Thema: Filmklassiker
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Alt 04.12.2023, 06:05   #1738  
Peter L. Opmann
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Schlöndorff: Seit 1936 hatte Billy Wilder bei Paramount einen langfristigen Vertrag, erst als Drehbuchautor, dann als Regisseur und Producer, und heute ist sogar ein Gebäude dort nach ihm benannt. (Wie ich lese, gibt es das Paramount Studio an der Melrose Avenue in LA noch immer, Anm.) So wie Gloria Swanson in „Sunset Boulevard“ könnte auch Billy Wilder sagen, daß diese Gebäude – auch – auf seiner Arbeit aufgebaut sind.

„Sunset Boulevard“ (1950)
Die Suche nach Gloria Swanson hat lange gedauert, denn sie war nicht die erste Idee. Die erste Idee war Mae West.

Wilder: Sie hat in der Verlängerung der Vine Street gewohnt, in einem Apartment, in dem nur sie leben konnte: Alles weiß und Gold und Federn. Sie kam wie eine weiße Lokomotive mit ihren Federn, weil sie sich doch so jung wie möglich machen wollte. Das Mieder war wie 1920.

Karasek: Sie war damals etwa 60 Jahre alt, oder?

Wilder: Ich glaube, 110.

Schlöndorff: Nachdem es mit Mae West nicht geklappt hatte, wandte man sich an Pola Negri.

Wilder: Am Telefon habe ich mit ihr gesprochen. Sie klang wie die Frau von Lech Walesa.

Karasek: Die lebt auch noch?

Wilder: In Texas lebt sie (1988 war sie gerade gestorben, Anm.). Sie hatte einen Riesenakzent, und ich sagte: Das ist zuviel.

Schlöndorff: Erst ganz zum Schluß fiel den Autoren Brackett und Wilder Gloria Swanson ein. Sie hatte sich etwas von Hollywood zurückgezogen. Sie war der Superstar, die Diva überhaupt der Stummfilmzeit und ist dann nach New York gegangen, vor allen Dingen, nachdem ihr letzter Film, „Queen Kelly“, den sie mit Erich von Stroheim machte, nie fertig geworden ist. Für sie war eigentlich die Filmkarriere mit dem Ende der Stummfilmzeit beendet.

Wilder: Der Brackett hat ihr gesagt – ich habe das nicht gewagt –, es hänge ganz davon ab, wir möchten eine Probeaufnahme mit ihr machen. Von so einer berühmten Frau! Aber sie sagte sofort: „I understand.“ Sie brachte genau das, was wir wollten: Sie spielte im Stummfilmstil. Das war das Gute an ihr. Sie beherrschte Acting der Zeit um 1920. Das kann man nicht lernen.

Karasek: Sie wirkt im Film auch wie ein Relikt aus einer großen alten Zeit.

Wilder: Richtig. Das war nur ein bißchen gefährlich, weil wenn man das zum Höhepunkt bringt, kann man auch runterfallen.

Karasek: Weil man an der Grenze zum Lächerlichen ist.

Wilder: Eine wirklich schöne Frau ist an der Kippe zur Häßlichkeit.

Karasek: Gab es bei Gloria Swanson manchmal die Gefahr des Umkippens?

Wilder: Nein, ich habe das ein bißchen reguliert. Aber sie kam mit allem. Es ist ja einfacher, jemandem zu sagen: Mach bitte etwas weniger, als zu sagen: Mach doch etwas!

Schlöndorff: Billy Wilder liebt es, Wirklichkeit und Fiktion miteinander zu vermischen, also die Fiktion des Drehbuchs der Wirklichkeit auszusetzen und umgekehrt, die Wirklichkeit zu brechen durch eine fantasievolle Geschichte. Beides bekommt dadurch eine andere Dimension, wie zum Beispiel in „Foreign Affair“, was ja eine Schnulze sein könnte, durch die realen Schauplätze Berlins, durch die Ruinen der Nachkriegszeit ein anderes Flair bekommt. Oder wie „Some like it hot“ durch die Gegenwart von Marilyn Monroe plötzlich durch ihre persönliche Tragik aufgewertet wird und es nicht mehr nur eine dumme Blondine ist. Und bei „Sunset Boulevard“ ist es so, daß, nachdem Gloria Swanson nun eingestiegen war, er sich umgeschaut und alle diese fiktiven Rollen besetzt hat mit anderen authentischen amerikanischen Hollywoodstars. Zum Beispiel spielt Cecil B. DeMille sozusagen sich selbst, Erich von Stroheim den Regisseur, der vorher mit ihr gearbeitet hatte, es taucht Buster Keaton auf als Bridgespieler und nicht als Komiker.

