Thema: Filmklassiker
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Alt 08.12.2023, 06:07   #1747  
Peter L. Opmann
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Schlöndorff: Man kann fast sagen: Das waren die zwei Ehen in Billy Wilders Leben, zunächst die Jahre, die er mit Charles Brackett zusammen geschrieben hat als Autorenteam, und dann die Jahre mit Iz Diamond. Dazwischen lag eine lange Strecke, wo er zwischen Agatha Christie, Newman und anderen immer wieder versucht hat, ob er denn nicht den Partner findet, bis er dann schließlich auf I. A. L. Diamond stieß. Die drei Buchstaben für den Vornamen sollen übrigens bedeuten „Interscholastic Algebra League“. Also gar kein Vorname, sondern ein joke, denn Diamond war ein Mathematikgenie.

Wilder: Wie stellt man sich zwei Autoren vor, die zusammen ein Drehbuch schreiben? Man denkt an zwei Halbverrückte zwischen Depression und Ekstase. Sie wissen schon, wie diese Hollywood-Autoren in Spielfilmen. Iz und ich ähnelten eher zwei Bankangestellten. Wir öffneten den Laden um halb zehn, wechselten ein kurzes „Morgen“. Ich saß meist am Schreibtisch, er hockte in dem schwarzen Sessel. Er kaute Kaugummi oder lutschte an einem Zahnstocher. Alles nur, um nicht zuviel zu rauchen. Manchmal küßten uns die Musen, und wir schrieben zehn bis zwölf Seiten am Tag. Iz an der Schreibmaschine und ich mit dem Schreibblock. Es gab keinen Zwang, keine Verrisse, wir brüllten uns nicht an. Wir wurden auch nicht ekstatisch, wenn mal einer eine gute Idee hatte. „Not too bad“ war das höchste Lob, das man von Iz bekommen konnte oder „why not?“.
Sie kennen die letzte Szene von „Manche mögen’s heiß“. Lemmon will Joe Brown überzeugen, daß er ihn nicht heiraten kann. Als wir an der Szene arbeiteten, fehlte uns ein witziger Schlußsatz. Iz ist dann eingefallen: „Niemand ist vollkommen.“ Wir waren nicht gerade begeistert, aber es war schon spät am Abend. Wir haben es deshalb so ins Drehbuch geschrieben und dachten: Bis zum Drehtag fällt uns noch was Lustigeres ein. Auch wir angeblichen Experten können ganz schön irren. Vier Jahre lang hat er mir nicht gesagt, daß er todkrank war. Erst in den letzten sechs Wochen hat er es mir anvertraut. Nun, es ist jetzt einsamer in unserem Arbeitszimmer. Ich sehe den leeren Sessel an, und Iz fehlt mir sehr. Vielleicht sollte ich da an seinem Geburtstag eine rote Rose hinlegen. Wie DiMaggio für Marilyn.

Schlöndorff: Um an Iz Diamond zu erinnern, ohne gleich eine Totenfeier zu veranstalten, hat Billy Wilder mit Walter Matthau und Jack Lemmon einen kleinen Sketch inszeniert, den Diamond früher mal geschrieben hat über die Zusammenarbeit von zwei Drehbuchautoren, und das, könnte man sich vorstellen, ist vielleicht Billy Wilder und Diamond selbst in der Zusammenarbeit.

(Dieser Sketch läßt sich hier natürlich nicht gut wiedergeben. Ich versuch’s trotzdem. Die beiden Autoren suchen gemeinsam nach einem treffenden Wort. Anm.)

