Thema: Filmklassiker
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Alt 10.11.2023, 06:02   #1670  
Peter L. Opmann
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Auf vielfachen Wunsch: „Berge in Flammen“ (1931) von Karl Hartl und Luis Trenker. Diesen klassischen Bergfilm habe ich schon sehr früh (jedenfalls als Teenager) gesehen und war sehr angetan von ihm. Er erzählt jedenfalls gut verständlich eine sehr ungewöhnliche, dabei auf Tatsachen beruhende Geschichte. Heute finde ich ihn immer noch annehmbar, sehe ihn aber doch mit anderen Augen.

Es ist eine Geschichte aus dem Ersten Weltkrieg. Damals erhoben sowohl Österreich-Ungarn als auch Italien Anspruch auf Südtirol. Luis Trenker spielt einen österreichischen Bergführer aus einem Dorf zu Füßen der Fanesgruppe der Dolomiten. Zu den Italienern aus der Region pflegt er aber freundschaftliche Beziehungen, da sie seine Liebe zu den Bergen teilen. Eingerahmt wird die Filmhandlung durch eine gemeinsame Besteigung des Fanesturms (heute „Lagazuoi“) mit einem Römer, einmal im Jahr 1914, kurz vor Kriegsausbruch, einmal 1931, also in der damaligen Jetztzeit. Der Krieg unterbricht ihre Freundschaft, kann sie aber nicht zerstören. Das ist die ehrenwerte pazifistische Botschaft des Films. 1914 werden die Männer des Dorfs dann erstmal zum Kriegsdienst eingezogen. Erfreulicherweise sieht man nichts von der besinnungslosen Kriegsbegeisterung, die zum Beginn des Ersten Weltkriegs weithin herrschte; vielmehr wird betont, wie schwer es den Männern fällt, ihre Familien zurückzulassen. Nach kurzem Einsatz in Galizien (Grenzgebiet zwischen Polen und der Ukraine) kehrt Trenkers Einheit in die Heimat zurück und besetzt den Lagazuoi. Italien hat Österreich-Ungarn inzwischen den Krieg erklärt, und sie finden sich in einem zermürbenden Stellungskrieg zwischen den Berggipfeln wieder. Von ihrem Stützpunkt aus nahe dem Berggipfel können sie auf ihr Dorf hinunterblicken. Trenkers Frau (Lissy Arna) weiß allerdings nichts davon, daß ihr Mann so nahe ist; sie hört vielmehr, er sei gefallen.

Nach einiger Zeit nehmen die Soldaten verdächtige Geräusche im Berg wahr und kommen bald darauf, daß die Italiener unter ihnen Stollen graben, um die Bergspitze abzusprengen. Trenker meldet sich zu einem Kurierdienst; er hat dabei im Hinterkopf, daß er dabei auch sein Heimatdorf besuchen kann, das allerdings inzwischen von den Italienern besetzt ist. Heimlich trifft er sich mit seiner Frau. Dabei bekommt er aber zufällig von den Italienern in seinem Haus mit, daß die Sprengung des Bergs am folgenden Tag stattfinden soll. Er muß also sofort zurück auf den Berg und seine Kameraden warnen. Er kommt eben noch rechtzeitig. Die Österreicher räumen ihren Stützpunkt, können den Berg aber nach der Explosion halten. Dann springt der Film ins Jahr 1931.

Die ersten fünf Minuten des Films zeigen nur malerische Ansichten der Dolomiten und den Aufstieg Trenkers und seines italienischen Freunds zum Lagazuoi. Die Bilder (Kamera: Sepp Allgaier) sind exzellent. Es sieht so aus, als habe er da schon mit den Filtern gearbeitet, deren innovativen Einsatz Leni Riefenstahl für ihren Film „Tiefland“ reklamiert hat. Der gesamte Film ist sehr gut fotografiert, auch wenn jedenfalls die Kopie, die dem Bayerischen Rundfunk zur Verfügung stand, mitunter Alterungsspuren aufweist. Die Geschichte würde ich als naiv erzählt bezeichnen. Zwar wird der Krieg in keiner Weise glorifiziert; wir sehen sogar mitunter auf erbärmliche Weise sterbende Soldaten. Aber er wird auch überhaupt nicht hinterfragt. Mit den Berglern hat er nichts zu tun, und sie sind froh, wenn er vorbei ist und sie sich wieder dem Bergsteigen und ihrer Dorfidylle widmen können. Ich dachte früher, daß dem Kinobesucher des Jahres 1931 die politischen Zusammenhänge wohlbekannt waren. Aber es ist wohl kein Zufall, daß darauf überhaupt nicht eingegangen wird.

„Berge in Flammen“ war Trenkers erste Regiearbeit, nachdem er als Schauspieler schon in Filmen von Arnold Fanck mitgewirkt hatte. Co-Regisseur Hartl hatte schon mehr Erfahrung mit der Filmtechnik. Es ist kein österreichischer, sondern ein deutsch-französischer Film. Berichtet wird, daß Trenker dieser Film ein persönliches Anliegen war. Er kannte die Schauplätze gut und war angeblich konsterniert, daß nach gut zehn Jahren die Spuren des Krieges dort schon teilweise verschwunden waren. Er wollte also festhalten, was für ein Drama sich dort abgespielt hatte. Die Stollensysteme und Überreste der Sprengungen sind freilich am Lagazuoi noch heute zu besichtigen und eine Touristenattraktion.

Ich empfehle, den wikipedia-Eintrag über Trenker, insbesondere „Nationalsozialismus und italienischer Faschismus“ und „Nachkriegszeit“ zu lesen. Da zeigen sich ein paar Parallelen zu Leni Riefenstahl. Trenker drehte zwar nicht Filme für das Hitler-Regime, aber sie paßten gut in ihre Propagandastrategie. Probleme hatte er freilich als Südtiroler, als er sich zwischen Deutschland und Italien entscheiden sollte. Kurios: Nach dem Krieg, als er keine Filmaufträge erhielt, fälschte er offenbar die Tagebücher der Eva Braun und verkaufte die Abdruckrechte an Verlage und Zeitschriften (so etwas hatten wir ja auch bereits kürzlich). Es ist leichter als bei Riefenstahl zu durchschauen, daß er sich immer mit dem Regime gutstellte, von dem er sich die größten wirtschaftlichen Vorteile versprach. Bedenken gegen die Nazis hatte er wohl keine. Als italienischer Staatsbürger mußte er sich jedoch nicht entnazifizieren lassen. Ab den 1960er Jahren konnte er rehabilitiert wieder im Fernsehen auftreten. Gegen Ende seines Lebens wurde er – wie Riefenstahl – engagierter Naturschützer.
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