Thema: Filmklassiker
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Alt 30.04.2023, 20:20   #1174  
Nante
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Teil II (1946) beginnt wieder mit einer prunkvollen Zeremonie. Diesmal allerdings in Litauen/Polen, wo der Verräter Kurbsky dem polnischen König Sigismund huldigt.
Waren die „Westler“ in "Alexander Newski" zwar böse aber doch zumindest gefährlich dargestellt, sind es hier nur eitle Fatzken (Vorbild standen wohl die „Mignons“ Heinrich III. ), deren Gerede von einer „Zivilisierung“ der Russen lächerlich klingt. Logisch, daß der Spuk sofort vorbei ist, als man von der Rückkehr Ivans nach Moskau hört.

In Moskau kommt es inzwischen zur Konfrontation zwischen Ivan und seinem ehemaligen Freund Fjodor, nun der Mönch, kurz darauf der neue Metropolit Philip. Dieser läßt sich auch durch die Erzählung (Rückblende) Ivans über seine einsame Kindheit als Waise nicht von seiner Konfrontation gegen den „Neuen Kurs“ abbringen.

Ivan lenkt beinahe ein, als es um die Hinrichtung von Verrätern (natürlich Bojaren) geht aber sein Oprotschnik Maljuta kann ihn überzeugen, die Sache „durchzuziehen“

Höhepunkt der Konfrontation zwischen Zar und Metropolit ist eine Szene in der Kathedrale, in der Philip erst ein Schauspiel aufführen läßt, was Ivan als Fürst der Gottesfeinde darstellt und dem er dann auch noch den Segen verweigert. Aber da sich Ivan nicht einschüchtern läßt endet das Duell der Alphatiere mit der Verhaftung des Kirchenfürsten.

Die verbliebenen Bojaren planen nun als letzten Ausweg die Ermordung Ivans, worauf sein nächster Verwandter, der debile Wladimir, Sohn von Jefrossinija, der schon im ersten Teil agierenden Tante Ivans, der Nachfolger werden. Sie ist auch diesmal wieder die treibende Kraft.

Wladimir ist auf ein Fest des Zaren geladen und soll so gleich den auserkorenen Attentäter einschmuggeln. Auf dem Fest geht es hoch her. Die Opritschniki tanzen und vor allem Ivans Liebling unter ihnen (und wohl in der Realität sein Liebhaber) Fjodor treiben allerlei Schabernack.

Wladimir aber betrinkt sich und wird von Ivan getestet, ob er Zar werden will. Als er durchfällt (er will) wird ihm als Zar gehuldigt und er dann in einer gespenstischen Szene in einer Art Prozession in die Kirche geleitet, wo er anstelle des Zaren dem lauernden Attentäter zum Opfer fällt. Die triumphierende Jefrossinija muss entdecken, daß der Tote ihr Sohn ist.

Nachdem nun alle inneren Feinde ausgeschaltet sind, kann sich der Zar darauf konzentrieren, nun seine „historische Mission“ zu erfüllen und Rußland stark und sicher zu machen. Im letzten Bild sieht man ihn im Kreise seiner Getreuen, denen er glorreiche Zeiten verspricht.

Diese sollten dann sicher im dritten Teil folgen aber dazu kam es bekanntermaßen nie. Auch dieser zweite Teil konnte erst nach Stalins Tod gezeigt werden, dem dieser Teil wohl überhaupt nicht gefallen haben soll.

Das lag wohl weniger an der generellen Aussage des Films, denn die ist wie die im ersten Teil: Der Zar will ein starkes Rußland für die einfachen Menschen schaffen und wird daran durch die „Volksfeinde“ und auswärtige böse Mächte behindert. Und die haben sich im Vergleich zum ersten Teil nicht geändert, sind nicht einmal gealtert.

Geändert aber hat sich Ivan selbst! Im ersten Teil war er meist noch ein eher normal wirkender, wenn auch strenger Herrscher, dem Nikolai Tscherkassow mit pathetischen Gesten und starren Blicken gab, der aber auch noch Vertrauen hatte und sich an „den einfachen Dingen“ freuen konnte.

Nun aber ist er nur noch ein Getriebener, der ständig zwischen Selbstmitleid und Aktionismus, zwischen Paranoia und Überheblichkeit wechselt. Am Ende gibt es für mich einige Anklänge an „Richard III.“, denn die ganze Epiode mit Wladimir läßt sich eigentlich nicht anders als „Heimtücke“ beschreiben.
Die auch optisch zunehmende Verwahrlosung des Zaren dürfte dem damals aktuellen Herrn im Kreml, der sehr auf seine Außendarstellung bedacht war, ebenfalls nicht geschmeckt haben.

Eine Szene fand ich in dieser Hinsicht besonders beeindruckend:

Die hingerichteten Bojaren sind aufgebahrt und werden von ihren Freunden und Angehörigen betrauert. Dann erscheint der Zar mit Maljuta. Anfangs scheint es, als ob ihn der Anblick der Toten quält, er wechselt Blicke mit Maljuta. Wird er ihn gleich bezichtigen, gegen seinen Willen gehandelt zu haben? – Nein, er blickt auf die Toten und murmelt nur „Zu wenige!“ Schnitt!

Sicher war Stalin auch nicht der einzige, der Parallelen zwischen der Oprotschnina und dem NKWD zog. Ihre orgiastische (= undisziplinierte) Ausgelassenheit auf dem Fest dürfte darum ebenfalls sein Mißfallen erregt haben.

In der Literatur ist ja umstritten, ob nun nur der erste Teil eine Huldigung oder nur der zweite Teil eine Abrechnung mit Stalin wären oder beide das eine oder das andere. Antwort hätte sicher der dritte Teil gegeben.

Nicht umstritten sind aber die Stilelemente Eisensteins. Da der zweite Teil überhaupt keine Außenaufnahmen mehr hat, bekommt die Kameraführung und das Schattenspiel noch größere Bedeutung. Dazu wieder die pathetische Spielweise aller Darsteller. –Ja, ich weiß schon, warum ich diese Filme liebe. Sie sind „sowas von Stummfilm“…

Und damit Schluss!

Geändert von Nante (30.04.2023 um 20:27 Uhr)
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