Matthau: Warum muß Harry überhaupt etwas sagen? Er kann es mit einem Blick ausdrücken.
Lemmon: Gut! Also, was haben wir? „Innen – Wohnzimmer – Tag. Als Alice eintritt, blickt Harry sie an.“ – Wie blickt er sie an?
Matthau: Forschend?
Lemmon: Zweifelnd… verzweifelnd…
Wilder aus dem Hintergrund zu Matthau: Das sagst du hoffnungsvoll, so als Abschluß. Gib mir eins dieser Adverbien.
Matthau: Trocken?
Wilder: Du sagst „trocken“, und dann blickst du auf. Du hast es gefunden. Und dann atmest du tief. Das ist das richtige Wort! Oder etwa doch nicht?
Lemmon: Wie wär’s mit „reumütig“?
Matthau: Trocken!
Lemmon: Sehnsüchtig? Geduldig?
Matthau: Finster!
Lemmon: Nein, eher scharf oder bitter. Ernsthaft. Feierlich. Nüchtern. Brüsk!
Matthau: Höhnisch!
Lemmon: Das ist es! Spöttisch…, skeptisch…
Matthau: Mit wilder Vorahnung!
Lemmon: Mit was?
Matthau: Ach, zum Teufel damit!
Lemmon: Es gibt ein Wort. Es klingt so ähnlich wie „tiefschürfend“.
Matthau: Streitsüchtig!
Lemmon: Das ist nahe dran.
Matthau: Schreib‘ irgendwas hin. Uns fällt später etwas Besseres ein.
Lemmon: „Harry: Wo bist du gewesen?“
Matthau: Gut. Machen wir weiter.
Lemmon: Es gibt ein besseres Wort. „Tiefschürfend“ oder so ähnlich.
Matthau: Streitsüchtig!
Lemmon: Das ist nahe dran.
Matthau: Säuerlich. Grimmig. Bitterlich. Himmlisch? Warum zerbrechen wir uns den Kopf? Kein Mensch liest Regieanweisungen.
Lemmon: Willst du Probleme am Set?
Matthau: Böse. Finster. Stirnrunzelnd. Seine Augenbrauen hebend.
Lemmon: Eine Augenbraue schiefsetzend.
Matthau: Er spitzt dabei die Lippen.
Lemmon: Er preßt die Lippen zusammen. Verkniffen. Lüstern. Geil.
Matthau: Vergiß es. Das bringen wir nie durch.
Lemmon: Brüsk. Streng. Nachdenklich. Vorwurfsvoll.
Matthau: Mit gemischten Gefühlen. – Warum müssen wir etwas hinschreiben? Drei Pünktchen tun’s auch.
Lemmon: Schauspieler können Pünktchen nicht lesen.
Matthau: Wie wär’s einfach mit „fragend“?
Lemmon: Das wäre eine Wiederholung.
Matthau: Eine Wiederholung? Wiederholend. Ernsthaft. Feierlich. Nüchtern.
Lemmon: Forschend. Das ist es! – O nein.

Wilder: Viele Filme habe ich angefangen, ohne wirklich den dritten Akt zu haben. Wir wußten, was es sein soll, aber wir haben uns verschätzt. Wenn man ein Script zu schreiben anfängt, muß man die Leute engagieren, die Bühne muß zur Verfügung stehen, der Dekorateur muß die Sets entwerfen. Aber wir waren noch nicht fertig mit dem Script. Wir haben einfach zu drehen angefangen.

Schlöndorff: Aber du hast auch systematisch dann gedreht in der Reihenfolge der Szenen?

Wilder: Ja. Naja, manchmal war’s ein bißchen sehr kitzelig, weil das erste Set am Ende kam, und wir hatten das noch nicht geschrieben. Dann mußten wir das Ende schreiben, aber davor waren 30 Seiten noch ungeschrieben.

Previews und final cut und alles ging da zusammen. Ohne ein lautes Wort. Wir waren da vielleicht 25 Jahre zusammen. Und Diamond blieb immer im Hintergrund. Ich mußte ihn am Arm nehmen und sagen: Das ist mein Mitarbeiter. Das ist mein executive producer.

