Thema: Filmklassiker
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Alt 04.11.2023, 06:24   #1664  
Peter L. Opmann
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„Sieg des Glaubens“ (1933)
Riefenstahl: Der erste Film sollte der Film werden – es sollte nur einen geben. Nur konnte der erste Reichsparteitagsfilm 1933 nicht gedreht oder nicht fertiggestellt werden, weil wir gestört worden sind. Es war keine Vorbereitung da, die Partei wollte nicht, daß wir den Film machen, der ja ein Auftrag von Hitler war. Der Film wurde boykottiert.
Leni Riefenstahls erster Parteitagsfilm galt bis vor kurzem als verschollen.
Riefenstahl: Also so kurios es klingt: Die Partei, die den Film machen sollte, hat nicht gewollt, daß ich ihn mache. (Sie wendet sich ungehalten ab. Müller kommt ins Bild.) Wir sind wieder bei diesem Thema! Das ist nicht klar, das ist sehr schwer zu trennen.
Müller: Das kann man doch wegschneiden…
Riefenstahl: So gerne ich darüber spreche, aber bei diesem Scheiß-Licht doch nicht!
Hitler und Röhm, damals noch rivalisierende Partner im Kampf um die Macht.
Müller: Wollen Sie vom ersten Film sprechen?
Riefenstahl: Nein, den habe ich ja fast nicht gemacht.
Wer sieht, wie amateurhaft Hitler immer wieder aufgenommen ist, wie unbeholfen viele Einstellungen wirken, kann verstehen, warum Leni Riefenstahl nicht gern über diesen Film spricht. Er wirkt wie ein Entwurf zum eigentlichen Werk. Der Mangel an Perfektion, den die Umstände erzwangen, erregt sie noch heute.
Riefenstahl: Nein, da muß ich Ihnen erklären, daß der erste Film nicht ein Reichsparteitagsfilm, sondern nur ein Versuch war, den ich dann zusammensetzen mußte, weil Hitler das wollte. Da komme ich auf Hitler zu sprechen. Die richtige Technik, da können Sie nur vom „Triumph des Willens“ sprechen.
Müller: Also im ersten Film gab’s keine Technik?
Riefenstahl: Nein, ich bin doch erst hingekommen, als der Parteitag schon begonnen hatte. Da muß ich Ihnen sagen, warum. Da muß ich sagen: Lieber Herr Müller, ich konnte nichts machen, weil die Partei es verboten hat und mir nicht mitgeteilt hat und ich einen großen Krach mit dem Goebbels hatte.
Müller: Sie können doch alles sagen, was Sie wollen.
Riefenstahl: Nein, das will ich aber nicht! Diese wichtigen Sachen hier sagen… Zum Donnerwetter!
Nicht nur die Arbeit der Kameraleute, auch die Organisation der Veranstaltung selbst wirkt keineswegs perfekt. Es ist offensichtlich: Hitler und Leni üben noch. Ein Jahr später sind beide reif für ihr berüchtigtes Meisterwerk.
Riefenstahl: Ich habe doch nichts gemacht beim ersten Film. Da sind ein paar Szenen gedreht worden, wie die hier rumlaufen, passieren. Die wurden zusammengesetzt.
Müller: Haben Sie das nicht selbst geschnitten?
Riefenstahl: Doch, ich mußte es zusammensetzen, aber ich hatte ja kaum Material.
Dennoch: Einige Sequenzen haben bereits den typischen Riefenstahl-Touch. Bildgestaltung und Montage vereinigen sich zu beängstigender Intensität.
Müller: Die Auftraggeber waren zufrieden.
Riefenstahl: Naja, die waren ja auch mit jeder Wochenschau zufrieden. Hauptsache, es sind Hakenkreuzfahnen drin, nicht? Es wurde ein Kurzfilm, der aufgefüllt wurde mit irgendeinem Theater, ich weiß nicht mehr, mit welchem. Und Hitler und denen hat das gefallen. Für die war das natürlich schon interessant, aber nicht befriedigend, denn Hitler bestand darauf, daß ich den Film im nächsten Jahr mache.
Müller: Sie waren auch nicht zufrieden damit?
Riefenstahl: Na, für mich war das überhaupt kein Film. Für mich war das etwas belichtetes Material.
