Thema: Filmklassiker
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Alt 15.06.2023, 06:14   #1284  
Peter L. Opmann
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Wird mal wieder Zeit für einen Western. „Der schwarze Reiter“ (1947) von James Edward Grant präsentiert John Wayne und Gail Russell in den Hauptrollen. Es ist nicht eines von Waynes maßgeblichen Werken, und ich habe die DVD auch eher wegen Russell gekauft, einem Star der 1940er und 50er Jahre, die jung starb, mutmaßlich am Alkohol. Der Schwarzweiß-Film ist einerseits sehr holzschnittartig inszeniert (allerdings mit einer ziemlich untypischen Story), andererseits wegen seines Humors gut anzusehen. Aber er hinterläßt bei mir eine ganze Reihe von Fragen.

Wayne ist ein berüchtigter Revolverheld (enger Kumpel von Pat Garrett), der verletzt von einer Quäkerfamilie aufgelesen und gesundgepflegt wird. Schon bei Erwähnung seines Namens schlottert jeder vor Angst, was nicht sehr glaubwürdig ist, da er an seiner Schußwunde beinahe gestorben wäre. Wayne hatte offenbar mit einer dreiköpfigen Bande einen Streit wegen Landerwerbs. Während er fiebernd auf der Farm der Quäkerfamilie liegt, verliebt sich die fast erwachsene Tochter (Russell) in ihn. Auch Wayne fühlt sich zu ihr hingezogen, ist sich aber nicht sicher, ob er diese Verbindung will. Seltsam: Die Eltern haben gegen die sich anbahnende Beziehung überhaupt nichts einzuwenden, obwohl sie Nächstenliebe bis zum Äußersten praktizieren und Wayne aus einer ganz anderen Welt kommt und offenbar schon eine Menge Menschen auf dem Gewissen hat. Immerhin bringt er einen Nachbarn dazu, einen aufgestauten Bach wieder zu den Quäkern weiterzuleiten.

Als Wayne in die Gemeinschaft der Quäker eingeführt werden soll und dazu eine Bibel geschenkt bekommt, wird ihm klar, daß er hier nicht hergehört, und verläßt die Familie und Russell. Er hat erkannt, daß sie einen Quäker-Verehrer hat, und versucht noch, die beiden zusammenzuführen. In der nahen Stadt nimmt er dann seinen früheren Lebensstil wieder auf mit Viehdiebstahl, Glücksspiel, Alkohol, losen Frauen und Saloonschlägereien. Er merkt aber, daß er daran nicht mehr so viel Spaß hat wie früher – Russells Einfluß hat sich ausgewirkt. Also kehrt er zu ihr zurück und will sie nun doch heiraten (der andere Kandidat ist völlig in der Versenkung verschwunden). Mehrmals taucht allerdings Sheriff Harry Carey auf der Farm auf und droht Wayne an, ihn an den Galgen zu bringen (Tenor: „Du wirst dich nie ändern“). Als Wayne einmal mit Russell im Pferdewagen unterwegs ist, nimmt die Bande (Anführer Bruce Cabot) die Verfolgung auf – das Gespann stürzt in einen Fluß, und Russell stirbt beinahe. Wayne ist nun entschlossen, Rache zu nehmen. In der Stadt treffen er, Cabots Bande, (die blitzschnell wieder genesene) Russell und der Sheriff aufeinander. Wayne hat soeben seinen Revolver bei Russell abgeliefert, als das Trio ihn zum Duell fordert. Der Sheriff erschießt Cabot und seine Kumpane, um einen Mord zu verhindern. Sein trockener Kommentar: „Es kommt immer anders, als man denkt.“ Wayne verspricht zu Russells Freude, Farmer zu werden und nie wieder eine Waffe anzurühren.

Zunächst mal frage ich mich, warum man gemeinhin so wenig über diese Tradition der Gewaltlosigkeit in den USA hört, nur immer von Schulmassakern und bewaffneten Bürgerwehren. Aber mich hätte auch die Entstehungsgeschichte dieses Films näher interessiert. Wayne hatte seine eigene Produktionsgesellschaft Batjac gegründet. Dies war sein erster selbst produzierter Film. Vertrieben wurde er von dem kleinen Studio Republic, vielleicht weil auch John Ford für Republic arbeitete und das Studio für Western bekannt war. Wikipedia schreibt, daß „Der schwarze Reiter“ sehr erfolgreich war, aber gibt weder Produktionskosten noch Einspielergebnis an. Es war Waynes erste Zusammenarbeit mit Gail Russell. Sie hatten beim Drehen ein sehr gutes Verhältnis, und Waynes Ehefrau verdächtigte ihn später, eine Affäre mit ihr gehabt zu haben, aber es gibt keinen Beweis. Sie spielte anschließend auch in „Im Banne der roten Hexe“ neben ihm die weibliche Hauptrolle. Regisseur Grant war ein erfolgreicher Drehbuchautor, der hier zum ersten Mal Regie führte. Es gibt nur noch eine weitere Regiearbeit von ihm, aber Wayne hielt wohl große Stücke auf ihn.

„Der schwarze Reiter“ war eine Anregung für Peter Weirs „Der einzige Zeuge“ (habe ich oben schon besprochen). Grant beschränkt sich allerdings darauf, die Quäker als friedliebend zu zeigen, und läßt ihre Lebensweise und Bräuche ganz im Hintergrund (im Gegensatz zu Weir). Wie erwähnt, durchzieht den Film Ironie und Humor, und nur deshalb ist er heute noch in gewissem Sinn sehenswert (für Western-Puristen ist er sicher nichts). Wayne bringt es fertig, seinen Gunman mit einem Augenzwinkern darzustellen. Gail Russell wirkt auf mich am Anfang etwas gekünstelt, wird dann aber sehr überzeugend zur Frau, die weiß, was sie will, und die sich ihren Mann erfolgreich nach ihren Bedürfnissen zurechtbiegt (soll in der Realität nicht immer so richtig funktionieren). – Weiß jemand noch mehr über diesen seltsamen Film?
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