„The Seven-Year-Itch“ (1955)
Schlöndorff: Bevor Billy Wilder Diamond kennenlernte, hat er noch einen Film gemacht nach einem Theaterstück mit dem Autor Feldman zusammen: „Das verflixte siebte Jahr“ mit Marilyn Monroe. Eine fabelhafte Zusammenarbeit, die ihn ermutigt und inspiriert hat, mit ihr später „Some like it hot“ zu machen, was dann sehr viel schwieriger wurde.

Wilder: Der Dreh an der Sache war, daß das Mädchen, das über ihm wohnt – das ist eine typische Stück-Idee: Es gibt eine Treppe; das war mal ein Doppelapartment, jetzt sind es zwei Apartments oben und unten –, aus einem einzigen Grund zu ihm kommt, denn er hat eine Klimaanlage und sie nicht. Das ist eine der guten Sachen in dem Film, der so lala ist: Sie sagt, daß sie ihre Unterwäsche im Eisschrank aufbewahrt. Im Eisschrank? Das ist doch schön, wenn man sich vorstellt, wie sie die eiskalten Höschen anzieht! Heute würde man einen Film machen mit zwei nackten Körpern, die sich wälzen. Man muß immer herausfinden: Ist das ihr Busen? Nein, es ist sein Knie. Man kann das nie nachahmen, weil man nicht weiß, wie sie das machen.
Eines Tages kam Marilyn so um elf Uhr. Und wir begannen um halb neun. Da habe ich ihr gesagt: Was ist los? Sie sagte: Ich konnte das Studio nicht finden. Ich habe mich verfahren – sorry. Dabei war sie hier schon sechs Jahre unter Vertrag. Karasek: Ganz ernsthaft? Wilder: Ja, ganz ernsthaft. Ich habe es auch ganz ernst genommen. Ich sagte: Vielleicht ist es besser, wir schicken dir einen Wagen. – Nein, nein! Schlöndorff: Sie fuhr immer selbst? Wilder: Ich glaube. Das Schlechte ist: Wenn man weiß, daß jemand nicht verläßlich ist, dann kann man sich darauf vorbereiten. Aber sie hat uns immer verblüfft. Sie kam immer mit etwas Neuem. Manchmal kannte sie einen acht Seiten langen Dialog. Sie war unberechenbar.

Karasek: Sie hatte etwas Exhibitionistisches in gewisser Weise, nicht wahr?

Schlöndorff: Habt ihr die Szene (die berühmte Luftschacht-Szene. Anm.) in New York auf der Straße geprobt?

Wilder: Ich sagte: Wir machen das noch einmal und gehen ins Studio.
(Bei anderer Gelegenheit hat Wilder erzählt, er habe für diese Aufnahme die Straße abgesperrt, aber jeder habe sich darum gerissen, in der Umgebung irgendetwas zu tun, wobei er hoffte, einen Blick auf Marilyn zu erhaschen. Anm.)

Schlöndorff: Hat sie dir ihre Probleme erzählt?

Wilder: Ich habe sie nicht dazu ermutigt. Wenn ich mich zu viel mit einem Schauspieler beschäftige und die anderen vernachlässige…

Schlöndorff: Abstand halten – das ist ganz typisch für Billy. Aus Anstand macht er das. Er will nicht, nehmen wir an, wie Elia Kazan zum Beichtvater, zum Übervater der Schauspieler werden. Er behandelt sie als Profis. Sie müssen ihre Sache machen, er macht seine. Ansonsten Abstand – das erleichtert das Leben.

Wilder: Im ersten Film war es einfacher. Da war der Feldman, der Producer, da war der Zanuck, der Obermacher im Studio, und da kam ich ein bißchen besser zurecht. Nachher, nach den vielen Dingen, die sich in ihrem Leben abgespielt haben… „The Seven-Year Itch“ war auch vor den Kennedys. Vielleicht lag es auch daran, daß ich jünger und geduldiger und daß sie jünger und disziplinierter war. Aber sie hätte noch schwieriger sein können als bei „Manche mögen’s heiß“. Ich hätte trotzdem mit ihr gedreht, wenn ich eine Rolle für sie gehabt hätte. Denn es zahlt sich aus.

„Some like it hot“ (1959)
(Wilder erzählt zunächst, wie er darauf kam, Marilyn Monroe für die Hauptrolle zu besetzen. Aber er redet hier Deutsch und Englisch so wild durcheinander, daß ich’s leider nur halb verstehen kann. Anm.)
Es war toll! Da gibt es eine Szene, eine schwere Dialogszene, in der Tony Curtis vorgibt, er sei der Erbe der Familie Shell. Eineinhalb oder zwei Seiten Dialog im Freien. Da gab es eine Marinestation, und alle zehn Minuten sind die geflogen. Ich sagte mir, es wird vier Tage dauern, zwischen den Flügen die Dialoge zu drehen. Als wir das zum zweiten Mal gedreht haben, war alles da. Nicht einen einzigen Buchstaben oder ein Komma vergessen – alles perfekt. Es hat 18 Minuten gedauert, nicht vier Tage, wovor ich Riesenangst hatte. Aber es gab andere Szenen, wo sie nur einen Satz zu sagen hatte („It’s me, Sugar.“), und das haben wir 83mal wiederholt! Nach der dreißigsten Aufnahme sagte ich: Wir nageln dir den Satz mit einem Reißnagel an die Tür. Sie kam herein und zog eine Schublade heraus und suchte nach dem Zettel. Da haben wir in jede Schublade einen Zettel gelegt – 83mal. Nach der sechzigsten Aufnahme sagte ich ihr: Entspann‘ dich. Reg‘ dich nicht auf. Sie: Worüber soll ich mich aufregen? Ja, wo ist das Problem? Curtis und Lemmon stehen da mit den hohen Absätzen, was einem Mann fürchterlich wehtut, nicht wahr? Dann fängt sie zu weinen an – zwischen den Aufnahmen mußte sie nochmal ganz neu geschminkt werden! Das dauerte 15, 20 Minuten.
Wenn sie ihren Text kann, dann ist sie perfekt. Da stimmt einfach alles, das Timing, die Stimmlage. Sie hatte ein Gefühl für die Pointe. Sie war kein Dilettant, sie war ein Naturtalent. Für diese Rolle gab es vielleicht 50 andere Schauspielerinnen. Die waren alle ganz gut, einige sogar technisch sehr gut. Aber keine wäre besser gewesen als Marilyn. Wir hatten zwei Jungs, die sie beide heiß begehrten. Sie war das Sexsymbol der Nation. Es war eine großartige Situation. Sie war kein normales Mädchen. Sie war das Pin-up-Girl des Jahrzehnts.

Schlöndorff: Warum war sie interessanter als all die anderen Schauspielerinnen? Vielleicht, weil ihr Leben voller Herausforderungen war? Zum Beispiel bei den Dreharbeiten zu „The Seven-Year-Itch“ – damals steckte sie mitten in der Scheidung von Joe DiMaggio. Sie hatte parallel zu ihren Filmen selbst ein sehr schwieriges Leben. Das sah man ihr wohl irgendwie an. Vielleicht war sie lebendiger, weil so viel in ihrem Leben los war.

Wilder: Sie war wohl kurze Zeit glücklich nach der Hochzeit mit Arthur Miller. Aber sonst steckte sie immer in Schwierigkeiten. Es war, als ob sie Probleme anzog wie das Licht die Motten. Sie hatte eine Begabung dafür, alles kompliziert zu machen. Sie war eine tragische Figur. Man kann Mitleid mit jemandem haben. Aber ich bin kein Arzt, sondern Regisseur. Und sie war engagiert, um eine Rolle zu spielen. Sie hatte unglaublich viele Ärzte. Analytiker, Psychiater, Hypnotiseure – sie hat alle ausprobiert. Irgendetwas war in ihr, irgendwelche Dämonen. Die waren schuld, daß sie ihren Text vergaß. Sie war irgendwie blockiert und konnte sich selten davon befreien.