Immer wieder wird deutlich: Damals ist Hitler noch nicht Alleinherrscher. Neben ihm auf gleicher Höhe SA-Chef Röhm, den Hitler kurz darauf ermorden ließ. Der Boykott der Dreharbeiten durch die Partei hat Leni Riefenstahl so erbost, daß sie sich sofort anschließend bei Hitler beschwert.
Riefenstahl: ich habe ihm genau erzählt, was los war. Und Goebbels war dabei. Da können Sie sich vorstellen, was sich da abgespielt hat. Goebbels ist weiß geworden wie Kreide, Hitler wütend, außer sich, und hat gesagt: Das wird nie wieder vorkommen. Sie werden den Film im nächsten Jahr machen. Ich habe gesagt: Ich kann es nicht, ich werde es nie wieder machen. Also für mich stand damals fest, daß ich es nie wieder machen würde. Ich bin heulend davongelaufen, und wie ich nach Hause kam – bald danach kam ein Anruf. Ich mußte zu Goebbels ins Ministerium. Und das war genau das Datum, zu dem der Goebbels damals nach Genf gefahren ist, um zu erklären, daß Deutschland aus dem Völkerbund austritt. Darum weiß ich das Datum noch. Also ich kam in sein Büro im Propagandaministerium, da schrie er mich an: Wenn Sie ein Mann wären und nicht eine Frau, dann würde ich Sie jetzt die Treppe runterschmeißen! Sie sind eine ganz gefährliche Frau. Es ist unmöglich! Kommen Sie mir nie wieder unter die Augen! Und so ist das ausgegangen, und alles, was später kam, kam aus dieser Quelle, aus diesem Haß.

„Triumph des Willens“ (1934)
1934 dreht sie wieder in Nürnberg. Diesmal hat sie freie Hand. Sie arbeitet jetzt direkt für Hitler. Triumph oder Pakt mit dem Teufel?
Riefenstahl: Heute ist es ganz leicht, so zu denken. Natürlich. Wenn man weiß, was dieser Mann angerichtet hat und für schreckliche Dinge getan hat oder durch ihn geschehen sind, dann ist das klar. Stimmt, es ist ein Pakt mit dem Teufel. Aber vorher wußte man das ja nicht. Wahrscheinlich war er eine schizophrene Figur, war Teufel und das Gegenteil, er war vielleicht beides. Und damals hat man nur diese eine Seite zu sehen bekommen, nicht diese schreckliche, gefährliche Seite.
Mit enormem Aufwand dreht Leni Riefenstahl den bis heute besten Propagandafilm aller Zeiten, jedenfalls nach Ansicht der Cineasten. Für die Regisseurin selbst war der Parteitag jedoch kein aufregendes Filmthema.
Riefenstahl: Ich wollte ihn auf keinen Fall machen, weil ich spielen wollte und weil ich mir diese schreckliche Arbeit nicht antun wollte. Ich war nicht dagegen aus politischen Gründen, auf keinen Fall. Also das hatte damit nichts zu tun, sondern ich wollte einfach was anders machen.
Müller: Aber ein Wunsch von Hitler war auch ein Befehl damals, oder?
Riefenstahl: Ich hätte mich sehr schwer dem entziehen können. Es wäre fast unmöglich gewesen. Und dann habe ich einen letzten Versuch gemacht, indem ich schnell mit dem Auto nach Nürnberg gefahren bin, weil ich hörte, Hitler ist dort. Und dann traf ich ihn bei einer Besprechung mit Speer und seinen Leuten. Und da hat Hitler zu mir gesagt: Fräulein Riefenstahl, schenken Sie mir nur sechs Tage Ihres Lebens. Es sind nur sechs Tage. Ich möchte gern, daß der Film von einem Künstler gemacht wird und nicht von einem Parteifilm-Regisseur. Ich würde es machen, habe ich gesagt, wenn Sie mir versprechen, daß ich nie wieder einen Film für das Reich, für Sie oder für die Partei machen muß.
Das stimmt, jedenfalls fast.

