Thema: Filmklassiker
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Alt 02.11.2023, 06:24   #1659  
Peter L. Opmann
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Hier noch ein langer Dokumentarfilm: „Die Macht der Bilder“ (1993) von Ray Müller. Damit versuchte er, sich der noch lebenden Regielegende Leni Riefenstahl zu nähern, was ihm letztlich nicht gelang. Riefenstahl verweigerte jede Auseinandersetzung mit ihrer Rolle im Nationalsozialismus und beharrte darauf, sich nur für eine Hommage an ihr Lebenswerk zur Verfügung zu stellen. Sie starb 2003. Biograf Jürgen Trimborn schrieb in „Riefenstahl. Eine deutsche Karriere“: „Die Dreharbeiten verliefen äußerst problematisch, immer wieder kam es zu Spannungen und Konflikten. Wie stets prallte jede Kritik an Riefenstahl ab. Einige Zornesausbrüche Riefenstahls am Rande der Dreharbeiten, die mit der Videokamera aufgenommen wurden und im Film dokumentiert sind, zeigen, auf welch dünnem Eis man sich bewegte, und liefern gleichzeitig die Erklärung dafür, warum auf eine unmittelbare Konfrontation mit unbequemen Wahrheiten schließlich weitgehend verzichtet wurde.“ Und etwas später: „Riefenstahl ist es mit großem Geschick gelungen, den Film in ihrem Sinne zu instrumentalisieren.“ Filmgeschichtlich ist die Dokumentation auf jeden Fall interessant, und die Fragen, denen Leni Riefenstahl konsequent ausweicht, stellen sich dennoch. Ich werde die Aussagen des Films etwas kürzen und den Film in drei bis vier Abschnitten wiedergeben.

Der Film beginnt mit einer Collage von disparaten Szenen, die alle zum Leben der Leni Riefenstahl gehören: Sie beim Tauchen, sie beim Tanz mit Angehörigen des sudanesischen Volkes der Nuba, dazwischen marschierende Soldaten, Massenszenen mit Adolf Hitler. Dann sieht man die Riefenstahl der Gegenwart beim Sortieren von Fotos.

Müller: Ich versuche, mich ihr ohne Vorurteile zu nähern. – Riefenstahl soll erzählen, was sie beim Betrachten der alten Aufnahmen empfindet. Sie: Das ist, als wenn diese Person nicht ich bin, sondern irgendeine Schauspielerin.
Wie sieht sie ihren Karriereknick nach dem Krieg? – Das habe ich schon so lange überwunden, daß ich mich damit gar nicht mehr befasse. Ich werde 90 Jahre alt – das ist Jahrzehnte vergangen. Es war eine schlimme Zeit, ja… es ist wie eine andere Welt.

Plakate mit Leni Riefenstahl als Tänzerin in Berlin 1924. Sie steht im U-Bahnhof Nollendorfplatz: Ich hatte einen Arzttermin, ich hatte mir das Knie schwer verletzt. Da sah ich dieses Filmplakat: „Berg des Schicksals“. Ich verpaßte den Zug. Ich vergaß alles und ging ins Kino. Das war der erste Film mit einer dramatischen Handlung im Hochgebirge. Bewegte Wolken, Zeitlupen, Gegenlichtaufnahmen – das war künstlerisch, das hatte es noch nicht gegeben. Es war weit der Zeit voraus.

Sie reist in die Dolomiten. Dort trifft sie zwar nicht Regisseur Arnold Fanck, aber Hauptdarsteller Luis Trenker. Trenker: Sie kam und wollte im nächsten Film mit mir die Hauptrolle spielen. Sie gab mir ein Foto von sich. Ich fand sie verrückt, aber ich schickte es Fanck.
Riefenstahl: Fanck besuchte mich in der Klinik und brachte mir ein Manuskript: „Der heilige Berg“, mit der Anmerkung: „Geschrieben in drei Tagen und Nächten für Leni Riefenstahl“.
Trenker: Fanck schrieb mir: Das wird die größte Schauspielerin Deutschlands. Schau, daß du mit ihr gut auskommst.
Riefenstahl: Das Drehbuch verlangte, daß ich mich von einer Lawine verschütten lassen muß. Ich konnte mich gerade noch mit den Händen festkrallen am Felsen. – Hier habe ich vor 66 Jahren zum ersten Mal Regie geführt. Ich stand auch hinter der Kamera und habe kurbeln müssen.

Berlin, Anfang der 20er Jahre. Ein Krieg ist verloren, die Nation zerrissen. Der Masse geht es miserabel, viele hungern. Suppenküchen und Notverpflegung gehören zum Straßenbild. Kriegsgewinnler stellen ihren Reichtum zur Schau, soziale Unruhen sind an der Tagesordnung. In München gründet ein Österreicher mit Namen Adolf Hitler eine neue Partei, die NSdAP.

Berlin 1992. Für unseren Film besucht Leni Riefenstahl mit ihrem Lebensgefährten Horst Kettner die legendären Filmstudios von Babelsberg.
Videoaufnahme: Leni soll im Gehen sprechen. Sie sagt: Das kann ich nicht. Lange Diskussion mit dem Filmteam. Letztlich macht sie es doch.
Riefenstahl: Damals wurden hier Langs „Metropolis“, Murnaus “Faust“ und unser Film, „Der heilige Berg“, gedreht. Zu Lang hatte ich keinen Kontakt, aber zu Murnau schon. Fanck wollte, daß ich mich als Gretchen vorstelle. Ich hatte mir eine Perücke besorgt mit langen blonden Haaren. Murnau war interessiert, aber er entschied sich endgültig für Camilla.

