Thema: Filmklassiker
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Alt 22.05.2023, 06:09   #1237  
Peter L. Opmann
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Wir kehren in gewissem Sinn zum Schicksal von Erich von Stroheim zurück. Daran erinnert Orson Welles, der 1948 nach diversen Konflikten nicht mehr für eines der großen Hollywood-Studios arbeiten konnte. Er wandte sich daher an eine kleine Produktionsfirma, Republic, wo er – mit allerdings entsprechend kleinem Budget – ein Herzensprojekt realisieren konnte, eine Kinofassung von Shakespeares „Macbeth“ (noch lieber wäre ihm „Othello“ gewesen). Die Kritiker konzentrierten sich auf die Pappkulissen und etwas seltsamen Kostüme sowie Welles‘ ungewöhnlichen visuellen Stil und senkten überwiegend den Daumen; dennoch erzielte der Film einen kleinen Gewinn. Heute gilt er als „Arthouse“.

Für alle Fälle eine kurze Zusammenfassung der Handlung: Der schottische Kriegsherr Macbeth (Welles) kehrt siegreich aus einer Schlacht zurück. Drei Hexen sagen ihm die Königsherrschaft voraus. Zusätzlich angestachelt von seiner Frau (Jeanette Nolan) tötet er den König und die meisten, die ihm am Hof gefährlich werden könnten, und setzt sich selbst auf den Thron. Aber von Schuldgefühlen gequält bringt er die verbliebenen Königstreuen auf seine Spur. Sie verbünden sich mit den Engländern und ziehen gegen Macbeth aus. Lady Macbeth stürzt sich in den Tod, und Macbeth muß sich schließlich dem Fürsten Macduff (Dan O’Herlihy) zum Duell stellen, in dem er unterliegt. Die Hexen haben die schottische Führung erfolgreich geschwächt.

Es ist klar, daß Welles keine bloße Theateradaption gedreht hat. Der ganze Film spielt in einem Halbdunkel, das sicher auch hilft, die billigen Felskulissen zu kaschieren. Welles arbeitet virtuos mit spannungsreichen Kamerawinkeln und dramatisierenden Kamerafahrten. Sein Macbeth schwankt ziemlich zwischen Entschlossenheit, Skrupellosigkeit und Gewissensbissen. Den Bühnentext hat er wohl stark bearbeitet und mitunter umgestellt (ich habe versucht, das Stück mitzulesen, was aber nicht ganz einfach ist). Dennoch ist es über weite Strecken die kunstvolle und poetische Shakespeare-Sprache, die dann doch das Theaterhafte in den Vordergrund rückt. Aber was hätte Welles tun können? Ohne Shakespeare-Text wäre es keine Shakespeare-Verfilmung mehr gewesen. Damals wurde zum Vergleich eine etwa zur gleichen Zeit entstandene „Hamlet“-Verfilmung von Laurence Olivier herangezogen, die nicht nur Shakespeares Text verwendete, sondern auch sehr textgetreu blieb. Sie wurde im Gegensatz zu Welles‘ Film gefeiert.

Um sein Projekt nicht zu gefährden, ging Welles klaglos auf alle Vorgaben des Produzenten ein. Er hätte gern etwa Vivien Leigh als Lady Macbeth besetzt, begnügte sich aber mit durchgehend relativ unbekannten Schauspielern (Roddy McDowall wirkt in einer frühen Rolle mit). Den Film stellte er in nur 21 Drehtagen fertig. Er veränderte die gesondert aufgenommenen Dialoge: Seine Idee war gewesen, daß alle mit schottischem Akzent sprechen, aber der Produzent verlangte normales Englisch. Am Ende drang Republic darauf, daß der Film um 20 Minuten gekürzt wird, was Welles tat – er war froh, daß er die Kürzungen zumindest selbst besorgen konnte. Im Rückblick sagte er, er habe keinen großartigen, sondern nur einen guten Film drehen wollen – mit Rücksicht auf die kurze Drehzeit. Damit habe er andere Filmemacher ermutigen wollen, trotz solcher Beschränkungen schwierige Themen anzupacken.

Zweifellos hat dieser „Macbeth“ (das Stück ist häufig verfilmt worden) filmhistorische Bedeutung. Der Film hat auch durchaus Schauwerte (mich haben die sehr stilisierten und unaufwendigen Kulissen nicht gestört). Aber jemanden, der nicht großer Theaterfan ist, erreicht er nicht so richtig. Welles‘ weitere Shakespeare-Filme („Othello“, „Falstaff“ und „Der Kaufmann von Venedig“) kenne ich nicht oder nur ausschnittsweise, aber ich glaube, die Probleme, Theater auf die Leinwand zu bringen, lassen sich in vielen Fällen gar nicht lösen.
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