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Alt 30.12.2022, 23:11   #413  
God_W.
Captain Rezi
 
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Swamp Thing von Alan Moore 2 (Deluxe Edition)



Das zweite Deluxe Paket rund um den grünen Sumpfling ist mit knapp 470 Seiten wieder schön dick geraten. Die Handlung der einzelnen Geschichten werde ich diesmal echt nur ganz grob umreißen um nicht zu viel zu spoilern. Jeder Comic- oder gar Moore-Fan sollte sich die exzellente Sammlung schauriger Geschichten sowieso zulegen.

Gleich zum Einstieg gelingt Moore mit der zweiteiligen Story um den wohl wahnsinnigen, schwer kranken, absolut süchtigen und ganz sicher sehr hässlichen Typen namens Atomfresse ein kleines Meisterwerk. Der sehr gefährliche und äußerst tödliche Zeitgenosse richtet all das Übel, dass von ihm ausgeht nur unfreiwillig an, er weiß es nicht besser und bringt dennoch nur Tod und Zerstörung. Eine wunderbar vielschichtige Schauermär zwischen Trash und Tragik, wie nur Alan Moore sie schreiben kann, ohne ins Lächerliche abzudriften. Höchst gefühlvoll und mit vielen Botschaften, von denen der Umweltgedanke nur die Vordergründigste ist, führt uns Moore zu Beginn dieses Bandes zurück in den Sumpf. Leider ist ausgerechnet „Atomfresse“ einer der wenigen Fälle, bei denen mir die Originalkolorierung besser gefallen hat, weil der Typ da einfach kranker (im Sinne von ungesünder) aussah. Das Beispielbild zeigt das hoffentlich. Im Gegenzug gefällt mir die linke Seite mit dem Lagerfeuer in der Deluxe Ausgabe deutlich besser, als die ursprüngliche Version, da kommt einfach viel mehr Stimmung auf. Diesmal vergleichen wir also Panini alt mit der neuen Deluxe von Panini, die ersten Bilder sind immer die ursprüngliche Fassung, darauf folgt dann die Deluxe-Variante.

Es ist so weit! John Constantine is in da House! Erster Auftritt des Hallblazers und ja, er ist direkt von Beginn an ein riesen Arschloch. Ich liebe es! Mal wieder (oder eigentlich ja zum ersten mal) erleben wir, wie ein Mensch der sich ihm verbunden fühlt das zeitliche segnet. Es ist scheinbar von Anfang an nie gesund gewesen, mit Constantine befreundet zu sein. Scheinbar droht der Welt aber noch viel größeres Unheil und deshalb nimmt der Hellblazer Kontakt zu Swamp Thing auf, schickt diesen auf eine aberwitzige Rundreise zu Orten die ein Touri niemals freiwillig besuchen würde und ganz nebenbei hilft er Swampy dadurch dabei, seine Fähigkeiten zu entdecken und weiter zu entwickeln.

Die erste Zwischenstation auf Swampies Reise stellt eine versunkene Stadt dar, die gewissenhaften Swampie-Lesern bereits bekannt ist. Mich hat es sehr gefreut, diesen Hintergrund bei meiner zweiten Moore-Lektüre jetzt auch zu erkennen, denn der Autor bezieht sich hier auf eine Story aus dem Classic Omnibus. In dem zum Biotop verkommenen Städtchen haust eine Art Wasserleichen-Vampire, die sich nirgendwo auf der Welt so stark vermehren wie an diesem Ort, und daran ist unser Swamp Thing nicht ganz unschuldig. Teilweise richtig gruselig, ein bisschen eklig, gespickt mit kleinen Lovecraft-Anleihen und mit einem hervorragenden Opener, der die erinnerungswürdige Blutegel-Szene aus Stephen Kings „Die Leiche“ (Stand by me) variiert.

Nach einer Werwolf-Story der ganz anderen Art, in die auch noch ein äußerst interessantes, historisches Ritual eingeflochten wurde, aus dem hier der Fluch der Lykanthropie erwächst, zeigt Constantine wieder, was für ein manipulativer Mistkerl er sein kann.