Für die Rollen in Fancks Bergdramen muß Leni klettern und skifahren lernen. Aus einer Berliner Tänzerin wird eine begeisterte Bergsteigerin.
„Der große Sprung“ (1927): Was man heute freeclimbing nennt, hat Leni Riefenstahl schon damals gemacht – barfuß. Bergsteigen war damals Männersache, doch Leni Riefenstahl fällt es nie schwer, sich in einer Männerwelt zu behaupten. Dies wird ihr auch später bei den Nationalsozialisten keine Schwierigkeiten bereiten. Ihr eiserner Wille setzt sich durch.
Riefenstahl: Man hat alles vergessen, die Sorgen, die Probleme. Man mußte aufpassen, nicht runterzufallen. Klettern ist ein Sport, der ein Gefühl der Freiheit vermittelt.

Für ihren nächsten großen Film überredet Riefenstahl Regisseur Fanck, den bekannten Kunstflieger Udet zu engagieren. „Die weiße Hölle von Piz Palü“ (1929). Hinzu kam ein Co-Regisseur, Georg Wilhelm Pabst.
Riefenstahl: Fanck war ein wunderbarer Regisseur für Freilicht-, für Naturaufnahmen. Und Pabst war ein wunderbarer Regisseur für Spielfilme. Und da habe ich die beiden zusammengebracht. Das war der Grund, warum der Film so ein Welterfolg wurde.
Wenn der Pabst zu mir sagte: Leni, schau rechts, dann hab‘ ich links geschaut, und wenn links, dann schaute ich rechts. Da sagte er zu mir: Leni, du bist doch nicht die Regisseurin. Er war der erste, der mich darauf aufmerksam machte, daß ich Talent zur Regie hatte.
Von Pabst lernt Leni Riefenstahl die Grundlagen der Schauspieldramaturgie.
Riefenstahl: Er war ganz anders als Fanck. Fanck hat nichts vorgegeben, da mußte man improvisieren. Aber Pabst hatte eine genaue Vorstellung, er hat den Schauspieler in die seelische Stimmung gebracht, die er brauchte. Man vergaß die Kamera und wurde plötzlich die Person, die man darzustellen hatte.

Im Heroismus der Bergdramen von Fanck glaubten manche Kritiker nach dem Krieg eine ideologische Wegbereitung des Faschismus zu erkennen.
Der berühmte Realismus von Arnold Fanck ließ weder Doubles noch Aufnahmen im Studio zu. Bei den Dreharbeiten konnte Leni Riefenstahl bei ihm alle Bereiche der Filmtechnik von Grund auf erlernen. Der heute zu Unrecht vergessene Pionier war seinen Mitarbeitern ein penibler Lehrmeister, auch wenn er ihnen das Letzte abverlangte.

Berlin in den späten 20er Jahren. In der Öffentlichkeit sind die Nationalsozialisten nicht mehr zu übersehen. Ein junger Fanatiker namens Joseph Goebbels hält flammende Reden. Während auf den Straßen Machtkämpfe zwischen linken und rechten Extremisten ausgetragen werden, ist die UFA zum Konkurrenten Hollywoods geworden. Sie produziert Welterfolge. In dem Atelier, das man jetzt Marlene-Dietrich-Halle nennt, kann Leni wieder lernen, diesmal von Josef von Sternberg.
Riefenstahl: Sternberg nahm mich jeden Tag mit ins Atelier, so lange, bis es Marlene zuviel wurde. Ich mochte sie sehr, ich verehrte sie, aber sie war sehr eifersüchtig, und dann gab es eines Tages einen ziemlichen Krach. Es war die berühmte Szene, wo sie auf dem Faß sitzt und singt: Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt. Und da hat sie mich vorher durch vulgäres Benehmen aus dem Atelier geekelt. Sternberg griff ein, aber sie sagte, daß sie nicht mehr spielt, wenn ich weiter ins Atelier komme. Er sagte: Leni, du bist das Gegenteil von Marlene. So wie ich Marlene geformt habe und aus ihr dieses besondere Geschöpf gemacht habe, mache ich es auch mit dir. Ich bedaure es zutiefst, daß ich damals, als er mir anbot, nach Hollywood zu gehen, nicht gehen konnte. Ich hatte eine sehr starke Bindung an einen Mann, den ich nicht verlassen wollte.
Als Sternberg später Leni Riefenstahls ersten eigenen Film sieht, wird sein Urteil über sie noch präziser.
Riefenstahl: Er hat sich mit mir „Das blaue Licht“ angeschaut. Da spielte ich die Rolle der Junta, ein unschuldiges, naives Naturkind, das asexuell ist und auch sein soll. Marlene war ja der Sextyp, eine Sphinx, und er meinte, daß ich das absolute Gegenteil von Marlene wäre, und das stimmt ja auch scheinbar.
Marlene geht mit Sternberg nach Hollywood und unterstützt von dort den Kampf gegen Hitler. Leni wird Filme für den Führer drehen.
(Fortsetzung folgt)
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