Thema: Filmklassiker
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Alt 26.02.2024, 06:10   #1914  
Peter L. Opmann
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Noch ein großer Name des europäischen Kinos: Ingmar Bergman. Da lief in den 1990er Jahren auch mal eine Werkreihe im Fernsehen, und eventuell werde ich jetzt alle Bergman-Filme, die ich auf Video habe, nacheinander besprechen. Es sind vier Werke aus den 50er Jahren plus „Fanny und Alexander“ als Fernseh-Vierteiler (gehört also eigentlich nicht hierher). Der früheste Bergman-Film in meiner Sammlung ist „Sehnsucht der Frauen“ (1952), ein Episodenfilm und sein erster großer Publikumserfolg in Schweden, obwohl er vorher schon zehn andere, nur von der Kritik wertgeschätzte Filme gedreht hatte. Ich habe auch seine richtig bekannten Filme wie „Das Schweigen“ oder „Szenen einer Ehe“ mal gesehen, sehe mich aber außerstande, etwas in sein Gesamtwerk einzuordnen, zumal er auch als Theaterregisseur sehr aktiv war. Also habe ich „Sehnsucht der Frauen“ allein für sich auf mich wirken lassen.

Es geht um vier Frauen, alle verheiratet mit Männern, die einer sehr reichen Industriellenfamilie angehören. Sie warten gemeinsam auf die Heimkehr ihrer Männer. Nachdem eine von ihnen darüber geklagt hat, daß sie sich von ihrem Gatten völlig entfremdet hat, erzählen die anderen drei, zunächst eher aus Langeweile, von ihren Eheerfahrungen. Das sind die drei Episoden. Mit dabei ist ein halbwüchsiges Mädchen, das gerade die erste Liebe erlebt und zu den Geschichten altkluge und ziemlich idealistische Kommentare abgibt. In der ersten Erzählung wird Anita Björk von einem Jugendfreund verführt, obwohl sie ihrem Mann treu bleiben will, und beichtet ihm gleich hinterher den Seitensprung. Der Gemahl reagiert darauf unerwartet. Er würdigt weder ihre Ehrlichkeit, noch sieht er ihren Versuch, ihr Verhältnis zu ihm wieder in Ordnung zu bringen. Vielmehr faßt er das Geständnis nur als Vertrauensbruch auf, will gleich die Scheidung in die Wege leiten und beschließt schließlich, sich umzubringen, wovon er nur knapp abgehalten werden kann. Die zweite Frau, Maj-Britt Nilsson, ist mit einem aus der Art geschlagenen Industriellensohn liiert, der mit einer Apanage der Familie als Künstler lebt. Als sie ihm berichten will, daß sie von ihm schwanger ist, erhält er eben die Nachricht, daß sein Vater gestorben ist, und um seine Versorgung nicht zu gefährden, reist er sofort zur Beerdigung, ohne sich weiter für ihre Neuigkeit zu interessieren. Sie erkennt, daß er völlig selbstbezogen ist, und beschließt, sich von ihm zu trennen. Die Sache geht ihr durch den Kopf, als sie in der Geburtsstation des Krankenhauses liegt. Später heiratet sie ihren Künstler doch.

Das sind also drei Ehen, in denen Entfremdung und stille Verzweiflung herrscht. Die dritte Frau, Eva Dahlbeck, die Älteste, die mit dem Firmenlenker in der Familie verheiratet ist, steuert eine eher amüsante Geschichte bei. Nach einem Fest bleiben sie und ihr Mann in einem Aufzug stecken und müssen dort die Nacht verbringen. Diese Situation nutzen sie zögernd zu einer Aussprache, für die sonst nie Gelegenheit ist. Nachdem er sie beschuldigt hat, sich sicher öfters mit anderen Männern zu trösten, schlägt sie mit gleichen Waffen zurück: Sie kennt den Namen seiner letzten abgelegten Geliebten und hat angeblich erfahren, daß diese einen Detektiv auf ihn angesetzt und die Namen aller Vorgängerinnen ermittelt hat. Diese Liste habe sie auch ihr, Dahlmann, gegeben. Verblüfft gibt der Mann alles zu. Aber sie hat ihn getäuscht. Sie wußte nur von der letzten Geliebten und hat die Detektiv-Liste frei erfunden. Es kommt darüber aber nicht zum Streit, dafür sind beide Ehepartner zu abgeklärt. Der Gatte hat nun wieder Achtung vor seiner Frau, sie verzeiht ihm seinen Lebenswandel, und die gemeinsame Nacht im Aufzug führt zu einer unerwarteten Wiederannäherung. Dahlbeck sieht ihren Mann nun aber eher als ihr Kind. Das Mädchen, Gerd Andersson, will am Ende mit ihrem Freund ausreißen, weil der nach seiner Ausbildung in die Firma einsteigen soll, aber doch in der Welt herumreisen möchte. Die anderen sind alarmiert, lassen aber dann das junge Paar davonziehen. Die beiden werden schon ihre Erfahrungen mit der Liebe machen und eher als vermutet zurückkehren.

Hier werden völlig unspektakuläre Alltagsgeschichten erzählt, aber auf eine interessante und zum Schluß auch witzige Weise. Bergman hat den Film, wie ich gelesen habe, bewußt auf den Publikumserfolg hin berechnet. Im Übrigen gibt es wohl – selbst bis heute – wenige Filme, die so konsequent aus Frauensicht gedreht sind. Künstlerisch beteiligt sind Frauen allerdings nur als Darstellerinnen. Bin daher nicht sicher, ob sie sich in diesem Film wirklich wiederfinden. Jedenfalls haben Frauen hier eindeutig den starken Part. Im Vergleich zu ihnen sind die Männer unreif, großsprecherisch bis pathetisch, aber ohne das geringste Einfühlungsvermögen und auch ganz ohne Lebensklugheit. Sie bilden sich ein, alles zu bestimmen und zu lenken, aber nur ihre Frauen sehen, wie oft sie sich dabei lächerlich machen. Doch die Frauen nehmen das still seufzend hin. Emanzipiert sind sie höchstens innerhalb ihres Ehe-Gehäuses, das ihnen Sicherheit gibt. Wirklich selbstbewußte und selbständige Frauen sind in diesem Film Fehlanzeige.

Für den deutschen Kinomarkt war „Sehnsucht der Frauen“ offenbar dennoch zu gewagt. Der Film kam hier erst 1962 ins Kino, und zwar um gut zehn Minuten gekürzt, so daß die katholische Filmkritik damit recht gnädig war. Zehn Jahre früher hätte das sicher völlig anders ausgesehen. Das war eben ein ganz anderer Filmstoff als das, was in den 50er Jahren in heimischen Heimat- und Schlagerfilmen, deutschen Krimis oder Western geboten wurde. Und soviel ich weiß, war Ingmar Bergman selbst in den 70er Jahren noch für den einen oder anderen Skandal gut.
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