Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 24.03.2023, 16:40   #1584  
God_W.
Captain Rezi
 
Benutzerbild von God_W.
 
Ort: Nähe Aschaffenburg
Beiträge: 19.462


Nachtschicht (Stephen King)

Im Teenageralter hatte ich diesen Kurzgeschichten-Band als Taschenbuchausgabe schon einmal gelesen. Vor einigen Jahren versuchte ich dann meine King-Sammlung nach Möglichkeit auf Hardcover umzustellen, was mich zu dieser älteren Ausgabe führte. Seitdem hatte ich das Buch aber nicht mehr gelesen und wie ich jetzt feststellen durfte hatte ich viele Geschichten, oder zumindest deren Pointe, über die Jahre wieder vergessen. Besser im Gedächtnis geblieben waren mir nur solche, die es zu einer Verfilmung gebracht hatten. Oft nicht sehr teuer, manchmal nur mäßig gelungen, aber irgendwie hatten auch diese Low Budget King Verfilmungen immer ihren speziellen Reiz. Welche der vielen Short-Stories von King haben wir hier jetzt also?

Los geht es mit den „Briefen aus Jerusalem“, einer – dem Vorbild Stokers folgenden - in Briefform erzählten Vampir-Story, die direkt mit Kings „Brennen muss Salem“ verknüpft ist. In meiner schönen gebundenen „Brennen muss Salem“-Ausgabe vom Zsolnay Verlag ist die Geschichte sogar ebenfalls enthalten, so als Bonus.

Die Titelgebende Geschichte „Spätschicht“ (warum auch immer das so übersetzt wurde) handelt von einem übergroßen Rattenwesen, welches des Nachts in einer heruntergekommenen Weberei sein Unwesen treibt. Ein richtiges Creature Feature also, bekannt sicherlich vor allem durch die recht spaßige/trashige Verfilmung.

„Nächtliche Brandung“ ist sowas wie der Mini-Vorläufer zu „The Stand“, denn auch hier wurde der Globus von einer Super-Grippe namens „Captain Trips“ nahezu leergefegt. Was King später draus gemacht hat ist nichts anderes als ein Meisterwerk.

„Ich bin das Tor“ hatte ich so gut wie gar nicht mehr in meinen Gehirnwindungen gespeichert, was seltsam ist, handelt es sich doch um eine astreine Lovecraftsche Schreckensvision über die eigene Verwandlung, die Angst vor dem eigenen Handeln, vor geistigen wie körperlichen Veränderungen zum etwas Bösem und Fremden hin. Vollgepackt mit unmöglichen Winkeln und so weiter wirklich eine große Liebeserklärung Kings an H. P., dessen großer Fan er ja bekanntlich ist.

Der von einem Dämon besessene „Wäschemangler“ in einer Großwäscherei ist in Sachen Trash wohl ziemlich weit vorne, dennoch enorm gelungen, superatmosphärisch und auch die überraschend Originalgetreue Verfilmung mit Robert „Freddy Krüger“ Englund und Ted Levine ist in einem gewissen Rahmen als sehr gelungen zu bezeichnen. Die späte Fortsetzung hingegen ist massiv schlecht.

Mit dem „Schreckgespenst“ kommt im Verlauf einer psychiatrischen Sitzung eine der ursprünglichsten Ängste auf das Tablett. Die ureigene Angst von Kindern vor dem weltberühmten Monster aus dem Wandschrank. Böse Story mit schön fiesem Finale, bevor es in „Graue Masse“ noch fieser wird und King mal wieder die Gefahren des Alkoholismus thematisiert und mit waschechtem Body Horror kombiniert.

Der „Kleinkrieg“, der ein Luxusappartement in ein „Schlachtfeld“ verwandelt macht einfach unheimlich viel Spaß. Verfilmt wurde das ganze ebenfalls ziemlich cool mit William Hurt in der Hauptrolle, als eine (ich meine sogar die erste) Folge der 8-Teiligen Serie „Nightmares & Dreamscapes“, in der sich jede Folge einer anderen King-Story widmet. Sehr empfehlenswert!

„Lastwagen“ (Trucks) hat es sogar auf zwei Verfilmungen geschafft, (Reha M – Es begann ohne Warnung und eben Trucks) und beide sind recht grottig. Die Erzählung über lebendig gewordene Fahrzeuge, die daraufhin die Menschheit versklaven hat natürlich klare Gesellschaftskritik inne, ist aber auch recht weit hergeholt. Eine der beiden Verfilmungen (Reha M) hat der Meister des Horrors sogar selbst inszeniert, weil er mit vielen Verfilmungen seiner Werke unzufrieden war. Wie er mal in einem Interview zugab, hat r dann schnell gemerkt, dass sowas schwieriger ist als gedacht, ganz anderes Timing und Herangehensweisen erfordert und r selbst ob des schlechten Ergebnisses beschämt war, weshalb er nie wieder selbst Regie geführt hat und sich fortan auch weniger über andere King-Verfilmungen beschwerte. Der Filmsoundtrack, der komplett von AC/DC stammt ist aber über jeden Zweifel erhaben!

