Thema: Filmklassiker
Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 19.11.2023, 06:24   #1691  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.602
Nun zu „Arzt und Dämon“ (1941) von Victor Fleming. Ein guter Film, der aber nach meinem Eindruck aus dem Horror-Genre auszubrechen versucht und dadurch scheitert. In der Erzählstruktur folgt Fleming (der offizielle Regisseur von „Vom Winde verweht“) ziemlich genau dem Vorbild von Rouben Mamoulian. Deshalb brauche ich die Story nicht noch einmal wiederzugeben. Aber Fleming versucht es dadurch zu übertreffen, daß er die Horrorelemente zurückdrängt. Damit wird eine Art Melodram daraus, die Geschichte eines Mannes zwischen zwei Frauen (Spencer Tracy, Lana Turner, Ingrid Bergman). Das wichtige Motiv des Halbwesens, also der angesehene Arzt, der im Dunkel der Nacht zum Monster wird, wird sehr zurückhaltend behandelt. Dabei ist das Remake von MGM 25 Minuten länger als das Original von Paramount (beide Filme waren allerdings gekürzt im Fernsehen).

Eigentlich ist es ein guter Einfall, die Verwandlung des Dr. Jekyll nur anzudeuten. Tracy werden lediglich buschige Augenbrauen angeklebt und sein Gesicht diabolisch ausgeleuchtet. Er war schließlich ein guter Schauspieler und konnte die Verwandlung darstellerisch und ohne Monstermaske glaubhaft machen. Aber er ist hier eben kein richtiges Monster mehr, sondern nur ein exzentrischer Grobian. Er ist auch nicht triebgesteuert, sondern tut nur die Dinge, die er als Dr. Jekyll schon immer auch gern tun wollte, aber nicht durfte. Er muß sich nun wirklich zwischen zwei Frauen entscheiden. Turner, seine Verlobte, ist sehr in der sehr prüden viktorianischen Welt gefangen. Bergman spielt dagegen das unbekümmerte, offenherzige Mädchen, das allerdings genauso wie Rose Hobart 1932 unter Mr. Hydes Sadismus – hier psychologisch etwas differenzierter herausgearbeitet – zu leiden hat. Tracy ist hier wirklich hin- und hergerissen zwischen den beiden Frauen: die eine verspricht vorrangig gesellschaftliches Ansehen, die andere soll ihm vor allem seine sexuellen Wünsche erfüllen.

Spencer Tracy war zwar zu dieser Zeit einer der Top-Stars Hollywoods, aber er war nicht der Richtige für die Rolle, wie er selbst wohl wußte, denn er wollte den Part eigentlich nicht übernehmen. Zwar habe ich vor allem den Tracy späterer Jahre vor Augen, als er vornehmlich Richter und ähnliche Ehrenmänner spielte, aber schon hier überzeugt er als Frauenschänder nicht richtig. Er kann den Mr. Hyde eindrucksvoll spielen, aber man sieht doch immer sein Spiel, während ich Frederic March die Verwandlung wirklich abgenommen habe. In seiner Maske war er tatsächlich ein Anderer. Ingrid Bergman war übrigens für die Rolle der schwer erreichbaren Verlobten vorgesehen, wollte aber lieber das „böse Mädchen“ spielen, was in diesem Fall wohl die richtige Entscheidung war.

Es zeigt sich in meinen Augen, wie wichtig Genres für das Hollywoodkino waren und wohl immer noch sind. Genreregeln müssen befolgt werden. Ein Horrorfilm ohne Monster enttäuscht ebenso wie ein Western, in dem niemand Waffen trägt. MGM hat damals einige Anstrengungen unternommen, mit seinem Remake das „Original“ (okay, es gab schon frühere Verfilmungen) vergessen zu machen. Das Studio kaufte von Paramount nicht nur die Filmrechte, sondern auch den Mamoulian-Film, der seitdem bis 1967 nicht mehr öffentlich gezeigt werden konnte. Trotzdem war „Arzt und Dämon“ immer dem Vergleich ausgesetzt, und die meisten kamen zu dem Schluß: Der alte Film war besser. Ich würde sagen: Er war vielleicht nicht besser, aber er war „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ und der neuere nur ein Liebesfilm mit Anklängen an den Stoff.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten