Thema: Filmklassiker
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Alt 04.05.2023, 09:04   #1189  
Peter L. Opmann
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Dann fasse ich mal die Doku über Erich von Stroheim zusammen: „Der Mann mit dem bösen Blick“ (1979) von Patrick Montgomery. Durch sie habe ich Stroheim kennengelernt, und ich finde sie noch immer gut gemacht. In Abschnitten ist sie auch in youtube zu finden.

Paul Kohner, Produzent: Ich ging zu Stroheim und fragte nach dem Drehbuch. Er kam mit zwei Büchern wieder, jedes so dick wie ein Telefonbuch. Ich sagte: Von, du bist verrückt geworden!

Die Kritiker in aller Welt schätzten ihn als Künstler, dessen Ideen seiner Zeit und Hollywood weit voraus waren. Erich von Stroheim prahlte, daß seine Filme erst in 20 Jahren richtig verstanden werden würden. Heute existiert keiner seiner Filme mehr in der von ihm gewollten Form.

Marcel Dalio, Schauspieler: Er wußte, daß er jemand war, denn er hatte sein ganzes Leben daran gearbeitet, jemand zu werden. Er ist seine eigene Erfindung, sein eigener Vater – und Mutter. Keine Frau, keine Freunde, verheiratet mit von Stroheim, verliebt in von Stroheim. Aber er hat dafür bezahlt.

Leonard Spiegelgass, Filmwissenschaftler: In Hollywood konnte man nicht einfach irgendwer sein. Man mußte Stil haben und gesellschaftliche Position – und beides hatte sicher Von.

„Geburt einer Nation“ (1914)
Erich von Stroheim war einer der Soldaten in Griffiths Armee. 1909 war er aus Österreich nach Amerika eingewandert, und dies war seine erste Begegnung mit dem Film. Von Stroheim gehörte von da ab zum festen Team des Regisseurs als Assistent und Kleindarsteller.

Stroheim: Griffith engagierte mich als Regieassistent für den damals berühmten Bühnenregisseur John Emerson.

„Alt-Heidelberg“ (1915)
Von Stroheim spielte eine Nebenrolle und war technischer Berater. Er hatte Emerson vorgemacht, daß er in Heidelberg studiert hätte.

„Intoleranz“ (1915)
Von Stroheim spielte eine kleine Rolle und war Assistent des Filmarchitekten. Er trug Ideen bei, die später in seinen eigenen Filmen wiederkehren: die erotische Symbolik in der Wohnung des Verführers, die Geranie als Symbol der Hoffnung. Unter Emerson spielte von Stroheim dann immer bessere Rollen. Er trat auch in vielen Filmen mit Douglas Fairbanks auf.

1917 machte sich Amerika zum Eintritt in den Weltkrieg bereit, und Hollywood mobilisierte mit. Für einen Schauspieler, der einen „Hunnen“ überzeugend darstellen konnte, brachte der Krieg Chancen.

„Hearts of the World“ (1917)
Das war der Wendepunkt in seiner Karriere. Von Stroheim hatte ein neues Image gefunden: Der Mann, den zu hassen Spaß macht.
Sam Marx, Filmproduzent: Der Titel kam an. Er paßte in die Zeit. Als ich Von dann persönlich kennenlernte, wurde mir klar, daß er kein harter, schwieriger Mensch war. Aber das Image kam ihm gut zupaß.

Valerie von Stroheim, Schauspielerin und Ehefrau: Ich spielte die Fahrerin eines Lazarettwagens, und Erich fragte mich: Wo kommt dieser Wagen her? Ich sagte: Von der Front. Darauf Erich: So sauber? Dann nahm er eine Handvoll Dreck und warf sie gegen den Wagen: Jetzt sieht er aus, als ob er von der Front kommt. Ich dachte bei mir: Mit dem Kerl stimmt was nicht. Aber er hatte erreicht, daß ich auf ihn aufmerksam wurde. – Ich wußte nicht, was er als Schauspieler gemacht hatte. Also nahm er mich eines Tages in einen Film mit, in dem er mitspielte. Als er als Offizier die alte Dame totschoß, dachte ich bei mir: Bloß raus hier, bevor das Licht angeht.