Wilder: Zu einer Bridgepartie wollte ich Namen haben. Da habe ich bekommen den Henry Byron Warner, der den Jesus gespielt hatte in den DeMille-Filmen, habe Buster Keaton bekommen. Und ich habe gesagt, ich will Keaton nicht als Komiker haben. Meine Schwester liebt den Keaton und zieht ihn dem Chaplin vor. Er war aber auch ein sehr guter Bridgespieler. Der Mann, den wir von Anfang an hatten, war Montgomery Clift. Eine Woche vorher rief sein Agent an und sagte: Er hat sich das überlegt, daß, wenn er diese Rolle spielt, er kaputt ist in Hollywood.

Schlöndorff: Und so kam Billy Wilder zum ersten Mal mit William Holden zusammen, der mehr noch als Jack Lemmon, meine ich, sein Alter Ego ist.

Wilder: Ich habe ihm das Script gegeben, und er kam eine Stunde später in mein Haus und sagte: Das spiele ich, das muß ich spielen. Ich kannte ihn nicht sehr gut, aber ich hatte ein paar Filme mit ihm gesehen, da hat er Leutnants gespielt in Kriegskomödien.

Schlöndorff: Ich fragte Billy: Wie ist das möglich, daß ein Toter eine Geschichte erzählt? Das geht doch nun wirklich gegen die Normen und Konventionen von Hollywood. Wie kann er aus dem Jenseits sprechen? Da sagt er: Ja, das ist ähnlich wie bei „Double Indemnity“, wo wir ein ganz anderes Ende hatten. Für „Sunset Boulevard“ hatten wir eigentlich einen ganz anderen Anfang. Der Anfang war: Freitagnachmittag; die städtische Leichenhalle wird gerade geschlossen. Aber da kommt noch ein Auto, eine letzte Leiche wird reingefahren, wird in die letzte Schublade geschoben, und die Wärter gehen weg. Und nun wachen die Toten auf, unter ihren Leichentüchern sieht man sie hervorkommen, und erzählen, wie sie da hingekommen sind. Da ist ein kleiner Junge, der vom Auto überfahren worden ist. Da ist, wie immer bei Billy Wilder, ein Selbstmörder, der sich wegen Schulden oder einer Frau umgebracht hat…

Wilder: Dann sieht man die Leiche von Holden. Um die große Zehe hatte er einen Zettel mit seinem Namen gebunden, wie sie’s immer gemacht haben. Und das war einer der größten Lacher, die ich je in meinem Leben gehört habe.

Schlöndorff: Frage natürlich an Billy Wilder: Warum ist es nicht bei diesem sehr schönen Anfang geblieben? Und er sagt: Wegen der Previews. Das bedeutet, daß man Filme dem Publikum zeigt, bevor sie rauskommen. Man nimmt einen Film, geht in irgendein Kino im Vorort oder in der Provinz, wo die Mittelschicht, das sogenannte repräsentative Publikum ist, und sagt ihnen nach der Vorstellung eines normalen Films: Jetzt können Sie, wenn Sie wollen, sitzen bleiben, und wir zeigen Ihnen gratis noch einen anderen Film, einen ganz neuen Film. Und danach wird nach den Reaktionen des Publikums bei dieser Voraufführung beurteilt, ob an dem Film noch was geändert werden soll oder nicht.

