Thema: Filmklassiker
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Alt 27.08.2023, 17:02   #1521  
Peter L. Opmann
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Inszenatorisch überzeugend und überdurchschnittlich, aber von der Handlung her problematisch: „Die Nacht hat tausend Augen“ (1948) von John Farrow. Beim Wiedersehen nach langer Zeit hat mich auch gewundert, daß ich diesen Film mal bei SuperRTL aufgenommen habe. Aber dieser Sender hat damals offensichtlich Sendezeit mit billigen alten Filmen gefüllt. Wahrscheinlich lief er nachts, denn es gab keine Werbeunterbrechung.

Allgemein wird dieses Werk als film noir eingestuft, und optisch trifft das meiner Meinung nach auch zu. Die Story basiert auf einer Vorlage von Cornell Woolrich, würde aber eher in die Serie „Twilight Zone“ passen und geht logisch nicht auf. Das Thema eines unentrinnbaren Schicksals macht sie für mich zur Horrorstory – sowas las ich früher, wenn auch natürlich viel einfacher gebaut, des öfteren in „Horror“ und ähnlichen Comics.

Edward G. Robinson ist ein Varietékünstler, der angeblich die Namen von Menschen im Publikum erraten und ihre in einem verschlossenen Umschlag aufgeschriebene Frage lesen und sogar beantworten kann. Einmal erschrickt er während einer Vorstellung und empfiehlt einer Frau dringend, sofort nach Hause zu gehen. Wie sich herausstellt, hat ihr kleiner Sohn mit Streichhölzern gespielt und beinahe die Wohnung in Brand gesteckt. Von da an (oder vielleicht auch schon früher) kann er künftige Unglücke und Katastrophen voraussehen. Aber das bringt auch Verantwortung mit sich. Einmal warnt er einen Zeitungsjungen, den er auf der Straße trifft, nicht, und der wird gleich darauf von einem Auto überfahren.

Robinson versucht, vor seiner übersinnlichen Gabe zu fliehen. Er verläßt auch seine Verlobte und verkriecht sich in Los Angeles. Viele Jahre später trifft er die Tochter dieser Frau (Gail Russell), ein Kind aus einer anderen Beziehung. Er sieht ihren Tod voraus, und er glaubt, sich diesmal nicht heraushalten zu können. Russell ist Chefin einer millionenschweren Firma geworden. Ihr Freund (John Lund) glaubt den Prophezeiungen Robinsons nicht und schaltet die Polizei ein. Obwohl der Wahrsager genaue Angaben zu den Umständen des Todes der Frau macht, halten ihn alle für einen Trickser, womöglich die wirkliche Bedrohung für Russell.

Robinson will alles tun, um den Mord, den er voraussieht, zu verhindern, aber die Polizei verhaftet ihn. Tatsächlich ist es ein Teilhaber der Firma, der Russell wegen einer Unternehmensentscheidung umbringen will. Robinson gelingt es, zur bestimmten Zeit zu Russell zurückzukehren, und greift ein, aber die Polizei denkt, er führe nun den Anschlag auf sie aus, und erschießt ihn. Mit seinem letzten Atemzug kann Robinson allerdings den Mord verhindern. In seiner Tasche findet sich ein Zettel, auf dem er den genauen Ablauf der Ereignisse notiert hat – einschließlich seines eigenen Todes.

Das ist eine unglückliche Mischung aus Unerklärbarem und Mordplänen, die Robinsons Hellseherei mit einkalkulieren – ein barer Unsinn, der aber dem Zuschauer angesichts der geschickt erzeugten Hochspannung nicht sofort auffällt. Für die film noir-Atmosphäre ist hier der Kameramann John Seitz hochgradig mitverantwortlich, der zahlreiche Filme der Schwarzen Serie fotografiert hat. Auch die Schauspielerleistungen finde ich sehr gut, vor allem die von Edward G. Robinson, von dem ich eigentlich noch keinen schlechten Film gesehen habe. Gail Russell hat leider weniger Chancen zu glänzen. Das amerikanische Publikum mochte allerdings den abergläubischen Stoff nicht besonders; laut der englischen wikipedia konnte diese Paramount-Produktion ihre Kosten nicht einspielen.
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