Im großen Finale wird das Ur-Amerikanische Thema der Sklaverei erneut aufgegriffen, welches von den Schöpfern Len Wein und Berni Wrightson im Classic Omnibus schonmal behandelt wurde. Allerdings muss man Moore lassen, dass er das Thema viel umfassender behandelt. Da wird von Liebschaften zwischen Sklaven und Weißen, bitterbösem Rassismus und dessen brutalen Folgen über heutige Auswüchse des selbigen und auch dem Gegenteil, dem heutzutage ab und an vorkommenden, privilegierten Schwarzen, der noch immer auf die Sklaven- und Rassismus-Karte pocht, fast alles geboten. Dazu kommen untote, ruhelose Geister, Bannkreise aus Salz und ganz viel ätzende Kritik an der Filmindustrie. All das und vermutlich hab ich doch nur die Hälfte aller angeschnittenen Themen mitbekommen.

Hier wird wirklich ganz große Kunst geboten, die auch noch eng mit einigen meiner Lieblingsthemen verknüpft serviert wird. Sicher ein Meilenstein der Comic-Kunst den ich noch öfter zur Hand nehmen werde, wobei ich aber anmerken muss, dass das Artwork des Vorgänger-Bandes einige brillante und herausragende Szenen mehr zu bieten hatte, als wir hier bislang serviert bekommen. Man merkt schon deutlich, wenn Bissette und Totleben, teils mit Veitch, nicht am Ruder sind.

Die zweite Hälfte des Bandes kann von den Storys her groß in zwei Abschnitte unterteilt werden. Zuerst kommen die drei Swamp Thing Hefte #43-45, die jeweils recht eigenständige Stories erzählen, bevor mit „Offenbarungen“ ein großer, fünfteiliger Storybogen eingeleitet wird, der sich zu einem fulminanten Finale emporschraubt.

Mit „Fallobst“ steht gleich wieder ein Knaller auf dem Programm in dem, ganz typisch Moore, gleich ein ganzer Schwung an tollen Themen bearbeitet wird. Es geht um einen Althippie mit Grundkenntnissen in der Wissenschaft, der im Sumpf eine Knolle findet, und zwar eine, wie sie an Swampy wachsen. Zu Hause angekommen ist er gerade dabei die Frucht zu analysieren, als er Besuch von einem Freund bekommt, der ihn um schmerzstillende Drogen bittet, um seiner schwerkranken Frau den Abschied von der Welt zu erleichtern. Nach einigem Hin und Her gibt er ihm ein „Stück Swampy“ mit. Es dauert aber nicht lange, bis es erneut an der Tür klopft und ein früherer Bekannter, jetzt ekelhafter Mistkerl, vor der Tür steht und Drogen verlangt. Schlussendlich stiehlt er mehr oder weniger einen Teil der Wurzel.

Die unterschiedlichen Auswirkungen auf die beiden Konsumenten und das Zusammenspiel zwischen Droge und Psyche wird im Rest der Handlung Thematisiert, genauso wie die Frage, ob sich der Althippie auch selbst einen Trip gönnt, oder doch lieber nicht. Wundervoll, wie hier mit Drogenkonsum, seinen möglichen Auswirkungen, aber auch Möglichkeiten gespielt wird. Die Frage der Sterbehilfe wird ebenso aufgegriffen wie der Ansatz, ob gewisse Drogen auf uns anders wirken, weil wir eine andere Einstellung oder Gesinnung haben. Schlussendlich bleibt noch die Frage, inwieweit man sich seines eigenen, vermeintlich guten Charakters sicher sein kann. Schon allein mit dieser Story beweist Moore wieder, dass er auf ein paar wenigen Seiten vielschichtigere Aspekte aus einer Story herausschälen kann, als Andere in einer ganzen Anthologie. Das sollte als Beispiel für die herausragende Qualität aller Stories genügen, den Rest werde ich ein wenig kürzer abhandeln.