Schlöndorff: Marilyn Monroes Tod hat Billy Wilder nicht überrascht, sagt er, denn er hatte das Gefühl, daß die letzten Jahre ihres Lebens schon sehr darauf hinausliefen. Was ihn überrascht hat, und zwar sehr unangenehm, war die Art und Weise, wie er es erfuhr, beziehungsweise nicht erfuhr. Er befand sich nämlich auf dem Flug von New York nach Paris und konnte also keine Zeitung lesen.

Wilder: Wir sind in Paris gelandet. Dort warten oft ein oder zwei Journalisten. Aber diesmal waren es acht. Mir war nicht klar, warum. Einer sagte: Reden wir ein bißchen über die Monroe. Ich erzählte ihnen, was ich euch gerade erzählt habe. Auf dem Weg vom Flugplatz zum Hotel sah ich dann die Schlagzeile. Die Journalisten hatten mir nichts vom Selbstmord der Monroe gesagt. (Das heißt, Selbstmord war zu der Zeit die gängige Erklärung. Bis heute ist aber umstritten, auf welche Weise MM zu Tode gekommen ist. Anm.) Ich hätte dann natürlich ein ganz anderes Interview gegeben. So klang alles sehr kalt und mitleidslos. Aber das war ein schmutziger Trick. Sie hätten es mir sagen müssen.

Schlöndorff: Man darf Stil nicht vermischen, hat Billy Wilder vorher erklärt. Wenn es eine Komödie ist, dann muß es auch anfangen wie eine Komödie, wenn es ein Drama ist, darf nicht in der ersten Szene gelacht werden. Nun hat er aber bei „Some like it hot“ etwas ganz Riskantes gemacht, denn er fängt mit einem Blutbad an. Warum? Es ist die Geschichte von zwei Männern, die sich als Frauen verkleiden, um in einer Damenkapelle zu spielen. Das, fand er, ist zu blöd, das trägt nicht. Es muß einen triftigen Grund geben, warum die sich verkleiden und warum die sich nicht entkleiden dürfen, und deshalb, meint er, braucht er das St.-Valentine’s-Day-Massacre am Anfang.

Wilder: Wir haben uns das überlegt, daß es eine Frage von Leben und Tod sein muß. Dann haben wir uns gesagt: Was machen die Gangster? Und dann kam uns die Idee: Zeugen des Blutbads, 1929 – ein berühmter Tag in der Geschichte Amerikas. Als wir das hatten, hatten wir eigentlich schon den ganzen Film. Die Scherze kamen, weil wir bereits den Hintergrund hatten.

Schlöndorff: Das war auch der erste Film mit Jack Lemmon.

Wilder: Wir hatten großes Glück, daß wir ihn und Curtis bekommen haben. Sie sind so unterschiedlich im Aussehen und in ihrer Art. Das mußten wir nur noch verstärken. Curtis mußte da erst hineinwachsen. Aber es ist gut, daß er etwas widerwillig war. Es wäre nicht gut gewesen, wenn beide tuntenhaft gewesen wären. Lemmon war hemmungslos, aber Curtis traute sich nicht einmal aus seiner Garderobe heraus. Lemmon mußte ihn bei der Hand nehmen und rausziehen.

Schlöndorff: Siehst du Lacher voraus? Wilder: Ja, man hat eine Ahnung. Trotzdem überrascht es mich immer, wo die größten Lacher kommen.

Schlöndorff: Du hast gesagt, daß man Pausen zwischen den Sätzen lassen muß. Also weißt du, wo ein Lacher kommt und wo man Zeit lassen muß.

