Thema: Filmklassiker
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Alt 04.12.2022, 06:23   #341  
Peter L. Opmann
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„Das ist so ein Superfilm, warum ist da kein Rankommen?“ lautet der einzige Kommentar zu einem Ausschnitt aus Ottokar Runzes „Verlorenes Leben“ (1975). Nur diesen einen Ausschnitt konnte ich bei youtube zu dem Film finden. Ich habe den Schwarzweißstreifen 1984 in der ARD gesehen und mir Notizen dazu gemacht. Ich fand ihn damals auch sehr gut und habe ihn auf Video, was mir aber im Moment nichts nützt. Trotzdem möchte ich auf Basis der Informationen, die ich habe, über ihn schreiben. Es geht um einen Sexualmord an einem achtjährigen Mädchen. Da denke ich unwillkürlich an „Es geschah am hellichten Tag“ und auch an „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“. Runzes Film ist spröder als der nach Dürrenmatt, und der Klassiker von Fritz Lang, den ich nun nicht schlechtreden will, wirkt dagegen wie Sensationsmache.

Der Mord geschieht in „Verlorenes Leben“ in Schlesien im Jahr 1927. Der ermittelnde Kommissar (Gerd Haucke) ist überzeugt: Täter kann nur ein polnischer Gutsarbeiter (Gerd Olschewski) sein, der sich eigenbrötlerisch benimmt und sich auch durch unsicheres Verhalten verdächtig macht. Haucke traut den Polen ohnehin alles zu – Beweise hat er keine. Er denkt nur noch daran, wie er Olschewski den Mord nachweisen kann. Wenn er das schafft, winkt ihm auch ein Karrieresprung. Haucke setzt den Verdächtigen unter Druck. Olschewski geht ihm darauf aus dem Weg und zieht nach Berlin um; er will dort einen Blumenladen eröffnen, was vorerst ein Traum bleibt.

Haucke engagiert einen ebenfalls polnischen Studenten (Marius Müller-Westernhagen!), der ihn zu einem Geständnis bewegen soll. Die beiden treffen sich wie zufällig, und es gelingt Müller-Westernhagen tatsächlich, allmählich Olschewskis Vertrauen zu gewinnen. Er wird sein einziger Freund. Dann erinnert er ihn immer wieder scheinbar unbeabsichtigt an die Tat und redet ihm ein, ihn belaste etwas. Das alles geschieht auf Anweisung von Haucke, der sich regelmäßig Bericht erstatten läßt. Olschewski läßt sich aber weiter nicht überführen. Müller-Westernhagen ist schon beinahe zu der Überzeugung gekommen, daß ein anderer das Mädchen umgebracht haben muß. Deshalb muß er Olschewski schließlich ein aufwendiges Trugspiel vorspielen: Er läßt ihn Zeuge werden, wie er angeblich einen pöbelnden Betrunkenen erschießt. Darauf sagt er ihm, er werde nun nach Schweden auswandern, da er zwar nicht verdächtigt werde, aber Olschewski ihn jederzeit an die Polizei verraten könne. Das Kalkül: Olschewski werde nun seinerseits den Mord an dem Mädchen gestehen, damit sein Freund dableibt.

Der Plan geht auf. Olschewski gibt den Mord zu, wird verhaftet, verurteilt und später hingerichtet. Ob er den Mord wirklich begangen hat, bleibt aber bis zum Ende offen. An Müller-Westernhagen geht das Geschehen nicht spurlos vorüber. Er will nun Priester werden, um nach dem Verrat seinen Seelenfrieden wiederzufinden. Den Rahmen des Films bildet eine Szene aus dem Zweiten Weltkrieg. Müller-Westernhagen sitzt mit vielen anderen Leuten in einem Luftschutzbunker, während Berlin bombardiert wird. Er hält sich abseits und betet, was die Aufmerksamkeit eines Hitlerjungen erregt. Nach einigem Zögern erzählt er ihm alles. Man hatte ohnehin den Eindruck, daß die Geschichte besser in die Nazizeit paßt – wenngleich die braunen Machthaber in solchen Fällen nicht lange auf ein Geständnis warteten.

Der kurze Ausschnitt in youtube zeigt, was mir als Eindruck im Gedächtnis geblieben ist: Der Film ist sehr streng inszeniert, die Schauspielerführung ist einfühlsam. Ich denke, ich bräuchte heute einen besonderen Abend, um mir den Film nochmal anzusehen, denn ich möchte irgendwie auch unterhalten werden. Aber vielleicht bin ich auch positiv überrascht, wenn ich „Verlorenes Leben“ mal wieder sehe. Der Regisseur war selbst ein Außenseiter, etwas zu alt für den Neuen Deutschen Film. Er bekam wenig Gelegenheiten, fürs Kino zu arbeiten, drehte aber eine Reihe von Fernsehfilmen. Das war eine Zeit, als Einschaltquoten noch nicht das entscheidende Kriterium waren. Runze führte aber auch bei der Agentenkomödie „Der Schnüffler“ mit Dieter Hallervorden Regie. Ich denke mal, ich habe mir „Verlorenes Leben“ damals hauptsächlich wegen Marius Müller-Westernhagen angesehen.
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