Als der Krieg aus war, kam Hollywoods große Zeit. Aber für preußische Finsterlinge hatte man keinen Bedarf mehr. Stroheim suchte eine Beschäftigung als Regisseur oder Autor. Er ging mit seinen Drehbüchern von Studio zu Studio, aber niemand hatte Interesse. Zuletzt versuchte er es bei Universal, einer großen Filmfabrik, die auf dem Gelände einer ehemaligen Hühnerfarm errichtet worden war. Er versuchte sein Glück mit einer Geschichte namens „The Pinnacle“.

Kohner: Carl Laemmle hatte großen Weitblick und war an allem Neuem interessiert. Er war auch ein geborener Spieler. Und so kam Von an ihn heran.

Valerie von Stroheim: Erich gab ihnen die Geschichte umsonst, und für Regie und Hauptrolle bekam er 200 Dollar pro Woche.

Unter seiner eigenen Regie spielte von Stroheim nicht länger die grotesken Karikaturen der Propagandafilme. Seine Absicht war die Satire, seine Zielscheibe die Welt seiner Jugend, das Österreich der K-u-K-Monarchie. Noch ehe er 30 war, verließ er Wien, doch die Welt der Habsburger hat er nie vergessen. Er, der nie Teil dieser Welt gewesen war, erschuf sie sich später in den Studios von Hollywood und spielte gern selbst die Rolle des schönen Prinzen.

„Blinde Ehemänner“ (1919)
Er spielte einen österreichischen Leutnant, der ein Auge auf die Frau eines amerikanischen Touristen geworfen hat. Für heutige Begriffe eine eher harmlose Geschichte. Für die 1919 im Film üblichen Konventionen eine Herausforderung. Von Stroheim schuf Figuren, die psychologisch vielschichtig und deren Handlungen von Leidenschaft und Schuld bestimmt waren. Das amerikanische Kino wurde erwachsen.

Marx: Da gab es eine unerwartete Schwierigkeit. Carl Laemmle spielte oft ein Kartenspiel, das „Pinochle“ hieß, und er befürchtete, daß die Ähnlichkeit mit dem Filmtitel „The Pinnacle“ das Publikum verwirren würde. So verbot er kurzerhand den Titel. Von Stroheim war wütend und veröffentlichte einen bösen Brief in „Motion Picture News“. Carl Laemmle antwortete in der nächsten Nummer. Es war der erste von zahllosen Krächen zwischen von Stroheim und seinen Produzenten – aber zunächst eine gute Reklame.

„Blinde Ehemänner“ wurde ein Bombenerfolg. Die Kritiker lobten den dramatischen Realismus des Films und die geschickte Gestaltung der an sich banalen Dreiecksgeschichte. Einige meinten sogar, der Film müsse in Europa gedreht worden sein. Von Stroheim begann seine Regiekarriere ganz oben.

„The Devil’s Passkey“ (1920)
Ebenfalls eine Dreiecksgeschichte, die diesmal in Paris, der Welt der Mode und der Comedie francaise spielt. Diesmal war der Verführer ein amerikanischer Offizier, und die Kritiker waren empört. Trotzdem bescheinigten die meisten dem Regisseur eine Weiterentwicklung gegenüber seinem ersten Film. Heute ist das nicht mehr nachzuprüfen. 1941 entdeckte man, daß das Originalnegativ im Studioarchiv zu Staub zerfallen war. Und es existieren keine Kopien mehr.

Valerie von Stroheim: Eines Tages kam Carl Laemmle zu Erich und sagte: Warum machen Sie nicht mal einen Film über das Glücksspiel? Erich war noch nie in Monte Carlo gewesen, aber er sagte: Das wäre ein guter Hintergrund für so einen Film. Also hat er Monte Carlo nachgebaut. Das war Stadtgespräch.

„Törichte Ehefrauen“ (1921)
Seit diesem Film hatte von Stroheim den Ruf eines unkontrollierbaren Verschwenders. Er wurde der „erste Millionen-Dollar-Film“ genannt. Wie Hemingway und Fitzgerald war von Stroheim fasziniert vom Amerikaner in Europa der Nachkriegszeit. Die Produktion war ein Alptraum. Von Stroheim schrieb dauernd das Drehbuch um und filmte manche Szenen dutzende von Malen. Irving Thalberg, Produktionschef bei Universal, konnte nur tatenlos zusehen, wie der Regisseur versuchte, seine Vorstellungen haargenau auf die Leinwand zu bringen.