„Tag der Freiheit“ (1935)
Riefenstahl: Das war mein eigener Vorschlag, war gar nicht Hitlers Idee, weil ich großen Ärger bekam mit der Wehrmacht. Die hat sich beklagt bei Hitler, daß sie im „Triumph des Willens“ nicht genügend eingeschnitten war. Wir hatten nur ein paar schlechte Aufnahmen bekommen wegen Regen, da konnte ich die ganzen Übungen nicht hineinnehmen. Es kamen nur ein paar Meter hinein. Da waren die Generäle bei mir im Schneideraum und haben sich beschwert. Und da hat Hitler mich gebeten, doch einen Versuch zu machen, etwas mehr von ihnen zu bringen. Und das ging nicht. Ich sollte Nahaufnahmen von den Generälen machen am Anfang, als Titel, und das habe ich abgelehnt. Und da war Hitler sehr verärgert, und um ihn zu beruhigen, kam mir die Idee, ich werde im nächsten Jahr meine Kameraleute hinschicken nach Nürnberg, und da können die die Wehrmachtsübungen aufnehmen, und dann werde ich daraus einen Film schneiden, einen Kurzfilm. Und so ist das entstanden, 800 Meter lang, und für mich hat das keine Bedeutung. Es ist nur die Wehrmacht in dem Film.
Müller: Was die dort machen, ist die Vorbereitung eines Angriffskrieges.
Riefenstahl: Es ist möglich, daß man das heute alles anders sieht. 1935 war das eine Übung der Wehrmacht. Wie jetzt zum Beispiel, manchmal sind doch Übungen, wo die Flugzeuge fliegen in bestimmten Formationen. So wurden damals Übungen gemacht vor den ausländischen Diplomaten, als Show. Eine Show, weiter nichts.

Der Wehrmachtsfilm ist längst vergessen, nicht aber das Werk für das sie ein halbes Leben lang geächtet wurde.
Riefenstahl: Als ich meinen Dokumentarfilm begann, überlegte ich mir: Was kann ich machen, um etwas Besseres zu machen als die Wochenschauen? Die Wochenschauen waren damals statisch. Es gab keine Fahraufnahmen. Und ich überlegte mir, das Wichtigste ist, die Aufnahmen bewegt zu machen, dann sind sie interessanter. Deshalb haben meine Kameraleute angefangen, mit Rollschuhen Aufnahmen zu probieren, und vor allen Dingen: Viele verschiedene Standpunkte.
Marschierende Truppen und endlose Reden zu fotografieren, ist auch für Leni Riefenstahl keine leichte Aufgabe. Ihr ist klar: Nur die Bildregie kann den Film interessant machen. Sie nimmt damit vorweg, was heute in modernen Studios selbstverständlich ist. Mehrere Kameras drehen aus unterschiedlichen Blickwinkeln so mobil wie möglich. Dadurch hat die Regisseurin die Möglichkeit, den Film später so dynamisch zu schneiden, wie es bisher im Dokumentarfilm noch niemand gemacht hatte.

(Leni Riefenstahl sieht sich ein Stück des Films in ihrem Schneideraum an.)
Müller: Der Film wirkt ja nun gar nicht wie ein Dokumentarfilm, sondern wie ein Kunstwerk, was er ja auch sein soll. Wie haben Sie diese künstlerische Verdichtung erreicht?
Riefenstahl: Ja, das ist ein Gefühl, die Übergänge zu finden von Bildern, von einem Blick zu einem anderen oder von einer optischen Farbskala, von Grautönen zu einem anderen. Das heißt, es ist wie eine musikalische Komposition. Und ganz wichtig ist dabei, wenn man einen Höhepunkt hat, daß man diesen Höhepunkt an die richtige Stelle des Films setzt, damit sich der Film ständig steigern kann. Das mußte ich natürlich am Schneidetisch hunderte Male ausprobieren. Ich habe also über fünf Monate an dem Film geschnitten. Zuerst waren es zwölf Arbeitsstunden, dann waren’s 14, dann waren’s 18, und zum Schluß waren es 20 Arbeitsstunden. Das heißt, ich konnte in dieser Zeit nichts anderes machen als am Schneidetisch sitzen und versuchen, eine Lösung zu finden, damit es keinen Ruck gibt, damit es auch wirklich fließend ist und damit es interessant ist.
Müller: Diese künstlerische Verdichtung, diese Intensivierung und Steigerung, von der Sie sprechen, die hat man Ihnen ja später zum Vorwurf gemacht, indem man das Glorifizierung nannte.
