Thema: Filmklassiker
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Alt 11.01.2024, 06:10   #1816  
Peter L. Opmann
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„Wenn es eine Komödie ist, dann muß es auch anfangen wie eine Komödie, wenn es ein Drama ist, darf nicht in der ersten Szene gelacht werden.“ So beschreibt Volker Schlöndorff ein Prinzip der Filme von Billy Wilder. In „Manche mögen’s heiß“ ist er davon abgewichen, und ich wollte jetzt nochmal einen Film sehen, in dem mit diesem Prinzip auch gebrochen wird: „Die Filzlaus“ (1973) von Edouard Molinaro. Ein sehr witziger Filmspaß, von dem Wilder übrigens ein Remake gedreht hat, aber er beginnt mit einem Attentat, bei dem ein Mensch mit einem Auto in die Luft gesprengt wird. Weil der Bombenleger den Falschen erwischt hat, wird er kurz darauf von seinen Auftraggebern umgelegt. Trotzdem habe ich über den weiteren Film immer gut gelacht (auch diesmal wieder). Hier wird mit dem Entsetzen Scherz getrieben, aber nicht nur. Der Film heißt im Original „Die Nervensäge“, und genau das sieht man hier auch: wie ein Lebensmüder einem Auftragskiller, den er nicht als solchen erkennt, den letzten Nerv raubt.

Lino Ventura spielt den Killer ähnlich, wie er in seinen üblichen harten Polizei- oder Mafiafilmen auftritt. Aber er wird von Jacques Brel unaufhörlich daran gehindert, seinen Job zu erledigen, nämlich einem Gerichts-Kronzeugen vor seiner entscheidenden Aussage das Licht auszublasen. Das ist schon beinahe die ganze Filmhandlung. Ventura quartiert sich in einem Hotel gegenüber dem Gericht ein und beginnt, sein Präzisionsgewehr zusammenzuschrauben. Da hängt sich Brel im Nachbarzimmer an einem Wasserrohr auf, richtet aber damit nur eine Riesen-Überschwemmung an. Um kein Aufsehen zu erregen, kümmert sich Ventura um ihn, aber dann wird er ihn nicht mehr los. Er muß die Liebesmisere mitverfolgen, die Auslöser des Selbstmordversuchs ist, muß eine Hochschwangere in die Entbindungsklinik fahren, wird irrtümlich von einem Psychiater in eine Zwangsjacke gesteckt und halb narkotisiert und bekommt es mehrfach mit der Polizei zu tun. Aber erst ganz zum Schluß erkennen Brel wie auch die Sicherheitskräfte, was er mit dem Gewehr vorhat…

Ich kenne ein paar Chansons von Brel, aber kann nicht sagen, ob er in dem Film seinem Typ entsprechend eingesetzt wurde oder nicht. Er ist in „Die Filzlaus“ kein Trottel, eher ein sehr gefühlsbetonter Mann, der das Unglück magnetisch anzuziehen scheint. Das Unglück, das dann aber immer Ventura trifft. Es ist zweifellos makaber-komisch, wie der Killer nie dazu kommt, den tödlichen Abzug zu betätigen. Aber es wäre sicher nur halb so lustig, wenn sich Brel nicht immer wieder ahnungslos in sein Geschäft einmischen und pausenlos von seiner gescheiterten Beziehung erzählen würde, die ihn nun zum Selbstmord treibt. Damals mochten Frauen jedenfalls wohl noch keine zur Weinerlichkeit neigenden Männer. Brels Frau (Caroline Cellier) kommt übrigens bis zum happy end gar nicht gut weg, weil sie anscheinend zu einem Liebhaber übergelaufen ist und ihren Mann kühl und mitleidslos abserviert.

„Die Filzlaus“ lebt von seiner Story, der bizarren Grundkonstellation. Aber die Schauspieler sind auch sehr gut, und Molinaros Regie gibt der Versuchung, aus dem Ganzen eine Klamotte zu machen, nur sehr wenig nach. Die Synchronisation erinnert freilich ein wenig an die Spencer-Hill-Filme. Man kann geteilter Meinung darüber sein, ob die obercoolen Sprüche („Die Holzgardine macht den Schlappmann!“) zum Film passen oder nicht. Es war jedoch eine Masche, die zu dieser Zeit im deutschen Kino sehr gebräuchlich war. Billy Wilders Remake von 1980, „Buddy Buddy“, präsentiert natürlich Jack Lemmon als Selbstmörder und Walter Matthau als Auftragskiller (sowie Klaus Kinski als Psychiater). Mir hat auch dieser Film ganz gut gefallen, aber trotz Wilder, Lemmon und Matthau kommt das Remake für mein Empfinden an das Original nicht heran. Ich werde das in den nächsten Tagen nochmal überprüfen.
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