Beim „Schwarzen Mann“ handelt es sich um eine creepy Serienkiller-Story in der uns Moore eine Reise in die Abgründe der Seele beschert. Nebenbei wird Swampys Gefühlsleben genauer beleuchtet und auch Batman kommt kurz zur Stippvisite vorbei, bevor wir uns bei „Geistertanz“ in ein abgelegenes Horrorhaus wagen, in dem es nicht nur echt gruselig und blutig zu geht, sondern auch der Genozid an den amerikanischen Ureinwohnern aufs Tableau gepackt wird.

Jetzt startet die letzte große Story und ich freu mich riesig, dass mein Lieblingsegomane John Constantine eine zentrale Rolle spielen darf. Schon zuvor hatte der Trickster das Swamp Thing auf eine Odyssee zu den verschiedensten, aufkeimenden Schrecken geschickt. Jetzt wird klar, dass das lediglich zur Vorbereitung diente, quasi eine Art Training darstellte, denn es gilt etwas weitaus größeres aufzuhalten, als nur einen Werwolf oder ein paar Vampire. Eine Multiversen umspannende Krise bahnt sich an, die „Crisis on Infinity Earths“, und ein Jahrhunderte alter Geheimbund, die Brujeria, wollen dieses Ereignis für sich nutzen um eine alles Vernichtende Entität zu erwecken. Manche glauben, es sei die Ewige Finsternis, andere wiederum erwarten die Rückkehr Satans, ich bevorzuge die Theorie vom alten Ben, der überzeugt ist die Erweckung Cthulhus stünde bevor.

Wie dem auch sei, dieser Bedrohung können sich Swamp Thing und Constantine nicht alleine stellen und versammeln nach und nach eine illustre (und abgedrehte) Truppe um sich, um das Ende aller Welten zu verhindern. Der geneigte DC-Leser feiert hier ein großes Wiedersehen mit vielen bekannten und beliebten Charakteren. Allerdings nicht bevor Constantine noch ein altes Versprechen einlöst. Er hatte Swampy Antworten über seine Existenz, sein Dasein versprochen und die soll er jetzt bei seinen Artgenossen, dem Konzil der Bäume erhalten.

Ein wahrer Rundumschlag, den Alan Moore in der Finalen Story dieses zweiten Deluxe-Bandes ausführt. Ein Sammelsurium vor Kreativität sprühender Ideen, der ein Ende findet, das man schön als Abschluss stehen lassen kann, auch wenn ich mich natürlich über den Rest des Moore-Runs extrem freue und demnach umgehend den finalen dritten Band aus dem schicken Schuber ziehen werde.

Ich wurde bis hierher jedenfalls nicht enttäuscht und das famose Finale, welches ich erwartete, habe ich auch bekommen, selbst wenn ich kein ausgemachter Fan von diesem ganzen Krisen-Gedöns bin. Einziger Mini-Kritikpunkt ist vielleicht, dass das Artwork beim vorangegangenen Band etwas mehr wie aus einem Guss gewirkt, und mir persönlich dadurch minimal besser gefallen hat. Liegt sicher an den vielen beteiligten Zeichnern, aber wie gesagt, das ist Jammern auf ganz ganz hohem Niveau.

Dafür gibt es wieder reichlich geniales Bonusmaterial, wie etwa beispielhaft ein komplettes Heft, hier „Der Fluch“, also die Werwolfstory, mit den original Bleistiftzeichnungen Seite für Seite Moores Originaltext, quasi seinem ausführlichen Drehbuch gegenübergestellt. Ist schon wahnsinn, wie detailliert Moore bei sowas vorgeht, bzw. damals vermutlich durch die Entfernung zu den Kollegen auch vorgehen musste. Zum Abschluss lässt es sich auch John Totleben nicht nehmen, noch ein paar Zeilen und Anekdoten zum Besten zu geben. Was für ein großartiges Gesamtpaket!

9-9,5/10

Stay tuned, vielleicht bekomme ich Band drei morgen noch fertig gelesen und ein paar Zeilen dazu zusammengetippt.

VG, God_W.

Geändert von God_W. (31.12.2022 um 12:10 Uhr)
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