Riefenstahl: Ja, schon. Gott, die Leute, die das machen, die hätten das mal selber machen sollen. Ich meine, man kann entweder eine Wochenschau machen, die gab es ja, das wurde ja gemacht, oder man kann versuchen, aus dem Material einen Film zu machen, der interessanter ist als eine Wochenschau – ohne Aufnahmen zu stellen. – Ist Ihnen aufgefallen, daß in diesem Film, was sonst normal wäre, kein Kommentar verwendet worden ist? Es ist kein Kommentator da, der irgendetwas erklärt. Und das ist auch einer der Gründe, warum er sich unterscheidet von einem Dokumentarfilm und einem Propagandafilm. Denn wenn es ein Propagandafilm wäre, was viele behaupten, dann hätte durch einen Kommentator die Bedeutung und der Wert dieser Veranstaltung erklärt werden müssen.
Der Film wirkt durch Bild und Montage stärker als durch Worte, vor allem auf das Unterbewußtsein. In diesem Film sieht das Volk zum ersten Mal Großaufnahmen des Führers.
Riefenstahl: Es war gar nicht so schwierig, denn der Hitler hat sich davon gar nicht beeinflussen lassen. Man konnte um ihn herumtanzen, wie man wollte.
Müller: Sie haben sogar Schienen gelegt um ihn herum, ja?
Riefenstahl: Ja, das war eine Idee… schauen Sie, ich hatte drei oder vier Reden von Hitler aufzunehmen. Wie konnte ich es machen, daß jede Rede anders wirkte, daß es sich nicht wiederholt? Da ist mir der Gedanke gekommen: Wenn ich um eine dieser Reden eine Rundschiene lege, dann ist die Rede interessanter, als wenn ich sie von einem Standpunkt aufnehme. – Sehen Sie den Fahrstuhl dort? Das war damals ganz schwierig, die Erlaubnis zu bekommen, an der Fahnenstange diesen winzig kleinen Fahrstuhl einzubauen, aber es hatte eine gute Wirkung. (Die Kamera fährt in die Höhe, um das ganze Gelände und die Massen einzufangen.)
Müller: Was im Schnitt auch auffällt, ist der Kontrast zwischen diesen gigantischen Menschenmassen und einer Einzelperson, eben Hitler. Ist das ein bewußtes Prinzip?
Riefenstahl: Na, es gab gar nichts anderes. Es gab ja nur diese zwei Motive, den Hitler und das Volk.
Müller: Sie sagen ja, Sie haben von Politik keine Ahnung gehabt. War das nicht sehr schwierig, lauter politische Reden zu kürzen und zu schneiden?
Riefenstahl: Das hat mit Politik überhaupt nichts zu tun. Das ist eine technische Sache. Wenn ich eine Rede habe von zwei Stunden, unabhängig vom Inhalt, also ob er über Bäume, Fische oder Politik redet, und die Rede muß auf fünf Minuten gekürzt werden, dann wird jeder Cutter ihnen das, was er rausschneiden kann, rausnehmen. Die Rede muß einen Anfang und ein Ende haben, das ist vorgegeben. In der Mitte zwei, drei Sätze, die wichtig sind, also das zum Beispiel, wo die Leute am meisten begeistert waren, und das andere muß eben rausgeschnitten werden, ist doch logisch.
Müller: Sie haben sich nach dem Applaus gerichtet?
Riefenstahl: Nach dem Ausdruck, nach der Wirkung. Wenn Sie Cutter sind und die Möglichkeit haben, von Hitler rauszuschneiden, wie er sich die Nase putzt oder wo er hustet, dann werden Sie lieber die Sachen nehmen, wo er einen Ausdruck hat, der irgendwie interessanter ist. Ein Cutter muß entscheiden: Welche Momente wirken am besten? Die Rede hat sowieso immer nur ein Thema gehabt.
Müller: Nun waren die Parteitage selbst eine großartige Inszenierung, auch heute noch. Waren Sie da als Regisseurin beteiligt, oder wer hat das entworfen?
Riefenstahl: Haha, da muß ich aber lachen. Wieso sollte ich daran beteiligt sein? Ich war ja nicht einmal Parteimitglied! Ich war auch kein Architekt. Wie kommen Sie darauf, daß ich da beteiligt gewesen sein sollte?
Müller: Aber das waren doch großartige Inszenierungen. Wer hat die erfunden?
Riefenstahl: Hitler und Speer haben das gemacht, allein. Ich wußte gar nicht… hatte keine Ahnung davon. Ich habe das gesehen und versucht, das gut aufzunehmen. Aber die Idee, daß ich da mitgewirkt habe, finde ich ja geradezu… albern!