Wilder: Und ich sagte: Wenn da schon Lacher kommen, dann geht es schief. Ich saß auf der Treppe zu den Toiletten. Eine Dame mit einem großen Hut ging in die Damentoilette. Dann drehte sie sich um und fragte mich: „Waren Sie drin? Haben Sie jemals so einen Mist gesehen?“ Ich sagte: „Noch nie.“ An dem Film hatten wir ein Jahr gearbeitet. Beim zweiten Preview war es dasselbe. Jeder einzelne im Publikum ist ein Idiot. Alle zusammen sind sie ein Genie. Wir fragen uns nie: Ist das eine Komödie, eine Tragödie, ein Musical? Wir schreiben eine Geschichte und machen es so wirksam und wahr wie möglich. Wir erzählen ihnen ein bißchen etwas, was sie mit nach Hause nehmen. Wir hoffen immer, daß die Leute nach diesem Film in einen Drugstore gehen und eine halbe Stunde über den Film sprechen. Wenn man das hat, ist es großartig.

Schlöndorff: Die erste Einstellung des Films entscheidet im Grunde über die Haltung des Publikums zu diesem Film. Und wehe, man hat die falsche Erwartung geweckt. Man kann ganz langsam anfangen und dann schneller werden. Aber man kann nicht wie ein Krimi anfangen und dann zur Komödie kommen. Man kann auch nicht mit der Komödie anfangen und dann zu einem ernsthaften Stück kommen. Wie beim Treppensteigen: Man will, daß jeder Schritt die nächste Stufe da findet, wo sie erwartet wird. Sonst tappt man ins Dunkle, und der Film gilt als Pleite. Also heißt es: Kill your darlings. Man muß seine Lieblingsstücke als erstes opfern. Also mußte diese Sequenz rausgeschnitten werden, und so kommt es, daß es einen Hollywoodfilm gibt, noch dazu einen berühmten, wo ein Toter einfach der Erzähler ist.

Wilder: Das Merkwürdige war, das hat die Kameraleute interessiert: Man kann nicht durchs Wasser drehen. Die Oberfläche bricht es. Es ist unmöglich, jemanden zu sehen. Wir haben es versucht und versucht, und endlich haben wir eine Lösung gefunden. Wir haben auf den Boden des Pools einen Spiegel gelegt. In den Spiegel kann man fotografieren und sieht die Leiche im Wasser und die Polizisten und Reporter, die sich darüberbeugen. Anders konnte ich’s nicht machen.

Wilder (solidarisiert sich mit Gloria Swanson): Ich stelle mir manchmal eine Rückblende vor und kann dann fast hören, wie die Studiobosse über mich reden. Einer sagt: „Was haltet ihr von ihm? Erinnert ihr euch noch an diesen wunderbaren Film?“ – „Wann wurde der gedreht?“ – „1942.“ – „Jetzt haben wir 1986. Das war vor 44 Jahren. Dieser Mann gehört in ein Altersheim.“ Ich wäre einverstanden, aber nur, wenn ich die Tages- und die Nachtschwester aussuchen darf.

„Stalag 17“ (1953)
Wilder: Das war einer der Filme, die am leichtesten zu drehen waren. Keine Verschmocktheit, keine besonderen Aufnahmen, gut in Schwarz-weiß zu fotografieren, schnell gemacht. Man hat nicht das Gefühl, daß jemand ein großer Künstler damit werden will.

Schlöndorff: Ein Film in einem deutschen Kriegsgefangenenlager für amerikanische Gefangene. Es ist eigentlich ein Ensemblestück. Es gibt fast keine Hauptperson, jede einzelne Figur ist wichtig. Kontrahenten sind William Holden, der einen anscheinend skrupellosen amerikanischen Geschäftemacher spielt, dem es nur um seine Vorteile auf dem Schwarzmarkt geht, und ein Sohn deutscher Einwanderer, der sich immer sehr idealistisch gibt und große Sprüche klopft, sich aber zum Schluß als Verräter entpuppt. Hier differenziert und zeichnet zum ersten Mal Billy Wilder sehr genau, wie er die Deutschen und wie er die Amerikaner sieht. Die Amerikaner – anscheinend ohne Moral, Pragmatiker, aber im Grunde anständige Leute, die Deutschen – mit vielen Idealen, aber oft auch sehr tumb und hohl und nicht immer sehr verläßlich.

