Thema: Filmklassiker
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Alt 18.11.2023, 07:10   #1689  
Peter L. Opmann
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Wenden wir uns wieder dem Thema „Remake“ zu. Die Novelle „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ von Robert Louis Stevenson ist gemäß meinem Remake-Handbuch etwa 30mal verfilmt worden, wobei etwa die Parodien von Jerry Lewis und Eddie Murphy mitgezählt werden. Bereits 1920 entstand ein nicht uninteressanter Film mit John Barrymore. Die erste bedeutende Filmfassung von 1932 stammt von Rouben Mamoulian und von Paramount. Knapp zehn Jahre später verfilmte Victor Fleming das Werk für MGM neu. Diese beiden Versionen habe ich auf einer Videocassette.

Beginnen wir mit dem Horrorfilm von 1932. Ich weiß noch, daß ich um 1990 in meiner Studentenbude mit Zimmerantenne ferngesehen habe. Der Film lief überraschenderweise auf RTL (und zwar ohne Werbeunterbrechungen), allerdings war der Empfang ziemlich schlecht, so daß das Bild die meiste Zeit recht grieselig ist (der Ton ist in Ordnung). Ich bin trotzdem froh, daß ich „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ in meiner Sammlung habe, und habe ihn nun digitalisiert.

Ich vermute, Paramount wandte sich nach dem gewaltigen Erfolg der Universal-Gruselfilme diesem Stoff zu. Die Haupt- und Doppelrolle spielt Frederic March. Mamoulian erweiterten den Stevenson-Stoff erstmals um zwei Frauenrollen, die Miriam Hopkins und Rose Hobart übernahmen. Dr. Jekyll ist ein angesehener und wohltätiger Londoner Arzt, der aber die Auffassung vertritt, daß jeder Mensch neben seiner zivilisierten eine verborgene animalische Seite hat. Er arbeitet an einem Serum, das diese beiden Persönlichkeitsteile getrennt voneinander sichtbar machen soll. Das Serum testet er an sich selbst, und zum Vorschein kommt ein häßlicher, triebgesteuerter und gewalttätiger Mann: Mr. Hyde. March ist bereits seit ein paar Monaten mit Hopkins verlobt. Beide wollen so schnell wie möglich heiraten, aber der Vater der Braut besteht auf einer angemessenen Verlobungszeit. Seine Sehnsucht nach Hopkins fördert offenbar seine Verwandlung. Als Hyde befriedigt er seine Leidenschaft im anrüchigen Vergnügungsviertel Soho, wo er eine Varietétänzerin (Hobart) aufgabelt. Sie ist kurzzeitig von ihm fasziniert, lernt aber nach kurzer Zeit sein brutales Wesen kennen, kann ihn aber nicht wieder loswerden.

Als Jekyll bereut March, was er Hobart angetan hat und sendet ihr als Wiedergutmachung 50 Pfund, damals wohl eine größere Summe. Zugleich wendet er sich wieder Hopkins zu, die alles daransetzt, daß ihr Vater einer früheren Hochzeit zustimmt. Inzwischen verwandelt sich March aber nicht nur, wenn er das Serum schluckt, sondern auch unwillkürlich, auch wenn er sich vorgenommen hat, nie wieder zu Hyde zu werden. Hobart sucht Jekyll auf, um sich für das Geld zu bedanken – damit hat sie gleich wieder Hyde am Hals, der sie schließlich umbringt. Währenddessen wartet Hopkins angstvoll auf Jekylls Rückkehr, denn sie hat ihren Vater inzwischen zu einer früheren Heirat überredet. Nach dem Mord gelobt Jekyll, nie wieder zu Hyde werden zu wollen, aber auch, seine Verlobung mit Hopkins zu lösen. Als er schließlich bei ihr auftaucht, verwandelt er sich wieder in Hyde, wird jedoch mit großer Mühe von der Polizei zur Strecke gebracht.

Mamoulian zieht alle Register seiner Regiekunst: Eine hochbewegliche Kamera, eine immerzu morbid-romantische Stimmung, starke Schauspielerleistungen. Die Verwandlung von Jekyll in Hyde inszeniert er immer wieder auf andere Weise. Am Ende zeigt er sie auch einmal durch Überblendungen, was aus heutiger Sicht am wenigsten überzeugt. Aber insgesamt entfaltet der Film noch immer seine Wirkung – wobei ich mir vorstellen kann, daß RTL-Zuschauer dennoch irritiert gewesen sein dürften. Bei den Frauenfiguren liegt der Fokus zunächst auf Hobart, während Hopkins lediglich schicklich auf ihren Bräutigam warten kann. Als Hyde schließlich ihr gegenübersteht, entfaltet auch sie ihre Ausdrucksmöglichkeiten. Üblicherweise werden die beiden Frauen von Kritikern als „gutes“ und „böses“ Mädchen einsortiert. Aber Hobart kommt zwar sinnlicher rüber, doch erscheint nicht explizit als Vamp. Der Film entstand vor Einführung des Hays-Codes, das ist ihm aber inzwischen nicht mehr anzusehen. Jedenfalls ein gut gemachter, packender Horrorfilm, von dem behauptet wird, daß er der MGM-Version mit Spencer Tracy klar überlegen ist. Das werde ich jetzt nochmal überprüfen.
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