Müller: Aber diese Masseninszenierungen, die teilweise wie eine Wagneroper aussehen…
Riefenstahl: Die gibt es doch auch in Moskau und Peking oder in Korea. Haben Sie die gesehen? Das ist doch gar nichts Neues, das gibt’s doch überall. Die Vorbeimärsche, die waren noch viel grandioser als die im „Triumph des Willens“. Die ganzen Waffen und Raketen, die Tribünen waren mit hunderten von roten Tüchern geschmückt. Das war doch alles noch viel gigantischer.
(Bilder vom Totengedenken an die Umgekommenen beim Hitler-Ludendorff- Putsch 1923 in München aus „Triumph des Willens“.)
Riefenstahl: Das sollte so aufgenommen werden, wie ein Künstler es sieht und nicht ein Politiker. Das war’s ja gerade. Hitler wollte ja keinen politischen Film. Und das ist es scheinbar geworden. Ich wußte gar nicht, daß ich das kann. Ich hatte mir das überhaupt nicht zugetraut, eine fast unlösbare Aufgabe.
Müller: Trotzdem hat man Ihnen doch nachher vorgeworfen, daß Sie mit diesem Film eine Verführerin geworden sind.
Riefenstahl: Naja, es gibt ein paar Dummköpfe, die sowas sagen. Da kann ich nichts anderes sagen. Ich finde das ausgesprochen blöde. Dann hätte ich es ja inszenieren müssen. Dann hätte ich der Hitler sein müssen.
Müller: Ist es nicht so, daß ein Künstler, der Filme macht, eine enorme Breitenwirkung hat, vor allem damals, als es weder Fernsehen noch Radio gab? Und hat so ein Künstler dann nicht auch eine besondere Verantwortung?
Riefenstahl: Welche sollte ich denn haben? Es war doch so, daß 90 Prozent von Hitler begeistert waren. Also eine Widerstandskämpferin, meinen Sie, hätte ich sein sollen? Aber das waren nur sehr wenige.
Müller: Weil Sie meinen, Politik hätte Sie nicht interessiert.
Riefenstahl: Überhaupt nicht. Ich hätte das genauso aufgenommen in Moskau – nicht gerne, aber wenn ich gemußt hätte, wär’s genauso geworden. Oder in Amerika, wenn da so etwas stattgefunden hätte. Ich habe die Motive so gut als möglich fotografiert und künstlerisch gestaltet. Ob das nun Politik war oder über Gemüse und Obst ging, das war mir ganz wurscht. Ich versteh‘ das nicht. Ich habe doch sämtliche Angebote, weitere politische Filme zu machen, abgelehnt. – Wie würden Sie sich heute zum Beispiel als Künstler verantwortlich fühlen?
Müller: Daß der Künstler, wenn er etwas schafft, sich vielleicht fragt, was mit dem geschieht, was er macht.
Riefenstahl: Also wie soll man über Künstler urteilen, die zum Beispiel zur Zeit Stalins Filme gemacht haben, die Eisenstein, Pudowkin und so weiter? Oder die, die in der DDR Filme, auch gute Filme, gemacht haben? Und was soll man zu den Künstlern sagen, die im Dritten Reich gute Filme gemacht haben? Sind die alle politisch verantwortlich? Wie könnten Sie heute zum Beispiel wissen, wer uns politisch eine richtige Zukunft sichert? – Noch etwas muß ich dazu sagen: Ein Künstler, der sich voll und ganz seiner Aufgabe widmet, kann gar nicht politisch denken. Bei allen Künstlern in der Vergangenheit, die Großes geschaffen haben, ist das eigentlich fast nie der Fall. Ob Sie nun Michelangelo oder Rodin oder Rubens oder die Impressionisten nehmen, diese Leute haben glaube ich alle keine Zeit oder kein Gefühl gehabt für die Politik. Und wenn, hätten sie ja auch nicht gewußt, was kommt. Sie haben mich auch gefragt, ob der Film „Triumph des Willens“ eine Botschaft hat. Also bei der Arbeit habe ich solche Gedanken natürlich überhaupt nicht gehabt, aber als ich den Film geschnitten habe, habe ich schon herausgefunden, daß da eine gewisse Botschaft drin ist. Die können Sie im Film finden. Und zwar einmal die Beschaffung der Arbeitsplätze – siehe im Komplex „Arbeitsdienst“ – und vor allem die Kongreßreden von Heß, wo er sagt:
Heß (im Film): Sie waren uns der Garant des Sieges. Sie sind uns der Garant des Friedens. Adolf Hitler – Sieg Heil!
