Thema: Filmklassiker
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Alt 12.10.2023, 06:06   #1625  
Peter L. Opmann
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„Bisher war im Fernsehen nur immer eine um neun Minuten gekürzte Version zu sehen“, sagt die ZDF-Ansagerin, „wir zeigen Ihnen diesen Klassiker zum ersten Mal in der vollständigen Fassung, und zwar im Rahmen unserer Reihe ,100 Jahre Kino ‘.“ Elia Kazans „Viva Zapata!“ (1952) habe ich also 1995 aufgenommen. Es ist selbstredend kein Remake des Pancho-Villa-Films, aber manchmal verschmelzen die beiden Figuren beinahe zu einer. Beide Filme beginnen mit der Beschwerde der Bauern im Präsidentenpalast über die Wegnahme ihres Landes. Beide Male kommt ein Journalist vor, allerdings in unterschiedlicher Funktion, aber auch Zapata kann nicht lesen und schreiben. Beide Male wirbt der Held um die Liebe einer Frau (hier Jean Peters). Präsident Madero wird bei Kazan differenzierter gezeichnet, weniger positiv. Der intrigante General Pascal heißt hier Huerta.

„Viva Zapata!“ sehe ich heute als bemerkenswerte Mischung aus Abenteuerfilm und politischer Parabel. Zapata wird zwar nach seinen militärischen Erfolgen zum Lenker Mexikos, aber er scheitert nicht viel anders als sein grausamer Vorgänger Diaz an juristischen und bürokratischen Umständen, die wirksame Landreformen verzögern. Am Ende beschwert sich eine Bauerndelegation bei Zapata, und er ertappt sich selbst dabei, wie er sich den rebellischsten Bauern notiert – das hatte Diaz zuvor auch getan. Danach dankt er ab und wird wieder zum Bauern. Auffällig: Zapata ist ein völlig anderer Heldentypus als Pancho Villa, was zweifellos daran liegt, daß Brando ein anderer Schauspielertyp ist als Beery. Ich habe Brando noch in keinem Film so auffällig nuscheln gehört. Er ist ein zögerlicher, nachdenklicher Mann, der aber, wenn es darauf ankommt, entschlossen handelt und sich über alle Konventionen hinwegsetzt. Er ist ein Rebell der 50er Jahre, sozusagen „without a cause“. Er verachtet einfach Angepaßtheit. Beery war dagegen ein energiesprühender Draufgänger, wenn auch einer, der mit seinem Volk mitzuleiden imstande ist.

Brandos Ende wird regelrecht zelebriert, was Beery nicht zugestanden wurde. Peters hat zuvor böse Vorahnungen, die er beiseitewischt, auch wenn er selbst die Falle spürt, die für ihn aufgestellt ist. Kazan hatte wohl eine Erschießung wie die von Bonnie und Clyde im Sinn, die er 1952 freilich noch nicht so inszenieren konnte. Man sieht Brando zusammengekrümmt im Staub liegen und in einer zweiten Einstellung noch einmal zucken. Daß er „in Fetzen geschossen“ wurde, wie seine Freunde sagen, muß man sich selbst ausmalen. Sein Schimmel, der zu seinem Mythos gehört, galoppiert aus dem Hinterhalt in die Berge, und mit dem Pferd lebt der Widerstandsgeist Emiliano Zapatas fort.

Hat Kazan hier, wie in anderen Filmen, auf die Kommunistenjagd in den USA Ende der 40er Jahre angespielt? Schwer zu sagen. Er zeigt Figuren, die in der Politik gute Absichten verfolgen, aber wegen der komplizierten Regeln nicht das umsetzen können, was das Volk fordert und braucht. Und er zeigt Figuren, denen es nur um ihre Bereicherung geht und die nach der Devise handeln: Wenn ich den Staat nicht ausplündere, dann tun es andere. Das Drehbuch stammt von John Steinbeck. Was mir wohl am nachhaltigsten im Gedächtnis bleiben wird, ist die Liebesgeschichte zwischen Brando und Peters, auch wenn ihr insgesamt nicht sehr viel Raum gegeben wird. Für mich zeigt der Film ansonsten bereits eine Tendenz zu dem Stil, der gut zehn Jahre später in Sergio Leones Italowestern gepflegt wurde. Auch wenn „Viva Zapata!“ weitaus raffinierter und erwachsener inszeniert ist als der Film über Pancho Villa, mag ich den Vorgänger wegen seiner naiven Kraft doch ebenso.
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