Wilder: Absolut richtig. Aber der Regisseur darf auch nicht zuviel Zeit für die Lacher lassen. Denn sonst stirbt das Lachen ab. Und dann muß man den Karren wieder aus dem Dreck ziehen.

Schlöndorff: Hast du Lemmon deshalb diese Maracas gegeben? Falls die Leute nicht lachen?

Wilder: Nein, falls sie lachen. Ich kann so die Pointe verlängern. Und dann kommt erst der andere mit dem nächsten Satz. Wenn er sofort weitersprechen würde, würde sein Satz im Lachen untergehen. Durch den Geräuscheffekt kann ich die Pausen dosieren. Ich habe zwei Maracas bestellt. Der Requisiteur hatte sie. Sie können sich dabei nicht einfach anglotzen oder herumlaufen. Sehr langweilig. Also spielt er mit den Maracas, diesen Tango vom Abend vorher. Damit kann man den Rhythmus des Dialogs steuern. Wenn nötig, kann man auf die Großaufnahme von Curtis umschneiden. Aber ich hatte jede Menge Material mit den Maracas. So konnte ich die Pause nach jeder Pointe genau dosieren.

Schlöndorff: Was hat Jack Lemmon dazu gesagt? Wilder: Zuerst war er empört, daß ich eine seiner besten Szenen vermasselte. Aber dann hat er verstanden. Seither erzählt er, was für ein einfallsreicher Regisseur ich sei.

Schlöndorff: Ein einfallsreicher Regisseur ist Billy Wilder sicher. Denn da muß man erstmal drauf kommen, daß es ganz wichtig ist, in einer Komödie Platz zu lassen für das Lachen, ohne daß tote Momente entstehen. Er unterscheidet ja im Englischen zwischen „straight line“ und „punch line“. Die „punch line“ ist die Pointe, aber damit man die versteht, muß man den vernünftigen Satz, der vorhergeht, gehört haben. Damit der nicht überlacht ist, weil vorher eine andere Pointe war, und das Publikum in einem Saal mit 2000 Leuten ist ja viel lauter als das, was an Dialog von der Leinwand runterkommt, muß er also Pausen einbauen. Und damit diese Pausen wieder gefüllt sind, muß Jack Lemmon Maracas spielen.

Wilder: Du kannst die besten Pointen haben. Aber wenn man den Satz vorher nicht hört, sind sie nicht komisch. Man entwickelt ein Gefühl für das richtige Timing.

Schlöndorff: Zum Thema Lachen hast du einmal gesagt: Um Lacher zu bekommen, muß man eine Situation schaffen.

Wilder: Das ist wichtig für eine Komödie, in der man dauernd lachen soll. Ich mag nicht, wenn es nur alle fünf Minuten einmal einen Lacher gibt. Besser natürlich, als wenn es gar keine Lacher gibt. Aber es darf keine Pausen geben. Es muß wie ein Schneeball sein.

Schlöndorff: Wie bringt man den ins Rollen? Was muß die erste Einstellung sein?

Wilder: Da klettert Curtis an der Hotelfassade nach oben. Er kann nicht durch die Hotelhalle gehen. Schnitt. Auf dem Bett liegt Lemmon, als Frau verkleidet. Er hat diesen verträumten Blick. Etwas Wunderbares ist ihm passiert. Und er fängt an mit den Maracas. Dann kommt Curtis durchs Fenster. Dann der erste Satz von Lemmon: Du kannst mir gratulieren… Und ab da kommt die ganze Geschichte ins Rollen. (Wilder geht ans Regal, wo er seine Drehbücher aufbewahrt.)

Schlöndorff: Siehst du deine Werke als ein Gesamtwerk an? Wilder: Machst du Witze? Ah, hier ist das Drehbuch. Schlöndorff: Gibt es diese Atmosphäre des Lachens schon am Anfang der Szene?