Riefenstahl: Damals haben wir das als eine Botschaft empfunden: Friede, Friede. Und das ist im Film immer der Fall. Andere politische Motive oder Ziele sind nicht erwähnt. Es ist nicht von Antisemitismus die Rede, es ist nicht von der Rassenlehre die Rede, nur von Arbeit und Frieden. Das sind die Botschaften im Film „Triumph des Willens“. – Es gab Filme mit viel mehr Hakenkreuzfahnen und anderen politischen Tendenzen. „Triumph des Willens“ hatte eben gar keine. Darum habe ich auch nie das Gefühl gehabt, ich habe etwas getan, das irgendeinen Schaden anrichten konnte. Und wenn das drin gewesen wäre, dann hätte der Film nie von den Franzosen zwei Jahre vor Kriegsausbruch den Grand Prix der Pariser Weltausstellung mit Goldmedaille bekommen. – Dieser Film war, wenn Sie politisch sprechen, ganz im Sinne der damaligen Zeit. 90 Prozent der Deutschen und ein Großteil der Ausländer haben an den Frieden, der da verkündet wurde, geglaubt.
Müller: Wenn Sie jetzt mit dem Abstand der Zeit „Triumph des Willens“ sehen, sind Sie sicher stolz einerseits, ihn gemacht zu haben. Andererseits hat er doch dazu beigetragen, daß die zweite Lebenshälfte sehr schwierig wurde bei Ihnen. Wie sehen Sie ihn jetzt?
Riefenstahl: Also einmal war ich nie stolz, heute nicht, früher nicht – stolz worauf? Für diese Schinderei, die ich da hatte, diese Arbeit? Das war entsetzlich. Ich bin fast draufgegangen gesundheitlich beim Schneiden dieses Films. Und was habe ich davon gehabt? Der Film gilt zwar als sehr gut, hat mir aber doch nur Schelte eingebracht. Nach dem Krieg natürlich, vor dem Krieg hatte er noch alle internationalen Auszeichnungen bekommen. Nachher wurde ich gegeißelt wegen dieses Films. Also kann ich nicht stolz darauf sein, sondern ich bin ganz todunglücklich, daß ich ihn gemacht habe. Wenn ich gewußt hätte, was der Film mir einbringt, hätte ich ihn nie gemacht.
Nach dem Krieg lud eine ganze Nation ihr schlechtes Gewissen auf diese Frau. Leni Riefenstahl wurde boykottiert und geächtet. Sie konnte keinen Film mehr drehen. Anderen, die Menschen in den Tod geschickt hatten oder an Greueltaten beteiligt waren, geschah wenig oder nichts. „Triumph des Willens“ wird bis heute nicht gezeigt. Man hat immer noch Angst, sich mit der suggestiven Kraft dieses Films auseinanderzusetzen. Können Filme so gefährlich sein? Sind sie das schlechte Gewissen, das stumme Gedächtnis des Volkes, das sich nicht erinnern will?
Riefenstahl (beim Betrachten ihres Films): Diese Aufnahme gehört zu meinen Lieblingsaufnahmen. Denn diese Aufnahme hebt den Effekt hervor, das Feierliche, dadurch, daß das mit einem großen Tele aufgenommen wurde und die Fahnen so zusammengestellt sind. Und jetzt kommt gleich wieder etwas Interessantes: Das ist die Wirkung der Fahrstuhlaufnahme. Jetzt schwenkt die Kamera nach rechts und dann nach links. Diese beiden Einstellungen ergeben die Form eines Kreises und wirken dadurch sehr gewaltig. Hier überschneiden sich die Fahnenreihen. Das war nur möglich durch die verschiedenen Kameraeistellungen. Und im Schnitt hier ist es etwas tänzerisch nach einem Rhythmus gemacht, genau nach der Musik geschnitten. Das sind die Fahnen vom Stahlhelm. Es gab damals verschiedene Formationen, die da vorbeimarschiert sind. Das ist auch interessant, wie die die Treppen da runtergehen. Hier, sehen Sie? Dam… dam… dam… genau nach der Marschmusik.
(Fortsetzung folgt)
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