Thema: Filmklassiker
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Alt 19.05.2023, 21:33   #1236  
Peter L. Opmann
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Weiter geht’s mit der „Black Cinema“-DVD-Box von neulich. Wie erwartet, ist der zweite Film – „Die Maske runter“ (1952) von Richard Brooks – erheblich diskussionswürdiger als der, den ich zuerst gesehen habe. Er hat keine filmischen Schwächen, jedenfalls habe ich keine entdeckt. Der Schwachpunkt der Story liegt in dem recht starren Gut-Böse-Schema, und damit ist der Film auch für meinen Geschmack deutlich zu idealistisch geraten. Das Zeitungsmilieu wird zwar in Teilen treffend geschildert, aber vor allem in der zweiten Hälfte des Films zunehmend glorifiziert. Der quasi-dokumentarische Charakter der Inszenierung tritt damit immer mehr in den Hintergrund. Aber manchem Werk, das nur Genre-Regeln befolgt und alles „larger than life“ darstellt, ziehe ich „Die Maske runter“ immer noch vor.

Humphrey Bogart ist Chefredakteur der Zeitung „The Day“ (300 000 Exemplare Auflage), die sich ganz der sachlichen Information verschrieben hat. Das Konkurrenzblatt „The Standard“ hat es mit reißerischer Aufmachung zu doppelter Größe gebracht. Nun sind die Witwe des Verlegers (Ethel Barrymore) und ihre beiden Töchter dazu gebracht worden, das Unternehmen so zu verkaufen, daß der „Standard“ damit eine lästige Konkurrenz vom Markt nehmen kann. Die Redaktion ist gerade mit der Berichterstattung über ein paar aufsehenerregende Verbrechen beschäftigt und erfährt als letzte, daß die Arbeitsplätze bald weg sein dürften.

Bogart hat wie üblich darauf hingewirkt, daß auch Geschichten wie die Ermordung einer Tingeltangel-Tänzerin mit Zurückhaltung und ohne Nacktfotos veröffentlicht werden. Dabei ergeben sich aber Verbindungen zu einem mächtigen, aus Sizilien stammenden (!) Bauunternehmer (Martin Gabel), und ein Reporter, der die Sache weiter aufklären möchte, wird krankenhausreif geprügelt. Da erkennt Bogart, daß er so vielleicht seine Zeitung retten oder ihr zumindest einen würdigen Abgang verschaffen kann. Er schreibt im Namen seines verstorbenen Verlegers einen Leitartikel, in dem er den Baulöwen als Mafiaboss entlarvt, und demonstriert damit die Bedeutung der Zeitung für die Wohlfahrt der Gesellschaft. Die Tänzerin war Gabels Geliebte – warum er sie auf dem Gewissen hat, weiß die Redaktion allerdings noch nicht. Aber ihre Mutter und ihr Bruder könnten vielleicht auspacken.

Gabel trifft sich mit Bogart und versucht, ihn dazu zu bringen, die Geschichte über die tote Tänzerin fallenzulassen, aber Bogart bleibt unbestechlich. Als der Bruder in die Redaktion kommt, schickt Gabel ein paar Gangster, verkleidet als Polizisten, die ihn festnehmen, aber dann noch im Verlagsgebäude umlegen. Bleibt die Mutter. Sie bringt Bogart das Tagebuch ihrer Tochter, aus dem sich die Umstände ihres Todes klar ermitteln lassen. Gabel ruft noch einmal an und übt Druck aus, damit darüber nicht berichtet wird, aber Bogart demonstriert ihm durchs Telefon, wie die Druckmaschinen für die letzte Ausgabe des „Day“ vor seiner Einstellung anlaufen. In einer Nebenhandlung wird gezeigt, wie Bogart versucht, angesichts seines bevorstehenden Zwangs-Ruhestands seine Ex-Frau (Kim Hunter) zurückzugewinnen. Sie hat sich scheiden lassen, weil Bogart sozusagen mit seiner Zeitung verheiratet war, und glaubt ihm auch jetzt nicht, daß er künftig mehr Zeit für sie haben wird. Sie ist im Begriff, einen Werbe-Manager zu heiraten. Am Ende kommt sie aber in den Verlag und unterstützt Bogart dabei, endlich die Wahrheit über den Mafiaboß zu drucken.

Der Film ist sehr dicht inszeniert, aber trotz mehrerer Parallelhandlungen (es gibt auch eine Gerichtsverhandlung über den Verkauf des Verlags) ist die Story gut zu verfolgen. Wie schon angedeutet, spitzt sie sich zum Ende hin immer mehr dramatisch zu und wird dadurch immer unrealistischer. Seinen dokumentarischen Charakter bekommt der Film durch die eher unspektakuläre Darstellung der Konflikte und das alltägliche Aussehen und Verhalten der Darsteller. Insbesondere Kim Hunter hat hier nichts von einem Hollywoodstar – wirkt sogar ein wenig verhärmt. Bogarts schauspielerische Leistung erinnert mich in vielen Passagen an die in „Casablanca“. Obwohl zur Zeit der Entstehung von „Die Maske runter“ das Fernsehen noch keine Rolle spielte, mußte ich mehrfach an die Anmutung von Fernsehserien wie „Columbo“ oder – natürlich – „Lou Grant“ denken, und der Film könnte für TV-Inszenierungen dieser Art durchaus einige Male Pate gestanden haben.

Aber das Loblied auf das Presseethos ist mir auf jeden Fall zu dick aufgetragen. Wir sind hier in der unmittelbaren Nachkriegszeit, aber soweit ich das Zeitungswesen in USA verfolgt habe, sind dort seriöse Qualitätsblätter äußerst rar gesät, und auch der Verkauf von Medienunternehmen ist, jedenfalls in jüngerer Vergangenheit, der Normalfall. Das läßt den Film als herzerwärmende Nostalgieveranstaltung erscheinen oder auch als Verteidigung eines Presseethos, das in diesem Land nie eine große Rolle gespielt hat.

Geändert von Peter L. Opmann (19.05.2023 um 21:42 Uhr)
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