Marx: In einer Szene sollte er Kaviar essen. Damals tat man da etwas Himbeermarmelade in eine Schüssel. Bei von Stroheim mußte es echter Kaviar sein! - Es gab einen Kostenvoranschlag und einen Drehplan, und von Stroheim ignorierte beide. Wenn Thalberg eingreifen wollte, sagte von Stroheim einfach: Wenn Sie mich als Regisseur ablösen, sind Sie mich auch als Hauptdarsteller los, und Sie bekommen gar keinen Film. Aber ich muß sagen, daß „Foolish Wives“ sehr gut wurde. Er war teuer, brauchte viel Zeit, brachte viele Probleme, aber es ist eine alte Regel: Wenn die Uraufführung ein Erfolg ist, ist alles vergeben und vergessen. Die erste Aufführung war ein sehr großer Erfolg.

Obgleich der Film in den Großstädten gute Kasse machte, schockierte viele der brutale Realismus und die wenig schmeichelhafte Darstellung des amerikanischen Ehepaars. Zensoren setzten überall im Land die Scheren an, und kurz nach der Premiere kürzte Universal selbst „Foolish Wives“ um eine volle Stunde. „Foolish Wives“ und besonders von Stroheims verworfener Graf wurden zum Skandal. Der Film wurde auch zur Zielscheibe des Spotts, wie hier in einer Komödie mit Ben Turpin. Aber von Stroheim, der schon bei seinem nächsten Film war, störte das wenig.

„Merry-Go-Round“ (1923)
Kohner: Norman Kerry, der wie der Prototyp eines österreichischen Offiziers aussah, spielte den Grafen. Von Stroheim baute Wien im Studio auf. Es war fabelhaft, wie genau er den Prater nachbildete.

Doch diesmal verhinderte Thalberg, daß er außer der Regie auch die Hauptrolle bekam. „Foolish Wives“ war ihm eine Lehre gewesen.

Kohner: Als die Dreharbeiten begannen, sagte Thalberg sehr deutlich, daß es keine zusätzlichen Szenen geben dürfe. Aber Stroheim war nicht der Mann, der sich durch so etwas einschüchtern ließ. Er wollte sich durch nichts einengen lassen, was der Vollkommenheit seines Films entgegenstand. Als Thalberg das erkannte, kam es zwischen ihnen zu einem Riesenkrach. Von Stroheim beschloß, seinen Förderer Carl Laemmle, der in New York war, um Hilfe zu bitten. Während er noch mit dem Zug nach New York unterwegs war, führte Thalberg den Film mit Rupert Julian weiter. Als von Stroheim in New York ankam, hatte Laemmle sich schon auf Thalbergs Seite gestellt. Von Stroheim hatte sich selbst keine Wahl gelassen. Entweder tut ihr, was ich will, oder ich mache Schluß, hatte er gesagt. Und so zog er die Konsequenz.

Als der Film herauskam, war sein Name vom Vorspann des Films verschwunden, und nur wenige seiner Szenen waren erhalten geblieben. Aber die waren echt Stroheim. Von Stroheims Bruch mit Universal war ein Schock für die gesamte Filmindustrie. Noch nie war eine Gesellschaft so mit einem bekannten Regisseur umgesprungen. Andere Firmen überhäuften ihn sofort mit neuen Angeboten. Innerhalb weniger Wochen hatte von Stroheim einen Vertrag mit der Goldwyn-Gesellschaft und saß an der Bearbeitung von Frank Norris‘ klassischem Roman „McTeague“.

„Gier“ (1925)
Von Stroheim war besessen von dem Buch und entschlossen, jede Einzelheit auf die Leinwand zu bringen. Seine früheren Filme blickten zurück auf das Europa seiner Jugend. Jetzt ging es um seine neue Wahlheimat Amerika.
(Teil zwei folgt)

Geändert von Peter L. Opmann (04.05.2023 um 19:59 Uhr)
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