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Alt 21.04.2023, 16:46   #1642  
God_W.
Captain Rezi
 
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Beren und Lúthien (J. R. R. Tolkien)

Nach den „Kindern Húrins“ ein weiterer schmucker Band aus der Hobbit Presse, der sich mit einer der drei Kerngeschichten des ersten Zeitalters in Tolkiens Fantasy-Welt beschäftigt. Einmal mehr wurde diese Ausgabe mit wunderschönen Illustrationen, sowohl kleineren in schwarz/weiss als auch ganzseitigen Farbtafeln, von Meister Alan Lee veredelt.

Erhofft hatte ich mir ein ähnlich abenteuerliches und packendes Werk wie zuvor bei den „Kindern“ und ich muss es rundheraus sagen, dahingehend wurde ich leider enttäuscht. Natürlich ist die Geschichte vom Menschen Beren und der Elbenprinzessin Lúthien eine wunderschöne, romantische und auch tragische Erzählung, zu der auch eine große und gefährliche Heldenreise gehört. Im Kern allerdings besteht die gesamte Story in diesem Buch aus etwa 55 Seiten und diese beinhalten eben das Gleiche, was es dazu auch schon im „Silmarillion“ zu lesen gab.



Weshalb das hier vorliegende Werk dann dreihundert Seiten stark daherkommt hat neben den Illustrationen natürlich weitere Gründe. Nach einem ausführlichen Vorwort von Christopher Tolkien, Herausgeber des Buches und Sohn des Autors, gibt es Anmerkungen zu den Ältesten Tagen der Welt, die Tolkien schuf. Danach folgt dann die eigentliche Geschichte auf 55 tollen und unterhaltsamen Seiten, vorneweg und hinterdrein begleitet von Einführungen, Erläuterungen und Kommentaren über die Entstehungsgeschichte und die ganzen Veränderungen, die das Werk im laufe der Zeit erfahren hat. Dazu werden Funde einzelner Seiten, Bruchstücke und Änderungen besprochen, die im Nachlass J. R. R. Tolkiens entdeckt wurden.

Den größten Teil des Bandes nimmt aber eine recht besondere Sache ein, nämlich eine Übertragung der Geschichte von Beren und Lúthien in Versform, also statt einer Prosaform eher in der Art eines Liedes oder Gedichtes. Dieses Werk ist außerordentlich schön zu lesen, absolut gelungen und sowohl sprachlich wundervoll ausgekleidet als auch hervorragend ins Deutsche übertragen. In dieser Form hat die Story einige Änderungen erfahren, die Christopher Tolkien wieder erläutert und leider konnte oder wollte der Autor diese Übertragung niemals beenden, weshalb nur ein Teil der Story in diese deutlich umfangreichere Bearbeitung des Stoffes Einzug hielt. Mit Unterbrechungen nimmt dieser Abschnitt immerhin gut 100 Seiten des Buches in Anspruch und stellt für meine Begriffe den einzig wirklichen Mehrwert und Kaufgrund für das Buch dar. Wer mit lyrischen Gedichten in Versform nichts anfangen kann, und das „Silmarillion“ bereits sein Eigen nennt, der sollte das Geld lieber für etwas anderes Aufsparen.



Insgesamt ist das Ganze Drumherum der Entstehung dieser kurzen, aber wirklich wundervollen Geschichte sicher interessant, gerade für Hardcore-Fans und solche, die es werden wollen. Für Freunde sprachlich hervorragender Versform-Erzählungen, wie bei Homer beispielsweise, bietet die Ausgabe auch wirklichen Mehrwert. Ganz allgemein verdeutlicht die Herausgabe als eigenständiges Buch nochmal den hohen Stellenwert dieser Geschichte in der Mythologie der dargestellten Welt, immerhin erleben wir hier das Entstehen der ersten Liebe und Vereinigung zwischen einem sterblichen Menschen und einer Elbin. Dennoch, der fade Beigeschmack von „Oh, lasst uns mit viel Altbekanntem und sehr wenig Neuem doch nochmal ordentlich Kohle scheffeln!“ haftet dem Buch meines Erachtens doch ein wenig an. Ich hoffe, dass „Der Fall von Gondolin“ wieder mehr in Richtung der „Kinder Húrins“ geht, werde bis zur Lektüre aber mal ein wenig Zeit verstreichen lassen.

6,5/10

VG, God_W.
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