Thema: Filmklassiker
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Alt 15.10.2023, 11:15   #1630  
Nante
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Da mich die bisher gezeigten Trailer zu R.Scotts Napoleon-Film alles andere als überzeugt haben, mal wieder ein Beitrag von mir über den (zumindest für mich) bisher besten Film, der sich mit diesem Mann beschäftigt: „Waterloo“ von Sergej Bondartschuk (Italien/Sowjetunion 1970)

Solche west-östlichen Monumental-Produktionen waren damals nicht ungewöhnlich. Ähnlich verfuhr man z.B. bei den beiden Römer-Daker-Filmen einige Jahre früher. In der Regel stellte der Westen die Stars und übernahm einen Teil der Kosten während der Osten die Statisten für die Massenszenen und die Drehorte stellte.

Bondartschuk empfahl sich sicher auch durch seine „Krieg und Frieden“-Verfilmung einige Jahre vorher. Er „konnte“ also sowohl Kostüm- wie Monumentalfilm.

Der Film beginnt mit einem Vorspann, einer Art Prolog, in der die nervenaufreibenden Szenen vor Napoleons erster Abdankung und dann seine Verabschiedung von seinen Gardisten zu sehen ist. Wie auch im Rest des Films spielt ihn Rod Steiger großartig, immer wieder wechselnd zwischen tiefer Resignation und wildem, jähen Aufbäumen gegen das Schicksal bis hin zum völligen Realitätsverlust.

Dann geht es "richtig" los: 10 Monate später mit seiner Landung im Süden Frankreichs und seinem Marsch auf Paris .
Hier braucht der Film nichts zu erfinden, denn dieser Marsch ohne einen einzigen Schuß gehört zu den unglaublichsten aber auch wahrsten Ereignisen der Geschichte. Als ihn die Pariser Massen dann auf ihren Schultern in den Palast tragen, den Ludwig XVIII. (Orson Welles) gerade noch fluchtartig verlassen hat, ist zwar nicht für den Zuschauer, wohl aber für Napoleon der Gipfel erreicht. Ab jetzt kann es nur noch abwärts gehen.

Wir verfolgen nun kurz seine Bemühungen um Frieden und um die Rückkehr von Frau und Kind und die damit wieder beginnenden Resignationen und Anzeichen von Ermüdungen. (Auch die von ihm heiß geliebten Bäder nutzen nicht wirklich.)

Und dann beginnt der Feldzug, der recht schnell zu der titelgebenden Schlacht führt. Damit wird der große Gegenspieler Wellington (Christopher Plummer) eingeführt und ab nun ist es eigentlich nur noch ein Duell zwischen den beiden. Plummer spielt seinen Welligton sehr locker und entspannt, der die Lage bei allen Problemen immer im Griff hat, während Steigers Napoleon anfangs überheblich und später immer verkrampfter reagiert, je mehr sich die Lage gegen ihn entwickelt. Der völlige Zusammenbruch am Ende ist die logische Folge.

Die dritte Partei, die Preußen unter Blücher kommen nur in zwei Szenen am Rand vor und spielen praktisch nicht mit. Dazu paßt, daß Blücher der einzige wichtige Akteurs ist, der durch einen sowjetischen Schauspieler (Sergo Zakariadze) verkörpert wird.
Es ist eine sehr angelsächsische Sicht der Schlacht, wie sie gerne auch noch in Historischen Darstellungen zum 200. Jahrestag des Ereignisses gepflegt wird.

Die Schlacht selbst lebt von den grandiosen Massenszenen. Bondartschuk konnte hier zwar nicht ganz so viele Sowjetsoldaten wie in „Krieg und Frieden“ aufmarschieren lassen aber ca. 15 000 waren es immer noch. Und so etwas bekommt man selbst heute noch nicht mit CGI hin. (Inwieweit KI da etwas ändern wird, werden wir ja vielleicht noch erleben.) Für mich sind vor allem die von Hubschraubern von oben gefilmten Reiter-Attacken der Franzosen auf die englischen Carrees unvergesslich.

Aber Bondartschuk verliert sich nicht im Monumentalen sondern zeigt auch immer wieder anhand der blutigen Einzelschicksale die Grausamkeit des Krieges. (Auch hohe Offiziere und Generäle stehen an vorderster Front und „verrecken“ oft ähnlich im Dreck wie einfache Soldaten.) Die Schlußszene, in der die Legende von „Die Garde stirbt aber sie ergibt sich nicht!“ blutig demontiert wird, ist nur ein Beispiel.

Positiv fand ich noch, daß die beiden Hauptdarsteller mit Anfang bis Mitte Vierzig auch dem damaligen Alter ihrer Figuren entsprachen. Das erhöht die Glaubwürdigkeit ihres Handelns und auch ihrer Schwächen.

Fazit: Für mich neben dem Film von Abel Gance noch immer der beste Napoleon-Film aller Zeiten.
Vielleicht kann man diesem Mann nicht in EINEM Film gerecht werden sondern sollte sich auf Teilaspekte beschränken. Alle Versuche, ersteres umzusetzen sind meiner Meinung nach bisher immer gescheitert.

Mal schauen, wie es Scott anstellen wird. Ich bin bis jetzt, wie bereits geschrieben, eher skeptisch.

Geändert von Nante (15.10.2023 um 12:20 Uhr)
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