Ingmar Bergmans Leben zu wenig, um das nachvollziehen zu können. Mich hat das Werk an Fellinis „La Strada“ erinnert, auch ein Film aus dem Zirkus-Milieu, nur ein Jahr später entstanden, der eigentlich noch pessimistischer ausgeht als das Bergman-Werk, aber doch das Publikum mitreißt, was Bergman weniger gelingt. „Abend der Gaukler“ gilt als Filmkunstwerk, wurde aber kein Erfolg.

Ein kleiner Zirkus, der sich nur mühsam finanziell über Wasser halten kann, zieht durch Schweden. Der Direktor, Ake Grönberg, und seine Freundin, Harriet Andersson (Bergmans damalige Lebensgefährtin), tragen sich beide mit dem Gedanken, das Zirkusleben aufzugeben – er auch deshalb, weil er allmählich alt wird. In der Stadt, die die Truppe erreicht, gastiert gerade auch ein Theaterunternehmen. Grönberg stattet dem Prinzipal gemeinsam mit Andersson einen Besuch ab und hofft, sich von ihm ein paar Kostüme ausleihen zu dürfen, weil er in der letzten Stadt einige Kostüme verpfänden mußte. Der Theaterdirektor läßt ihn zwar spüren, daß er ihn verachtet, gibt ihm aber die Kostüme. Andersson lernt einen Schauspieler (Hasse Ekman) kennen, der sich spontan in sie verliebt. Sie weist ihn zurück.

In der Stadt lebt auch Grönbergs Frau, die schon vor Jahren den Zirkus verlassen hat, um ein Geschäft zu übernehmen. Er will sie aufsuchen, um auch seine beiden Kinder mal wieder zu sehen. Ihr geht es offenbar materiell ganz gut. Grönberg gibt ihr zu verstehen, daß er gern zu ihr zurückkehren möchte, weil er das Zirkusleben satt hat. Sie läßt sich darauf aber nicht ein; sie ist nun von einem männlichen Versorger unabhängig. Auf dem Rückweg sieht er Andersson aus einem Haus kommen. Sie hat sich inzwischen aus Enttäuschung, daß Grönberg gegen ihren Willen zu seiner Frau gegangen ist, mit Ekman getroffen. Zudem kann er ihr einigen Wohlstand bieten, sie ist für ihn aber wohl nur ein kurzzeitiges Abenteuer. Grönberg stellt sie zur Rede; sie leugnet zunächst, sich mit ihm eingelassen zu haben, und behauptet schließlich, von ihm vergewaltigt worden zu sein.

Am Abend findet eine Zirkusvorstellung statt. Der Theaterprinzipal hatte in Aussicht gestellt, mit seiner Truppe zu kommen. Grönberg entdeckt Ekman im Publikum und fordert ihn zum Zweikampf heraus, was zur letzten Attraktion der Vorstellung wird. Ekman ist jünger und stärker und schlägt Grönberg k.o. In seiner Verzweiflung will sich Grönberg erschießen, aber sein Revolver versagt. Darauf erschießt er stattdessen den Schwarzbären, das wertvollste Tier, das der Zirkus besitzt. Am Ende sind er und Andersson wieder zusammen, aber an ihrer Situation hat sich nichts geändert. Der Zirkus zieht weiter. Das Drama wird übrigens an einer einleitenden Episode gespiegelt, die der Zirkusclown (Anders Ek) einst mit seiner Frau (Gudrun Brost) erlebt hat.

Der Film ist langsam und eindringlich inszeniert, sicher um einiges distanzierter, als das dann Fellini gemacht hat. Aber die Handlung zieht den Zuschauer ziemlich herunter. Die Figuren des Films sind sozusagen alle ihr eigenes Unglück. Ich teile in diesem Fall das Urteil, das damals die katholische Filmkommission gefällt hat: „Von Ingmar Bergman mit künstlerischer Eindringlichkeit inszeniert. Wegen einer ausweglosen Grundstimmung, die keine Antwort weiß, stärkere Vorbehalte.“ Der Kritiker konnte vermutlich einigermaßen beruhigt sein, weil dieser Film nichts Verführerisches an sich hat. Dennoch war es für mich kein Fehler, ihn mal wieder zu sehen. Es gibt ihn übrigens auch auf deutsch auf youtube.
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