Thema: Filmklassiker
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Alt 29.12.2023, 06:09   #1792  
Peter L. Opmann
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Kehren wir zurück zum Kerngeschäft. Ein paar Bemerkungen über einen klassischen Kinofilm. Um den neuen, reichlichen Speicherplatz zu nutzen, habe ich einen Film mit Überlänge ausgesucht, nämlich „Eine total, total verrückte Welt“ (1963) von Stanley Kramer. Der Film war ursprünglich mal dreieinhalb Stunden lang; im deutschen Privatfernsehen war immerhin noch eine Fassung von knapp zweieinhalb Stunden Länge zu sehen. Diese überlange Groteske, zudem eine Mischung aus Slapstick- und Screwball-Komödie, fand ich immer sehr komisch. Nun ging mir auf, daß „Eine total, total verrückte Welt“ eigentlich ein Vorläufer und Wegbereiter der Abrahams/Zucker/Abrahams-Klamotten ist, die ich nur teilweise schätze. Man kann den Film aber immer noch unter cineastischen Aspekten betrachten. Es ist nämlich auch ein monströser All-Star-Film.

Der Vergleich mit Abrahams/Zucker/Abrahams wird diesem Film nicht ganz gerecht. Er ist zwar in Teilen eine Parodie, aber sehr sorgfältig inszeniert, und er hat im Gegensatz etwa zum „verrückten Flugzeug“ eine Aussage. Kritiker haben bemängelt, daß Kramer sich durch seinen moralischen Zeigefinger die Komödie selbst verdirbt, doch das sehe ich gar nicht so. Denn alle Figuren sind schlecht, insbesondere hemmungslos geldgierig. Die Aussage sehe ich eher darin, daß alle Menschen gleich unfähig sind, gemeinsam etwas Sinnvolles zustandezubringen. Wenn ich sie im Film miteinander verhandeln sehe, habe ich diesmal an die diversen Welt-Klimakonferenzen denken müssen, und ich fürchte, da geht es ähnlich zu: Alle bemühen sich zwar, zu einer fairen Lösung zu kommen, bei der niemand benachteiligt ist, aber bald müssen sie einsehen, daß sie eine solche Lösung kaum finden können, und dann machen alle so egoistisch weiter wie vorher.

Höchste Zeit, etwas zum Inhalt zu sagen, wobei der bei diesem Film nur grob angedeutet werden kann. Der Anfang ist ziemlich unglaubwürdig, aber er muß ja nur die Story ins Rollen bringen: Ein eben aus dem Gefängnis entlassener Verbrecher (Jimmy Durante) stirbt bei einem Autounfall. Den Autofahrern, die Zeugen des Unfalls geworden sind, verrät er im letzten Moment, daß er in einem Park in Santa Rosita/Kalifornien „unter einem großen W“ eine riesige Beute vergraben hat. Kaum hat er sein Leben ausgehaucht, rasen die vier Parteien wie blöde los, um das Geld als erste an sich zu bringen. Im Lauf ihrer Jagd (und des Hauptteils des Films) haben sie Pannen, müssen das Fahrzeug wechseln und andere Personen als Helfer dazunehmen, die sofort auch scharf auf das Geld sind. Gegenseitig stellen sie sich dabei immer wieder ein Bein, merken aber nicht, daß sie ständig im Visier der Polizei sind, die allerdings nicht weiß, was Durante ihnen gesagt hat. Der Polizeichef (Spencer Tracy) kommt schließlich darauf, und weil der Staat ihm keine angemessene Pension zahlen will, beschließt er, selbst mit der Beute zu türmen. Das führt allerdings nur zu einer weiteren Verfolgungsjagd. Der unter vier schief stehenden Palmen ausgegrabene Geldkoffer öffnet sich am Ende, und die Scheine regnen auf eine unbeteiligte Menschenmenge herab. Alle Geldjäger landen im Krankenhaus.

Weshalb ich mir den Film sicher irgendwann nochmal ansehen werde, ist der Cast. Unter anderem spielen mit: Mickey Rooney, Peter Falk, Buster Keaton, die drei Stooges, Jack Benny, Jerry Lewis und ZaSu Pitts. Viele andere Mitwirkende dürften Anfang der 1960er Jahre oder speziell in den USA sehr bekannt gewesen sein. Und etliche sind ausgezeichnete Komödianten. Die Namen sagen mir aber nicht mehr viel. Da der Film sehr rasant inszeniert ist, entdeckt man bei jedem Ansehen wieder etwas Neues oder jemand Neuen. Die vielen, meist gelungenen einzelnen Gags kann man sich auch nicht über längere Zeit merken und muß daher jedesmal erneut lachen. Aber manchmal ist es dann doch wie bei Abrahams/Zucker/Abrahams: Es sind auch Rohrkrepierer dabei, oder das eine oder andere ist zeitbedingt nicht mehr sehr komisch – der Film ist inzwischen auch schon 60 Jahre alt.

Kramer wollte die ultimative Komödie drehen, packte dafür aber von allem zuviel hinein. Es scheint eine feste Regel zu sein, daß eine Komödie um so lustiger ist, je kürzer sie ist. Ich kenne tatsächlich keine, die wesentlich länger ist als 90 Minuten und zugleich wirklich funktioniert. Und in der Slapstick-Zeit waren die Two- oder Three-Reeler das optimale Format. Man muß „Eine total, total verrückte Welt“ aber wohl auch vor dem Hintergrund der Konkurrenz des Fernsehens sehen. Wie um 1960 reihenweise Monumentalfilme gedreht wurden, weil so etwas damals im Fernsehen nicht gezeigt werden konnte oder zumindest nicht wirkte, so wollte man hier auch TV-Comedys einfach mit einer gewaltigen Materialschlacht übertreffen. Letztlich vergebliche Liebesmüh', aber immerhin hat dieser Film sechsmal so viel eingespielt, wie er gekostet hat. Einen Oscar gab’s auch, wenn auch nur für die besten Toneffekte.

Geändert von Peter L. Opmann (29.12.2023 um 06:15 Uhr)
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