Wilder: Ja, das haben wir versucht. (Er liest vor.) „Hi, Jerry. Alles in Ordnung?“ – „Ich habe dir viel zu erzählen.“ – „Was ist passiert?“ – „Ich bin verlobt.“ – „Wer ist die Glückliche?“ – „Ich bin’s.“ Und der andere: „Was?“ – „Osgood will mich im Juni heiraten.“ – „Du kannst Osgood nicht heiraten.“ – „Findest du ihn zu alt für mich?“ – „Das ist doch nicht dein Ernst.“ – „Aber er heiratet doch dauernd Mädchen.“ – „Aber du bist kein Mädchen. Warum heiratet ein Kerl einen Kerl?“ – „Wegen der Sicherheit.“ – „Leg dich hin. Du bist krank!“ – „Behandle mich nicht wie einen Idioten! Ich weiß, da gibt es ein Problem.“ – „Ja, ein großes!“ – „Seine Mutter! Aber sie mag mich, weil ich nicht rauche.“ – „Jerry, es gibt noch ein Problem. Was macht ihr in der Hochzeitsnacht?“ – „Wir haben schon darüber gesprochen. Er will an die Riviera, aber ich zu den Niagarafällen.“ – „Du bist verrückt. Wie soll das enden?“ – „Ich erwarte nicht, daß die Ehe lange hält. Ich sage ihm später die Wahrheit.“ – „Wann genau?“ – „Gleich nach der Trauungszeremonie. Er erklärt die Ehe für ungültig, und ich bekomme eine schöne Abfindung. Und jeden Monat Alimente.“ – „Jerry, es gibt Gesetze, Konventionen. Sowas wird einfach nicht gemacht.“ – „Aber das könnte meine letzte Chance sein, einen Millionär zu heiraten.“ – „Jerry, höre meinen Rat: Vergiß die ganze Sache. Sag‘ dir einfach immer wieder: Ich bin ein Mann, ich bin ein Mann.“ – „Ich bin ein Mann, ich bin ein Mann. Ich wünschte, ich wäre tot!“ - Diese ganze Szene, das sind im Drehbuch nur eineinhalb Seiten. Aber man spielt es wie eine längere Szene, ungefähr vier Minuten.

Schlöndorff: Das Vorlesen hat dir Spaß gemacht. Das Schreiben auch?

Wilder: Es macht immer Spaß, an etwas Solidem zu arbeiten. Wir waren beim Schreiben wie Kinder in einem Laden voller Süßigkeiten. Wir wußten, daß alles da ist. Wir mußten es nur herausgreifen. Diese Szene hätte fünfmal so lang sein können. Denn alles daran war lustig – die Situation war lustig.

Karasek: Du hast eine Atmosphäre geschaffen, in der einfach alles stimmt.

Wilder: Man muß das Publikum packen. Sie müssen mit den Figuren auf der Leinwand mitspielen. Es ist, als würde man sie an der Gurgel packen. Man muß immer fester drücken, man darf sie nicht entwischen lassen. Sie sollen nicht merken, daß es nur ein Film ist. Das schaffen nur wenige Filme, auch nur wenige von meinen Filmen.
Ein Film, der ein komplettes Ende hat, wo alles sich auflöst – das ist unmöglich. Es ist im Leben nicht so. Man sagt dann: Der wird versuchen, nicht mehr zu trinken; die werden versuchen, miteinander glücklich zu sein. Man weiß, die Swanson wird, nachdem sie in die Kameras gesagt hat: You beautiful people…, in ein Irrenhaus gehen. Und Jack Webb, der Freund von Holden, wird zu seiner Beerdigung gehen. Aber es ist nicht alles fertig verpackt mit Schleife drum. So einfach ist das Leben nicht. Doch man muß dem Zuschauer zeigen, wie es nach dem Filmende weitergeht. Du mußt ihm die Richtung geben, und die muß nach Möglichkeit optimistisch sein.
(Fortsetzung folgt)

Geändert von Peter L. Opmann (08.12.2023 um 09:12 Uhr)
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