Wilder: Holden hat das glaube ich sehr gut gespielt. Mein Freund und einer der besten Regisseure der Welt, der David Lean, hat den Charakter von dem Holden genommen und ihn spielen lassen in „Bridge on the River Kwai“. Das war nicht der im Roman, nämlich der Charakter des Schwarzmarkthändlers, der unter dem Bett einen Koffer hat mit Schokolade, Zigaretten, Kaugummi, Seidenstrümpfen für die Frauen…

Schlöndorff: Erstaunlich – die Deutschen sind sonst oft viel schlimmere Bösewichte. Du hast sie mehr als Dummköpfe gezeigt.

Wilder: Preminger war als Schauspieler dabei. Er hat immer seinen Text vergessen. Er sagte dann: Entschuldigung, ich bin etwas aus der Übung. Jeden Abend kam er mit drei Pfund Kaviar – sehr großzügig. Aber die Schauspieler und Komparsen kannten ihn als strengen Regisseur. Sie hatten unter ihm gelitten. Während Preminger sich entschuldigte, machten die anderen mir Zeichen: Gib ihm Saures!

Schlöndorff: Es ist interessant: Du sprichst immer in diesen Begriffen „erster Akt“, „zweiter Akt“, „dritter Akt“. Ich kenne viele Regisseure, die sich immer von Romanen Stoffe holen, und du hast sehr oft Theaterstücke. Aber nicht, weil sie auf der Bühne spielen, sondern nur, weil die Story schon mal gut vorstrukturiert ist.

Wilder: Richtig. Die Leute sagen, es sei sehr schwierig, eine Geschichte auf der Bühne zu erzählen. Wir, die Filmemacher, können mit der Kamera überall hingehen. Aber das wird viel schwerer, denn man weiß ja nicht, wo man sie hinstellen soll. Soll ich’s wie der Eisenstein oder wie Busby Berkeley machen, ganz von oben? Weil man alles machen kann, deshalb ist es viel schwieriger.

Plötzlich hat Holden die Fluchtkarten. Er zündet seine Zigarette an, indem er mit dem Streichholz durchs Gesicht des ärgsten Bösewichts streicht. Wie habe ich das gemacht? Ich habe auf der von der Kamera abgewandten Seite etwas Schmirgelpapier auf die Wange geklebt – gar kein Problem. Ich wollte noch eine Sache drehen, aber es ist mir nicht gelungen. Die beiden Flüchtenden gehen durch den Wald, und die anderen Leute in der Baracke gehen wie Schatten mit ihnen mit, aus dem Lager heraus. Das hat aber nicht gut ausgesehen. Da habe ich ganz auf Underplay gesetzt. Sie gehen also in der Baracke ins Bett, und der Verrückte pfeift noch.

Schlöndorff: Das traurige Ende sollte aber erst noch kommen. Denn der Verleih hatte Angst, den Film in dieser Form in Deutschland herauszubringen.

Wilder: Als ich in Paris gedreht habe, kam ein Brief von Paramount: „Wir wollen Ihren Film ,Stalag 17‘ in Deutschland herausbringen. Das wird Sie bestimmt sehr freuen. Dieser Film ist geradezu prädestiniert für Deutschland. Aber Sie verstehen sicher, daß wir eine Kleinigkeit ändern wollen: Der Bösewicht ist kein Nazi, sondern ein Pole.“

Schlöndorff: Nach allem, was im Zweiten Weltkrieg geschehen war, war dem amerikanischen Verleih das Geschäft in Deutschland wichtiger als die Wahrheit. Nicht so Billy Wilder.

Wilder: Da habe ich einen Brief geschrieben: „Ich traue meinen Augen nicht.“ Für den Verleih ging es um viel Geld, viel Geld! Aber ein Mann, dessen Mutter und Stiefvater in Auschwitz umgekommen sind… Ich hatte noch einen Vertrag über drei Filme mit Paramount. Aber wenn sie sich nicht entschuldigen, sagte ich, mache ich keinen Film mehr für die Paramount! Ein wirklich wütender Brief. Und was passierte? Überhaupt nichts. Kein Mensch hat sich entschuldigt, Ich habe meine Sachen gepackt und bin gegangen.

