Thema: Filmklassiker
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Alt 03.05.2023, 15:47   #1182  
Phantom
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Heute stelle ich einen Stummfilmklassiker vor: Foolish Wives (1922) von Erich von Stroheim. Stroheim kam in diesem Thread schon vor, z.B. hier.

Wie üblich im Kino kommt zuerst Werbung: Ich habe den Film letzten Sonntag im Filmhauskino Nürnberg gesehen (tolles Programmkino, falls mal jemand in der Nähe ist) mit Live-Pianobegleitung von Richard Siedhoff (ein ganz toller Pianist, der in vielen Spielstätten Stummfilme improvisatorisch begleitet, bisweilen Musik zu Stummfilmen komponiert und u.a. die wiederkehrenden Weimarer Stummfilm-Restrospektiven mitorganisiert).

So, noch jemand Eiskonfekt? Nein? Gut, dann geht’s los.

Stroheim führte Regie, schrieb das Drehbuch und spielte die Hauptrolle. Er hat den Film bei Universal realisiert und dabei jegliche Zeit- und Budgetvorgaben gesprengt; am Ende wurde sogar Werbung gemacht damit, dass es sich um den ersten „Million-Dollar-Movie“ handelte. Ursprünglich sollte der Film über 4 Stunden dauern, das war jedenfalls Stroheims Idee, die anderen Verantwortlichen fanden die Idee aber nicht so gut. Es gab mehrere Schnittfassungen zwischen anderthalb und zweieinhalb Stunden, die meisten davon sind verschollen, ein paar wenige haben überlebt, und aus denen haben das MoMA und das San Francisco Silent Film Festival vor ein paar Jahren eine Fassung restauriert, die nun ca. 143 Minuten lang ist. (Gibt es auch vollständig auf Youtube.) Verglichen mit dem Film, den sich Stroheim vorstellte, ist sie aber immer noch ein Torso.

Wir sind in Monte Carlo im Jahr 1919, der Krieg ist wenige Monate vorbei, in Monte Carlo lebt man in Saus und Braus. In eine Villa am Meer hat sich der russische Graf Karamzin (Stroheim) mit seinen Kusinen Vera und Olga einquartiert. Die drei sind in Wahrheit keine Adeligen, vielleicht auch keine Russen, möglicherweise auch keine Kusinen; es sind Hochstapler, die den Reichen und Schönen das Geld aus der Tasche ziehen und dadurch auf großem Fuß leben. Vom Geldfälscher Ventucci, der sie in ihrer Villa aufsucht, kaufen sie eine Menge Blüten. Ventucci hat eine geistig behinderte Tochter, der Karamzin schöne Augen macht. In der Villa lebt die Hausangestellte Maruschka, auch ihr macht Karamzin schöne Augen, hat ihr sogar die Ehe versprochen (ohne in Wahrheit im Traum daran zu denken).

Nun kommt der neue Botschafter der USA nach Monte Carlo, zusammen mit seiner Frau Helen (die rund 20 jünger ist als er). Karamzin und seine Kusinen wittern Geld, das bei einem US-Botschafter sicher zu holen ist. Karamzin wittert zusätzlich eine schöne, junge Frau, also macht er sich an den Botschafter und dessen Frau heran, was ihm durch seine Darstellung eines russischen Adeligen auch gelingt. Er schafft es, Helen zu einem Ausflug zu überreden, ohne dass der Botschafter, ihr Mann, Verdacht schöpft. Während des Ausflugs kommt ein Unwetter auf, Karamzin und Helen retten sich in eine Hütte, in der ein altes Mütterchen mit ihrer Ziege lebt. Der Sturm dauert an, man muss wohl in der Hütte übernachten. Karamzin ist kurz davor, sich an Helen zu vergehen, da platzt ein Mönch in die Hütte, der ebenfalls einen trockenen Unterstand sucht. Nichts wird es vorerst mit Karamzins Absichten. Am Morgen ist der Sturm vorbei, man begibt sich wieder nach Monte Carlo.

Karamzin besucht den Fälscher Ventucci im Armenviertel, er betrachtet lüstern dessen Tochter, die in ihrem Bett schläft, kauft aber Ventucci nur weitere Blüten ab und verschwindet wieder. Zu Hause in der Villa bedrängt die Magd Maruschka Karamzin, er möge sie doch jetzt endlich wie versprochen heiraten. Karamzin flüchtet sich in die Lüge, er könne es im Moment nicht, weil ihm gerade jegliches Geld fehlte, wolle sie aber natürlich heiraten, sobald es ihm wieder besser ginge. Er bringt Maruschka sogar dazu, ihm ihr gesamtes Erspartes zu übergeben.

In der Villa richten Karamzin und die beiden Kusinen ein privates Casino aus; die gesamte Stadt scheint gekommen zu sein, um sich zu vergnügen, um echtes Geld an den Spieltischen zu lassen und Ventuccis Blüten als vermeintliche Gewinne nach Hause zu nehmen. Karamzin schafft es, Helen unter einem Vorwand allein im Turmzimmer der Villa zu treffen. Er will ihr Geld aus der Tasche ziehen und hat sicher auch noch weitergehende Absichten. Zur Magd Maruschka sagt er, er wolle nicht gestört werden. Daraufhin erkennt Maruschka endlich, dass Karamzin es mit ihr nicht ernst meint; sie ist rasend vor Wut und Eifersucht, schließt Karamzin und Helen im Turmzimmer ein und legt Feuer. Der Turm brennt, die Tür ist verschlossen, vom Balkon rufen Karamzin und Helen um Hilfe. (Maruschka stürzt sich derweil von den Klippen ins Meer.) Die Feuerwehr kommt, spannt ein Rettungstuch; natürlich springt Karamzin als erster. Aber auch Helen kann noch gerettet werden. Sie erkennt schließlich auch, dass Karamzin nur ein Betrüger ist und kehrt (auch emotional) zu ihrem Mann, dem Botschafter, zurück.

Helen und Maruschka sind für Karamzin verloren. Er begibt sich in seiner Frustration nächtens zum Haus des Fälschers Ventucci, klettert die Hauswand hinauf, um (mit eindeutigen Absichten) in das Zimmer von Ventuccis Tochter zu gelangen. Ventucci erwacht rechtzeitig und tötet Karamzin (wie genau, ist in der vorliegenden Fassung nicht zu sehen). Er zieht ihn hinaus und wirft die Leiche in die Kanalisation. Ende.

Stroheim hat mit diesem Film auch ein bisschen seine eigene Geschichte erzählt: er kam aus Österreich in die USA und hat sich dort neu erfunden, das "von" in "von Stroheim" hat er sich erdichtet. Sehr viel über ihn ist nicht gesichert bekannt, verschiedenen Journalisten hat er wohl immer wieder verschiedene Geschichten erzählt. Es gibt zwei Biografien über ihn, ich habe aber keine davon gelesen. Nach der Stummfilmzeit hat er weiter als Schauspieler gearbeitet, aber meist ohne große Erfolge. Wir kennen ihn natürlich alle als Butler und Chauffeur von Norma Desmond in „Sunset Boulevard“, eine großartige späte Rolle.

Interessantes Detail: Im Vorspann heißt es "Buch Erich von Stroheim nach seinem Roman Foolish Wives"; so einen Roman gibt es aber gar nicht, reine Erfindung von Stroheim. Zudem liest Helen im Film in mehreren Szenen in einem Buch mit dem Titel "Foolish Wives von Erich von Stroheim."
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