„Manchmal kommen sie wieder“ ist eine Geisterbeschwörungs-, oder Wiedergänger-Story, die es nicht nur auf eine Verfilmung, sondern sogar auf eine ganze Filmreihe gebracht hat. Okay, mal abgesehen von cooler Optik war schon er Erste nicht so gut, alle weiteren kann man getrost ganz vergessen, die Story selbst ist aber wirklich gelungen.

„Erdbeerfrühling“ verknüpft außergewöhnliche Wetterphänomene mit einem Serienkillerfall, bevor auf dem „Mauervorsprung“ ein Hochhaus aufgrund einer tödlichen Wette in schwindelnder Höhe umrundet werden soll. Ganz toll als eine der drei Geschichten im Film „Katzenauge“ adaptiert.

Filmisch adaptiert wurde auch „Der Rasenmähermann“, sogar mehrfach, aber nicht sonderlich gut, hat der Streifen doch nahezu nichts mit der Vorlage zu tun. Die Cyberspace-Story im Film ist zwar nicht übel, ebenso wie die Schauspieler (Brosnan & Fahey), aber die Uralt-Computereffekte sind mittlerweile ungenießbar und wie gesagt, die Verbindung zu Kings zugrundeliegender Story ist nahezu nicht vorhanden.

Eine weitere in „Katzenauge“ auf die Leinwand gebrachte Geschichte ist ein absoluter Favorit von mir. Spätestens jetzt weiß ich: Ich muss das alles schon mal gelesen haben. „Quitters, Inc.“, die Forma die Dir „hilft“ mit dem Rauchen aufzuhören ist absolut genial, sowohl geschrieben, als auch später mit James Woods in der Hauptrolle verfilmt und gespielt. Kult-Story für ehemalige Raucher wie mich.

„Ich weiß, was Du brauchst“ ist eine gruselige Story über unerwiderte Liebe, mentale Fähigkeiten und Voodoo. Packend und schaurig und meines Wissens nicht verfilmt, im Gegensatz zur nächsten Story, die gleich eine ganze Reihe nach sich zog! Schon der Erstling „Kinder des Zorns“ mit Linda „Terminator“ Hamilton war nicht der große Wurf, die mittlerweile 10(!!!) Fortsetzungen sind zumeist ganz böser Schund, ich glaube nach Teil sechs oder sieben bin ich ausgestiegen. Die ursprüngliche Kurzgeschichte „Kinder des Mais“ ist mit ihrem religiösen Fanatismus, kultischen Verehrungen und grausigen, von Kindern begangenen Taten schon heftig, spannend und intelligent aufgebaut.

Ein tottrauriges Drama über ein verwirktes Leben und die Tatsache, dass wir Menschen allzu schnell vergessen, im Geiste beiseiteschieben und uns um die, die nicht mehr in unserem direkten Umfeld sind kümmern lässt einen vielleicht sogar mal an die eigene Nase fassen, oder zumindest Denkanstöße geben. Mit dem gebotenen Aufbau ist „Die letzte Sprosse“ nicht wirklich verfilmbar, aber tief berührend.

Eine mächtige Psychose hat „Der Mann, der Blumen liebte“ und kurz vor Schluss gibt uns King mit einem erneuten Ausflug nach Jerusalems Lot noch „Einen auf den Weg“. Wäre ein hervorragender, runder Abschluss gewesen, der dem Band einen schicken Rahmen verpasst hätte, aber da kam dann doch noch „Die Frau im Zimmer“, erneut ein Drama, welches mit dem Thema Euthanasie, und ob man sie anwenden soll, äußerst realistischen Horror in den Fokus rückt.

Wahnsinn was für ein variantenreiches Feuerwerk King mit seinem ersten großen Kurzgeschichtenband abgeliefert hat. Fast durchweg gelungene, teils sogar großartige Shorties. Mal wirklich schaurig, oft richtig schön fies und böse, aber auch manchmal gefühlvoll und traurig. Packende Vielfalt am laufenden Band und mit oft schon auf weinigen Seiten hervorragend ausgearbeiteten Charakteren. Man versteht schnell, weshalb es so viele der hier enthaltenen Geschichten auf die Leinwand oder wenigstens auf die Mattscheibe geschafft haben, einfach unglaublich unterhaltsam!

9/10

VG, God_W.
God_W. ist gerade online   Mit Zitat antworten