Thema: Filmklassiker
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Alt 23.10.2023, 06:16   #1648  
Peter L. Opmann
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Aus der Wyatt-Earp-Legende läßt sich eine Menge machen. Der dritte Film auf meiner VHS-Cassette ist „Doc“ (1971) von Frank Perry. Hier richtet sich der Blick auf Doc Holliday. In der Tat fragt man sich bei den anderen Versionen, warum er sich auf dem Weg zur Schießerei am O.K. Corral den Earps anschließt; darauf gibt es nun eine klare Antwort. Außerdem stirbt in „Doc“ auch Billy Claiborne (auch „Billy the Kid“ genannt – das ist aber ein anderer Kid), und der Film erzählt in einer wichtigen Nebenhandlung, warum Doc ihn abknallt. Ansonsten sind wir jetzt in den 1970er Jahren, und vor allem zu Beginn des Films werden Dinge geschildert, die ein paar Jahre früher noch Probleme mit der Zensur bedeutet hätten.

Doc Holliday (Stacy Keach) nimmt Ike Clanton (die Clantons sind hier übrigens alle Brüder, ein „Old Man“ Clanton taucht nicht auf) in einer mexikanischen Spelunke beim Pokern die Prostituierte Kate Elder (Faye Dunaway) ab. „Big Nose“ Kate Elder ist eine historische Gestalt, mit der Doc Holliday tatsächlich zusammen war, und sie spielt in diesem Film ebenfalls eine wichtige Rolle. Holliday und Elder reiten gemeinsam nach Tombstone, wo er seinen alten Freund Wyatt Earp (Harris Yulin) treffen will und sie sofort ihre Arbeit in einem Bordell aufnimmt. Earp ist Marshal und hat in der Stadt die uns schon bekannten Probleme. Der Film konzentriert sich aber zunächst weiter auf das Paar Holliday/Elder. Zuerst holt er sie aus dem Bordell und versetzt sie in den Ruhestand. Dann versucht sie, aus ihm einen braven Bürger zu machen. Er ist aber nicht nur Spieler und Alkoholiker, sondern besucht auch gern eine Opiumhölle; und er ist sofort zur Stelle, wenn Wyatt Earp seine Schießkünste braucht; er hat also nicht viel Bürgerliches an sich.

Die Clantons mögen Holliday nicht (seit der Begegnung in der mexikanischen Bodega), und sie wollen sich auch von Earp nicht befrieden lassen. Der Film präsentiert sie als ziemlich wilde Gesellen, nicht besonders helle, aber sie laufen seltsamerweise immer unbewaffnet herum, so daß ein Revolverduell nicht möglich ist. Eines Tages wird nahe Tombstone eine Postkutsche ausgeraubt. Der Fall wird nie richtig aufgeklärt, aber der Schuldige scheint Johnny Ringo, ein Kumpan der Clantons, zu sein. Als Earp und Holliday auf die Clanton-Ranch kommen, um ihn aufzuspüren, wird Wyatt Earp von Ike Clanton übel verdroschen. Womöglich bleibt er nur wegen der Hilfe von Doc am Leben. Darauf bietet er Ike einen Handel an: Wenn der ihm Ringo ausliefert, überläßt er ihm die ausgesetzte Belohnung. Earp kalkuliert, daß die Verhaftung von Ringo ihm die Wahl zum Sheriff sichert. Clanton geht zunächst darauf ein, macht sich dann aber klar, daß er einen Sheriff Wyatt Earp nicht wollen kann. Das führt letztlich zu dem Shootout am O.K. Corral.

Vorher geschehen aber noch andere Dinge: Billy Claiborne will von Doc Holliday das Schießen lernen. Der erkennt zu spät, daß der 18-Jährige für den Umgang mit einer Waffe viel zu unreif ist. Kurz darauf erschießt Kid einen Cowboy nach einem nichtigen Streit. Kate wird von den Frauen der Stadt wegen ihrer zweifelhaften Vergangenheit und ihrer wilden Ehe mit Doc nicht anerkannt und möchte mit ihm die Stadt so schnell wie möglich wieder verlassen. Doc will dagegen bleiben, bis der Konflikt mit den Clantons gelöst ist. Dann erst kommt es zu der schicksalhaften Begegnung am O.K. Corral. Die Earps entscheiden das Duell für sich, weil sie Schrotgewehre haben, die Clantons und ihre Spießgesellen aber nur Revolver. Augenscheinlich überlebt nur einer von ihnen, und auch Morgan Earp stirbt (was alles nicht den Tatsachen entspricht). Doc erschießt auch Kid, obwohl der seinen Revolver schon ins Holster geschoben hat – er will nicht, daß der Junge zu einem zweiten Doc Holliday wird. Es scheint, als würde Kate Doc verlassen, aber das bleibt am Ende offen. Wyatt Earp erntet den Beifall der Stadtbewohner, weil er in Tombstone aufgeräumt hat – Doc reitet allein aus der Stadt.

Originell ist „Doc“ zweifellos. Aber wie im Fall der „fünf Geächteten“ steckt die Handlung zwischen historischer Genauigkeit und einer überzeugenden Dramaturgie fest. Hinzu kommt, daß der Film über weite Strecken das Westerngenre nicht mehr ernst nimmt (wenig überraschend in einer Zeit, in der der Western, abgesehen vom Italowestern, als tot galt). Ich wundere mich zwar ein wenig darüber, aber ich stelle fest, daß bei der Betrachtung von Original und Remake ich den ältesten Film meist am gelungensten finde – so auch beim „Gunfight at the O.K. Corral“.
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