Schlöndorff: So verließ der sogenannte Zyniker Billy Wilder aus Gründen des Anstands nach 18 Jahren die Paramount und trat nie wieder durch dieses Tor. Mit sich nahm er allerdings seinen Lieblingsschauspieler William Holden, der auch im nächsten Film die Hauptrolle spielte. Er war für ihn einfach der Amerikaner, auf den er nicht verzichten wollte.

Wilder: Es war wie meine Zusammenarbeit mit Diamond. Wir kannten uns in- und auswendig – keine kleinen Geheimnisse. Jeder hat offen über alles geredet, und dann konnten wir arbeiten. Wir haben aneinander geglaubt und uns gegenseitig vertraut. Wir haben reinen Tisch gemacht für ehrliche Arbeit. Holden war ein gehemmter Mann, und deswegen wurde er ein Trinker. Er sagte mir eines Tages: Um aufstehen zu können, muß er eine Viertelflasche Wodka trinken. Und mittags. Wir waren noch jung und hatten keine Sorgen. Aber da hat’s bei ihm angefangen. Er mußte sich immer mit etwas beschäftigen und wollte immerzu Gutes tun. Er machte bei der Feuerwehr mit, er arbeitete in Kenia im Naturschutzpark. Er machte irgendwas in Hongkong für die Regierung – ich habe vergessen, was es war. Er war ein tüchtiger Bürger. Bei der Nachricht: Bill Holden ist tot, hätte ich mir vorgestellt, daß ein Nashorn ihn aufgespießt hat. Oder daß sein Flugzeug mit ihm über Hongkong abgestürzt ist. Aber ich hätte nie geglaubt, daß er von einem Nachtisch getötet wurde. Er war allein in seiner Wohnung. Er war betrunken, ist ausgerutscht, er stürzte gegen die Tischkante und ist verblutet. Er wollte immer etwas tun für die Rettung bedrohter Tierarten. Er vergaß, daß er als Trinker selbst zu einer bedrohten Tierart gehörte.

„Sabrina“ (1954)
Schlöndorff: „Sabrina“ basiert wieder auf einem Theaterstück, das Billy Wilder allerdings mit dem Autor radikal umschrieb, so daß es einem wiederum beinahe wie ein Stück aus Österreich-Ungarn vorkommt. Ich bin unfähig, die Geschichte zu erzählen. Ich weiß, es handelt von zwei Brüdern, der eine ist seriös, der andere ist ein Pfiffikus. Und die Tochter des Chauffeurs in diesem reichen Hause, das ist Audrey Hepburn, die sich mal in den einen, mal in den anderen verliebt – Verwirrung der Gefühle. Sie endet übrigens nicht mit dem Pfiffikus, sondern mit dem Seriösen. Das Interessante an dem Film ist die Besetzung, nämlich einerseits William Holden und andererseits Humphrey Bogart.

Karasek: Wie kam Bogart an diese Rolle?

Wilder: Weil wir jemanden brauchten, der älter ist als Holden und Ausstrahlung hat, eine Persönlichkeit. Er mußte in gewissem Sinn zäher sein als sein Bruder. Die Wahl von Bogart war gut, denn er war ein guter Schauspieler. Aber er spielte nie in Komödien, das war also eine Überraschung. Kein Mensch weiß, was das Charisma dieses Mannes ausmacht. Es war sehr schwer, mit ihm zu drehen, denn in den Liebesszenen hat er beim Sprechen gespuckt. Da durfte man nicht gegenleuchten, sonst hätte es so ausgesehen, als ob es aus seinem Mund regnet.

Karasek: Im Theater sieht man das oft.

Wilder. Aber plötzlich habe ich den wirklichen Bogart gesehen.

Karasek: Stimmt es, daß er sich während der Dreharbeiten über deinen Akzent lustiggemacht hat?

