Thema: Filmklassiker
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Alt 20.02.2024, 06:22   #1904  
Peter L. Opmann
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Manchmal ist es gut, Videofilme zu digitalisieren und dabei zu merken, was man da überhaupt auf Band hat. Ich habe diesmal Alfred Hitchcocks „Mord“ ausgesucht und dachte, es sei sein früher Tonfilm „Mord – Sir John greift ein“. Das wäre der früheste Hitchcock in meiner Sammlung gewesen – „Erpressung“, einen Stummfilm, habe ich mal gesehen, aber nicht aufgenommen. „Mord“ ist aber gar nicht der Film, den ich erwartet hatte, sondern heißt heute entsprechend dem Originaltitel „Der Auslandskorrespondent“ (1940). Damit habe ich aus Versehen wieder einen Film mit Joel McCrea in der Hauptrolle gewählt. In diesem Politthriller spielt er einen Journalisten, der eigentlich als Detektiv agiert (wie das im Kino oft vorkommt). Hitchcock wurde für dieses Werk von seinem Produzenten David O. Selznick an United Artists ausgeliehen. Er hatte ein damals üppiges Budget von knapp 1,5 Millionen Dollar zur Verfügung, was dazu führte, daß der Film trotz beachtlicher Zuschauerzahlen keinen Gewinn machte. Ich finde ihn noch heute mitreißend, muß ihm aber auch ein paar Schwächen bescheinigen.

Die Handlung ist beinahe in der (damaligen) Gegenwart angesiedelt, am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. Ein Politiker (Albert Bassermann) verfügt über ein Geheimabkommen zweier Staaten, falls Nazideutschland tatsächlich einen Krieg beginnen sollte. Er hat den Vertragswortlaut nur im Kopf, und kaum jemand weiß davon. McCrea soll sich für seine New Yorker Zeitung in Europa umsehen und wird Augenzeuge, wie ein Attentat auf Bassermann verübt wird. Er wird gleich mißtrauisch: Das Opfer ist ein Doppelgänger, und Bassermann ist von einer Nazibande entführt worden, die ihm das Geheimnis abpressen will. Er findet ihn tatsächlich in einer alten Windmühle, und es gelingt ihm, die Polizei zu rufen, aber in der Zwischenzeit sind die Nazis verschwunden und haben alle Spuren verwischt, so daß man ihm nicht glaubt.

Hilfe bekommt er von Laraine Day, der Tochter eines anderen Politikers (Herbert Marshall), der sich sehr für den Frieden einsetzt. McCrea verliebt sich in sie. Dann findet er jedoch heraus, daß ihr Vater gar nicht so friedensbewegt ist, sondern mit den Nazis unter einer Decke steckt. Die Bande hat ihrerseits gemerkt, daß der Journalist die Täuschung mit Bassermann durchschaut hat und ihr gefährlich werden könnte. Aber ein Anschlag auf McCrea mißlingt. Zusammen mit einem (echten) britischen Detektiv (George Sanders) findet er schließlich Bassermann und kann verhindern, daß der sein Geheimnis verrät. Marshall will sich mit seiner Tochter in die USA absetzen, aber in seinem Flieger sitzen auch McCrea und Sanders. Mitten über dem Atlantik wird das Flugzeug von einem US-Kriegsschiff abgeschossen. Die Passagiere können sich auf eine Tragfläche retten, aber Marshall springt ins Meer, um die Überlebenschance der anderen zu vergrößern. Day ist einverstanden, daß McCrea seine Story an seine Zeitung durchgibt, auch wenn sie dem Andenken ihres Vaters schaden wird.

Das ist ungemein spannend gemacht und hat mich öfter an „Der unsichtbare Dritte“ erinnert. Was die beiden Filme unterscheidet, ist lediglich das unübersichtliche Personal in „Mord“. Man kann der Geschichte zwar im Wesentlichen folgen, aber teilweise muß man doch sein Gedächtnis anstrengen, um manche Nebenfiguren richtig zuzuordnen. Ich glaube, Hitchcock hätte ein paar von ihnen einfach weglassen können. Auch die Liebesgeschichte von McCrea und Day ist eher schwach. Natürlich geraten sie zwischendurch in eine Krise, weil er gegen ihren Vater kämpft. Aber wie man sieht, ist am Ende dann doch alles in Butter.

Im Übrigen ist die Story natürlich nicht sehr glaubwürdig, aber die Action läßt nicht zu, daß man zu viel darüber nachdenkt. Hitchcock hatte als Vorlage einen Tatsachenbericht eines Korrepsondenten, hat sie aber bis auf die Einleitung völlig umschreiben lassen. Die Glaubwürdigkeit des Geschehens kümmerte ihn nicht besonders. Im Gespräch mit Francois Truffaut ist er auf einige Special Effects eingegangen, die er sich vor allem beim Flugzeugabsturz hat einfallen lassen: Er filmt vom Cockpit aus, wie es aufs Wasser aufschlägt – eine Mischung aus Rückprojektion und einem echten Wassereinbruch. Das wirkt noch heute verblüffend. Und Hitchcock hatte ein großes Flugzeugmodell zur Verfügung, das er auf Schienen in ein Wasserbassin stürzen ließ, so daß er echte Schauspieler auf dem Flugzeugrumpf herumkrabbeln lassen konnte.

Gestört hat mich, daß McCrea hier in der deutschen Kinofassung von 1961 mit der Stimme von Harald Juhnke spricht; die paßt nicht zu ihm. Und wie ich las, wurde die Filmmusik ausgetauscht. Der Original-Soundtrack wurde durch flotte Jazzmusik ersetzt, wie sie das Publikum von 1960er-Jahre-Krimis gewohnt war. Vor allem aber wurde der Film um etwa 20 Minuten gekürzt, nämlich um die Propaganda-Elemente (die Warnung vor Spionage und die negative Charakterzeichnung der Nazis). Ich müßte mir also mal die neue Bearbeitung des Films ohne diese Veränderungen und Kürzungen besorgen (wie auch den früheren „Mord“). Trotzdem ein guter Film, den ich mir ohne weiteres noch einmal ansehen kann.
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