Wilder: Alle machen sich lustig über meinen Akzent. Er mochte die Rolle nicht besonders, und er mochte das Studio nicht (das war tatsächlich Wilders letzter Film für Paramount, Anm.). Er mochte mich als Regisseur nicht. Es war keine geniale Kombination. Aber man sagt sich: ich bin gefangen, aber nicht lebenslang. Ich habe diese Schauspielerin am Hals, aber ich bin nicht mit ihr verheiratet. Es kommt der Tag, an dem ich ihr sagen werde: Leck mich…

Karasek: Wie verläuft so ein typischer Kampf?

Wilder: Kein Kampf! Wirklich nicht. Kleine Sticheleien hier und da. Alles vergeben und vergessen. Denn als ich ihn das nächste Mal sah, hatte er Krebs. Er war wie verwandelt. Er hatte oft den Helden gespielt, der er nie war. Aber jetzt war er ein Held geworden.

Da gibt es die Szene, als sich Holden auf die Sektgläser setzt. Ich bin damals ständig mit Gläsern in den Taschen herumgelaufen. Aber das Glas zerbrach nicht, egal, wie ich mich hinsetzte. Beim Film ist das einfach: Man kann mit dem Ton tricksen.

Schlöndorff: Warum hattest du Gläser in den Taschen?

Wilder: Weil ich die Szene ausprobieren wollte. Es klappte nicht, denn wenn du ein Glas in der Tasche hast, wird es einfach verschoben. Aber kein Mensch prüft das nach. Nur wenige Menschen haben Erfahrung mit Gläsern in den Taschen. Aber man hört immer wieder, daß Leute das zuhause nachmachen.

In „Sabrina“ hatte ich Schwierigkeiten mit dem Script, und da habe ich nachts geschrieben und untertags das gedreht, was ich zuvor geschrieben hatte. Man muß ungefähr vier bis fünf Seiten haben. Aber an einem Tag hatte ich nur eineinhalb Seiten. Keiner wußte es – außer Audrey Hepburn. Ich sagte ihr: „Paß auf, ich möchte nicht zu schnell voranschreiten, weil ich nur eineinhalb Seiten habe.“ Sie sagte: „In Ordnung.“ Also haben wir eine Szene gedreht. Ich sagte: „Großartig, und jetzt gehen wir ein bißchen näher…“ Ich habe das verlängert. Und sie hat, um mir zu helfen, manchmal einen Satz…

Karasek: Was die Monroe aus freien Stücken machte, hat sie dir zuliebe gemacht.

Wilder: Wir waren um 17 Uhr fertig. Da sagte sie zu meinem Regieassistenten: „Ich habe solche Kopfschmerzen. Ich muß jetzt aufhören.“ Sie würde auch einen weniger guten Text mit großer Überzeugung lesen. Das braucht man manchmal. Sowas tut man für den Film, nicht für den Regisseur. Die Mitarbeit der Schauspieler ist sehr wichtig. Wenn sie gemein sein wollen, können sie einen hereinlegen. Aber letztlich schaden sie nicht dem Regisseur, sondern dem Film. Und damit auch sich selbst.

Schlöndorff: Dieses Glaubensbekenntnis en passant ist wieder ganz typisch Billy Wilder. Nicht als Zyniker, sondern als Moralist. Denn es gibt für ihn nicht nur politischen Anstand, es gibt auch sowas wie Berufsehre. Es gibt eine bestimmte Art von Filmen, die er nie machen würde. Es gibt eine Art von Lügen, die er in einem Film nie unterbringen würde. Und es gibt für ihn einen Anstand, den alle, die an einem Film mitarbeiten, ob Schauspieler oder Techniker, gemeinsam haben, nämlich dafür zu arbeiten, daß der Film gut wird, und nicht dafür, daß sie ihre Eitelkeit oder ihr Ego befriedigen.

Wilder: Man hat eine bestimmte Haltung zum Leben, bestimmte Regeln. Man glaubt an eine bestimmte Ethik. Und das werde ich nicht verraten, für keine Geschichte der Welt. Ich habe ein paar schlechte Filme gemacht, aber bei keinem muß ich mich für den Inhalt schämen. Ich habe mich nie verkauft. Ich habe eine Menge Fehler gemacht, aber es waren ehrliche Fehler.
(Fortsetzung folgt)

Geändert von Peter L. Opmann (04.12.2023 um 06:15 Uhr)
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